Das Brot fällt auf die Butterseite. Zumindest ist das vom Esstisch aus höchstwahrscheinlich. Weil dem Brot aus dieser Fallhöhe exakt jene Zeit bleibt, die es für eine einfache Drehung um 180 Grad braucht. Das hat der Physiker Robert Matthews bereits 1996 herausgefunden. Auch wir haben den Brotfall genauer analysiert. Nicht am Küchentisch, sondern in Hinterstoder.
Sind die jetzt völlig behämmert? Nicht ganz. Denn in unserem Fall geht es um den 2.360 Meter hohen Gipfel des Brotfalls, der neben dem Großen Priel ein schattiges Dasein fristet.
Einstieg in die Hölle
Den Zustieg zum Prielschutzhaus kennen wir bestens. Doch heute ist es etwas anders. Der Rucksack, dessen Volumen sonst oft kleiner als jenes vieler Damenhandtaschen ist, ist diesmal vollbepackt. Schließlich wollen wir den Fall vom Brot ja nicht selbst erleben. Darum haben wir neben Seil, Expressen und Karabiner auch ein paar Freunde mitgenommen. Trotz aller amikaler Bemühungen, haben wir dann aber dank der guten Absicherung an den schwierigen Stellen auf unsere Friends gepfiffen.
Der Weg zum Prielschutzhaus ist mehr oder weniger ein Blindflug. Wie oft haben wir diesen Weg schon beschritten? Ich weiß es nicht, irgendwann habe ich aufgehört zu zählen. Es ist Mitte August und schon am frühen Morgen lässt uns die Sonne ihre Kraft spüren. Hans legt bei der Ankunft beim Prielschutzhaus einen Schleudergang ein – wie er es nennt. Ganz ohne Trommel rotiert dabei sein verschwitztes Leibchen um die eigene Achse. Jetzt aber weiter in Richtung Großer Priel.
In der Wiese, wo der Wanderweg dem Brotfall-Grat am nächsten kommt, erspähen wir auch gleich die ersten roten Punkte, die uns zum Einstieg führen. Unterhalb des Grates queren wir in Richtung Klinserschlucht, ehe wir noch in einem steilen Schotterfeld mühsam höher steigen. Die Sonne brennt mittlerweile erbarmungslos vom Himmel. Es stellt sich die berechtigte Frage, warum wir uns bei dieser Hitze gerade den SO-Grat ausgesucht haben. Einerlei! Der Einstieg in die Hölle ist geglückt.
Höll-Einstieg
Eine Aufschrift in diabolischem Rot markiert den Einstieg. Ein Pfeiler beginnt recht harmlos und wird rasch steiler. Hans hat die erste Seillänge übernommen. An der steilsten Stelle prüft er mehrmals den Fels auf der Suche nach dem perfekten Griff. Unaufgewärmt und mit Turnschuhen in der ersten Seillänge, ist Hans kurz unsicher. Der Griff hält! Die Schuhsohle reibt sich am rauen Kalkgestein fest. Die gewohnte Leichtigkeit des Seins am Fels stellt sich wieder ein. Stand! Im Nachstieg ist die erste Seillänge schnell absolviert, die zweite folgt sogleich. Eine lange Rampe ist nicht schwierig zu klettern, aber reicht das 50 Meter-Seil? Vorsorglich mache ich einen Zwischenstand. Wär’ sich auch so ausgegangen. Aber sicher ist, genau – sicher.
Die Wegfindung ist recht einfach. Die Schwierigkeiten bleiben moderat, Gehgelände und kurze Aufschwünge wechseln sich ab. Etwa 100 Meter sind nun seilfrei, zuerst in der Wiese, dann auf einem Grat zu absolvieren, bevor wir uns der Schlüsselstelle im Höll-Einstieg nähern. Kurz blicken wir noch einmal in die Topo, damit wir die richtige Rinne erwischen
Hans steigt vor, ein bröseliger Hochgenuss. Beim Stand angekommen, darf ich die IV-er Stelle vorsteigen. “Halt, warte!”, ruft mir Hans zu, als ich gerade mitten in der Schlüsselstelle stecke. Just an dieser Stelle hat sich im Seil ein Knäuel gebildet. Etwas ungedulig warte ich in A0-Position ab, dass Hans das Seil wieder freigibt.
Der Rest der Seillänge ist dann recht einfach und es beginnt nun endlich der Brotfall-Grat in seiner ganzen Schönheit. Fast bulimistisch wird er schmäler. Viel Luft unterm Allerwertesten haben wir nun für drei Seillängen, ehe wir den letzten Aufschwung links umgehen.
Drei ist nicht gleich drei
Schon wieder so eine blöde Aussage. Warum soll drei nicht gleich drei sein? Schon Taferlklassler wissen, dass drei Finger immer noch drei Finger sind, egal ob man diese auf der linken oder der rechten Hand abzählt. Beim Klettern ist das manchmal anders. Während uns die III-er Stellen im ersten Teil noch recht einfach vorgekommen sind, waren die III-er Stellen im zweiten zumindest gefühlt schwieriger. Vielleicht lag es auch nur am Kopf oder daran dass das Gelände ausgesetzter war. Seis drum, statt den weichen Trailrunning-Schuhen kamen nun die Kletterpatscherl auf die Füße.
In der dritten Seillänge wartet ein schöner Spreizschritt (IV) bei einem gespaltenem Turm, Tiefblick inklusive. Kurz höre ich Hans sagen: “Do is owa gscheid ausgsetzt”, um kurze Zeit später auch schon von ihm “Stand” zu hören. Mit den aufgezogenen Patscherln war diese Seillänge kein Problem. Die zwei darauffolgenden Seillängen (III+) sind ebenfalls feinste Genußkletterei. Innerlich haben wir wohl beide über die schöne, luftige Kletterei im oberen Teil des SO-Grates gejubelt. Äußerlich sparten wir mit Worten und grinsten uns nur an. Vor der Schlüsselstelle wird es noch einmal einfach, dafür landschaftlich umso schöner. Der Stoderer Himmel scheint schon zum Greifen nahe, doch noch haben wir ein Stück am Grat zu klettern.
Die Schlüsselseillänge darf ich vorsteigen. Von unten sieht sie recht einfach aus. Doch je näher ich komme, desto mehr sehe ich, dass sie ein kleines Baucherl hat. Irgendwie kommt mir der Fels an dieser Stelle auch schon etwas abgeschmiert vor. Ein kurzer Griff zur Expresse, danach noch einmal kurz konzentriert bleiben, da eine weitere Zwischensicherung für mich ungünstig liegt und ich sie auslasse. Schon ist der Stand erreicht und auch Hans kommt nach. Die restlichen Seillängen dienen zum Ausklettern.
In der Querung zum Schuttband hat man schon die 25. und damit letzte Seillänge erreicht. Das Schuhwerk wird gewechselt, die Schlosserei und das Seil verschwinden im Rucksack. Eine Gedenktafel in der darauffolgenden Scharte mahnt noch einmal zur Vorsicht. Laut Topo sollten es 60 Meter zum Gipfel des Brotfalls sein. Die 60 Meter mögen schon stimmen, nur als absolute Höhendifferenz. Etwas pessimistisch und wohl auch müde vom langen Zustieg und der Kletterei meint Hans: “Da brauchen wir mindestens eine Stunde, bis wir am Gipfel sind”.
Der lange Aufstieg zum Abstieg
Die prognostizierte Stunde Gehzeit zum Gipfel wurde es dann zum Glück nicht, aber 30 Minuten haben wir trotzdem gebraucht. Die eine oder andere I-II Kletterstelle über schottrige Bänder ließen Vorsicht walten. Nicht, dass wir zum Schluß noch den Brotfall vorm Ableben erleben und auf unserer Butterseite im Stoderer Himmel landen. Am Gipfel gönnen wir uns noch eine kurze Pause, ehe wir über den versicherten Steig in der Brotfallscharte absteigen. Den Großen Priel sehen wir uns nur aus der Ferne an, der Tag ist heute ohnedies schon lange genug.
Schon beim Einstieg bei der Brotfallscharte sehen wir, dass eine Gruppe recht langsam voran kommt. Drei tschechische Familien sind mir ihren Kindern unterwegs und sichern diese vorbildlich mit Pickel und Seil über die Altschneefelder hinweg. Da bleibt uns nur eines zu sagen: “Perfekt!”. Oftmals eilt den Tschechen ja der Ruf voraus, dass sie ihre Risikobereitschaft ausreizen, bis der Hubschrauber kommt. Dies gilt für diese Gruppe definitiv nicht.
Beim Prielschutzhaus lassen wir uns nieder. Am Nebentisch leert eine Dame ihren gesamten Rucksack aus um diesen dann anschließend wieder fein säuberlich einzuräumen. Ihren Gatten grämt es, uns amüsiert es. Das Tiroler Gröstl und das Bier schmecken heute besonders gut. Auch Hüttenwirt Michi gesellt sich mit seiner Gabi zu uns und wir tauschen ein paar Schutzhaus-Geschichten aus. In der Zwischenzeit erreichen die tschechischen Familien die rettende Bierbank-Oase in der noch immer brütenden Hitze auf der Schutzhaus-Terrasse. Gute Laune und Müdigkeit macht sich breit. Die Kinder sind erschöpft aber stolz auf die erbrachte Leistung, das große rote Kreuz am Gipfel erreicht zu haben. Als die Spaghetti serviert wurden und die Augen der Kinder schon ganz klein waren, wurde es für uns Zeit, den Abstieg anzutreten. Märchenwiese, Gott-sei-dank-Bankerl, Klinser-Fall. Ein Blindflug eben. Der schöne Tag neigt sich dem Ende zu. Wer sich den Brotfall-SO-Grat aus der Nähe ansieht, landet auf jeden Fall auf der Butterseite des Lebens.
Da sieht man wieder die unterschiedliche Einschätzung der Routen, III ist nicht gleich III, bei manchen von dir eh noch als leicht bezeichneten Stellen wird mir schon schwummerig wenn ich die (übrigens sehr schönen) Fotos sehe 😀 aber vielen Dank für den Post, der Weg zum Brotfall kommt definitiv auf die Liste an Routen, die ich mit meinen Jungs in Angriff nehmen könnte. Für Frau und Nachwuchs ist er dann doch zu happig, aber die habe ich eh kürzlich erst im Urlaub im Vinschgau den Knott bei Naturns rauf und runter gescheucht, jetzt hab ich mir ein wenig Papa-Kletter-Zeit verdient 😉
LG Hannes