24,62 Kilometer, 710 Höhenmeter

Wenig Berg- viel Leistung. Überraschendes Fazit im Naherholungsgebiet

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Nein, es folgt nun keine Geschichte über einen vollen Magen und ungustiöse Knochen am Tellerrand. Zudem wäre der erste offizielle “Hendlgrill”, den der Linzer Friedrich Jahn 1955 ins Leben rief, historisch unbedeutender und um einige Jahre später anzusiedeln als das Walzermeisterwerk von Johann Strauß.


„In der Luft ist ein Klingen und Singen – als verklänge irgendwo immer wieder der Walzer ‚Geschichten aus dem Wiener Wald‘ von Johann Strauß.“ 

Ödon von Horvath war es, der 1931 mit seinem bislang bekanntesten Theaterstück für ein aufflammendes Interesse an den hügeligen Erhebungen des Wiener Naherholungsgebiets sorgte. Schon kurz vor dem zweiten Weltkrieg demaskierte der österreichisch-ungarische Literat das Wiener Völkchen und offenbarte deren  Gemütlichkeit und den Hang zur wiederkehrenden Lüge. Noch heute sind die damaligen Schauplätze ein Charakteristikum des Wald und Wiesengürtels.
Die Heurigen in Grinzing, bei denen auch Bürgermeister Häupl gerne das knallige Rot seiner Nase auffrischt und das Rauschen des zweitgrößten Flusses Europas beim Start in Klosterneuburg, sind wichtige Bestandteile einer Reise durch die Laubwälder der Region.
Alles schön und gut, doch wo ist der Bogen zur sportlichen Betätigung? Sachte! Er wird in diesem Moment gespannt.

Zwischen diesen Laubwäldern und den zahlreichen Aussichtsplattformen, die mit einem Blick auf die Schlote der Stadt und den  verkeilten Verkehr genau das Landschaftsbild zeigen, vor dem man eigentlich flüchtet, gibt es ein großartig angelegtes Wegenetz, das zahlreichen Wanderern und Mountainbikern ein Betätigungsfeld bietet.
Dieses Wegenetz besteht aus Waldwegen, Forststraßen und Wiesenabschnitten und kann damit auch das Herz eines Geländeläufers zum Schmelzen und den Puls zum Hüpfen bringen.
Typische Wege im Wienerwald, Foto: Tri-Team.at
Um nach dem erfoglreichen Fux’n Lauf mein Training für den Traunsee-Bergmarathon weiter voranzutreiben  soll meine heutige Einheit natürlich mit zahlreichen Höhenmetern gespickt sein und den Beweis liefern, dass Höhentraining auch ohne Berge möglich ist. Gut, wir dürfen dem Wienerwald nicht auf den laubigen Schlips treten. Der Hermannskogel, mit seinen 542 Metern und der kulturell bedeutenden Habsburgwarte, gehört immerhin zu den Seven Summits Austria und ist gleichzeitig die höchste Erhebung auf Wiener Gemeindegebiet. Genau da will ich heute hin.
Als ich mit der Linie 43 das beschauliche Neuwaldegg erreiche, kommt mir das erste Mal die Beschreibung Wiens nach Lothar Lehner in den Sinn. Ein kleiner Bub fleht seine Mutter an, ihn doch bitte endlich nach Hause zu lassen. “Sei stad, Bua”. Doch der sanfte Wind des Widerstands und der Ruf nach der heimischen Spielkonsole entwickeln sich bald zu einem tosenden Sturm und einem Gebrüll, das zwischen Tränen und Wut erstickt wird. Das W im Wien ist somit belegt. Entlastungsmaterial finde ich erst wieder am Gipfel des Hermannskogels.
W wie Weinerlich
 
Weil ich möglichst wenig Kontakt mit dem fußbelastenden Asphalt haben möchte, fahre ich mit dem Bus (Linie 43A) und steige bei der Haltestelle Artariastraße aus. Ohne wirklichen Plan aktiviere ich die Musik auf meinem MP3-Player und tauche in meine eigene Welt ein. Diese besteht jetzt nur mehr aus mir, dem Boden unter meinen Füßen und den Klängen von Jorge Quintero, der mich mit seinem Violin Orchester die ersten steilen Höhenmeter vorbei an der Paulawiese bis zur Hameau (464m) treibt. Bislang habe ich diese Wege immer belächelt, finden sie doch auch im Forum Gipfeltreffen einen nicht zu unterschätzenden Anklang und waren für mich bisher eher Spaziergänge für Gebrechliche.Es läuft sich aber gut und bald stehe ich am höchsten Punkt des Gemeindebezirks Neuwaldegg mit der Schutzhütte, die aber heute nur mehr als Regenunterschlupf dient.

Hameau (464m) mit Schutzhütte, Foto: Wikipedia

 

Von hier aus entscheide ich mich zuerst zum Gasthof Sophienalpe zu laufen um den Wienerwald einmal ordentlich zu durchqueren. Vorbei am Roßkopf und am Exelberg (alles himmelhohe 500er) laufe ich an zahlreichen Wanderern entlang, die mich für meinen oberkörperfreien Laufstil mit verachtendenen Blicken bestrafen. Doch die Sonne scheint, die Blumen blühen und das Gefühl der Wiederauferstehung der Sinne nach langer trüber Winterphase macht sich breit und so genieße ich jeden Schritt zwischen Bärlauch und Laubwald. Einmal muss ich jedoch kurz stehen bleiben und einer älteren Dame bei einem Faux-Pas mit ihren Wanderstöcken behilflich sein. Welch altruistische Haltung! Wobei hier der zweite Buchstabe von Wien zum Zug kommt. Ist man im Wienerwald unterwegs, kann man fast nur…I wie Idealistisch

sein.

Beim Gasthof Sophienalpe angekommen, drehe ich ästhetisch um und laufe wieder zurück zur Hameau, wobei bergab die Wege noch genialer zu laufen sind, als bergauf. Schnell bin ich wieder am Stadtwanderweg 3 und in weiterer Folge beim “Grüß di a Gott Wirt”, wo ich die ausnahmsweise richtig steilen Meter zum Hermannskogel vor mir habe. Die Quälerei macht richtig Spaß und so nehme ich auch einen steilen Abschneider durch den Wald um mich auszupowern. Am Hermannskogel mache ich eine längere Pause, lasse mich kurz ablichten und beobachte ein Pensionistenpaar, das sich mit einem Küsschen über den (hoffentlich nicht letzten) gemeinsamen Gipfel freut. Weit weg von der Großstadt sind auch die, sonst nicht unbedingt für ihre Freundlichkeit bekannten, Wiener zutraulich und so darf ich erfahren, dass vor kurzem ein Fest zum 80. Geburtstag gefeiert wurde. Das ist in diesem Alter zwar nicht

E wie Einzigartig

aber dennoch ist höchster Respekt geboten. Schließlich wären ja auch die Gehilfe und der Rollator in diesem Alter durchaus begehrte Accessoires.

S wie Selfie : Am Hermannskogel (542m)

Vom Hermannskogel, den ich bei Kilometer 12,2 erreicht habe, laufe ich noch weiter zum Cobenzl, der Aussichtsplattform für die Robert Nissels von Wien (Anm: ATV-Format “Das Geschäft mit der Liebe”- Umtriebiger Dickbauch) und von dort schließe ich den Kreis wieder mit einer kurzen Höhenmetereinlage zurück zum “Grüß di a Gott Wirten”. Hier sind auch kurze Asphaltpassagen zu bewältigen, die sich mit Pflastersteinen abwechseln. Dort angekommen habe ich bereits über 18 Kilometer in den Beinen und der Ruf der Bildung ereilt mich auch bereits, soll ich ja zwei Stunden später wieder gestriegelt auf der Universität sitzen.

Das klassische Wien erreiche ich wieder bei Kilometer 23, als mich ein älterer Herr anschnauzt, ob ich denn keine Kleidung mehr hätte.

Woscht da di Mama des Zeig nimma oda warum laufst nockat umher?”


N wie Nörgelnd

Wer sich früher gern Tom Turbo angesehen hat, der kennt das ja bereits: Nun darf man das unglaublich schwere Buchstabenrätsel lösen. Die Lösung schickt ihr bitte an ….Natürlich nicht! Soviel Vertrauen in die geistige Versiertheit unserer Leser habe ich!

Wien, ja Wien ist anders. Heute habe ich die Metropole von einer anderen, sanften Seite kennengelernt und bin froh den Schritt in ein neues, bislang völlig uninteressantes, Gebiet gewagt zu haben. Die Läufe vor der Universität werden nun zur Dauerprozedur. Der Bergmarathon ruft und der Wienerwald offenbarte mir sein alpines Gesicht, dem ich nun gerne öfter den Spiegel der oberösterreichischen Bergwelt vorhalten werde. Bei einem Blick auf den folgenden GPS-Track wird geschulten Bergaugen auffallen: Höhenmeter in Wien! Und gar nicht so wenig! Auf meiner Runde, die ohne Pausen 2:15:02 dauerte, bin ich 24,6 Kilometer, gespickt mit 710 Höhenmetern gelaufen.

Die Fotos sind heute nicht von mir, da braucht man auch kein geschultes Bergauge. Das WWW hilft aus 🙂

Der Wienerwald