1.900 Höhenmeter, 20 Kilometer Wegstrecke

… und der zweite folgt zugleich!

Nachbetrachtung vom 18. August 2014







von Moritz Mayer


Durch lautes Schnarchen wurde ich plötzlich munter. Es fiel mir schwer meine Augen zu öffnen, doch als ich es endlich schaffte, wurde mir klar, dass ich keine Ahnung hatte wo ich gerade war. Zwei Dutzend schlafender, verschwitzter und stinkender Menschen lagen überall im Raum verteilt und der ein oder andere gab Geräusche von sich die an eine alte Dampflok erinnerten. Einer von ihnen war Gabriel, der direkt neben mir lag. Langsam konnte ich mich wieder sammeln und erinnerte mich an unsere waghalsige und kraftraubende Tour vom vergangenen Tag auf den Großen Möseler. Wir hatten den Berg unfreiwillig überschritten und waren nicht mehr zur Berliner Hütte zurückgekehrt. Folglich mussten wir am 2.295 Meter hohem Furtschagelhaus sein.
Nun wurde auch Gabriel munter. Er rieb sich lange die Augen bevor er ebenfalls den schrecklichen Gestank im Raum wahrnahm. Da wir ja unsere gesamten Hütten-Klamotten drüben auf der Berliner Hütte gelagert hatten, konnten wir uns nach der langen Tour auf den Möseler nicht mehr waschen und mussten am vergangenen Abend ungeduscht ins Lager steigen.

Nachdem wir uns anschließend kurz am Frühstücksbuffet bedient hatten, wagten wir den ersten Schritt vor die Tür. Erneut kündigte sich ein prächtiger Tag  an und Hochfeiler, Möseler sowie Schönbichlerhorn waren bereits von der Sonne beleuchtet. Nun mussten wir uns aber auf den Weg machen. Wir hatten heute noch einiges vor.
Der erste Blick natürlich auf den Großen Möseler (3.480m)

 

Hochfeiler (3.509m)

 

Unsere minimalistischen Hochtouren-Rucksäcke waren schnell gepackt und schon waren wir auf dem Wanderweg 502 in Richtung Schönbichlerhorn. Unser erstes Tagesziel war zu vollenden zu dem gestern am Abend die Kraft gefehlt hatte, nämlich zur Berliner Hütte (2.044m) im gegenüber liegenden Tal zurückzukehren. Dies ging allerdings nur über das sogenannte Schönbichlerhorn (3.134m), das eine Art Pass zwischen Furtschagelhaus und Berliner Hütte darstellt und zugleich ein beliebtes Ziel bei 3.000er Sammlern ist.
Dem Schönbichlerhorn entgegen (3.134m)

 

Die knapp 900 Höhenmeter auf das Schönbichlerhorn waren schwer, sehr schwer. Die 2.500 Höhenmeter vom letzten Tag machten sich deutlich in unseren Beinen bemerkbar und wir brauchten lange um wieder in einen Rhythmus zu kommen. Kurz vorm Gipfel wurden wir dann absurderweise wieder schneller und entdeckten neue Kraftreserven.
Der gestrige Tag steckt noch in unseren Beinen

 

Auch der Große Möseler (3.480m) präsentierte sich schon wieder von seiner besten Seite

 

Der erste Anstieg war also geschafft und wir ließen uns zufrieden neben das Gipfelkreuz des Schönbichlerhorns fallen. Das Panorama war wie am Vortag grandios. Der Große Möseler dominierte die Landschaft aber auch die anderen 3.000er des Zillertales und Italien waren nicht von schlechten Eltern. In Richtung Nord-Ost erspähten wir hier auch zum ersten Mal an diesem Tag unser heutiges Hauptziel, die Zsigmondyspitze (3.089m).
Schönbichlerhorn (3.134m)

 

Möseler, Möseler Schicksalsberg!

 

In der Bildmitte die spitze Zsigmondyspitze

 

“Wir schreiben das Jahr 1879: Nahezu alle Hochgipfel des Ostalpen sind bestiegen, das goldene Zeitalter des Alpinismus neigt sich dem Ende. Auch in den Zillertaler Alpen sind die großen Gipfel erforsch. Einzig der Feldkopf hatte bislang alle Bewerber abgewiesen. Der Geolog Ferdinand Löwl beschrieb ihn als ‘überhängendes, ohne Übertreibung unersteigbares Horn’.”
 
Buch: Austria Alpin
Als ich diese Zeilen zum ersten Mal las, war ich sofort begeistert von der Zsigmondyspitze. Ihre interessante Besteigungsgeschichte und ihre unglaublich schöne Form hatten es mir angetan. Die Zsigmondyspitze ist dem Matterhorn gar nicht unähnlich und ragt als steiler Granitzacken aus dem Mörchenkamm im Zillertal. Am 24. Juli 1879 wagten die beiden Brüder Otto und Emil Zsigmondy die gefährliche Erstbesteigung und kurze Zeit später war der Feldkopf auch als Zsigmondyspitze bekannt.
Um uns diesem Abenteuer zu widmen, mussten wir aber zuerst einmal wieder vom Schönbichlerhorn zur Berliner Hütte absteigen. Die 1.100 Höhenmeter waren im Laufschritt schnell überwunden und nun konnten wir endlich mal ein wenig das Hüttenambiente genießen. Bei Kaffee und Kuchen bestaunten wir die gewaltige Natur des Zillertales und holten uns neue Kraft für unsere nächste Aufgabe, die Zsigmondyspitze.
Steiniger Abstieg vom Schönbichlerhorn

 

Wolken über dem Zillertal

 

Das Seil ließen wir dieses Mal bei der Hütte zurück, um schneller voran zu kommen. Eine III- am Normalweg der Zsigmondyspitze müssten wir ja doch sicher klettern können, dachten wir. Ein schwerer Fehler, der sich erst später bemerkbar machte.
Die idyllische Berliner Hütte beim Aufstieg auf die Zsigmondyspitze

 

Fröhlich und voller neuer Energie spazierten wir also der Zsigmondyspitze entgegen. Mit dabei war nur ein Helm und etwas Wasser. Wir fühlten uns gut und kamen schnell voran. Großer und Kleiner Mörchner beobachteten uns,  wie wir vorbei am wunderschönen Schwarzsee (2.472m) der Melker-Scharte entgegen liefen. Die Blicke auf die Zsigmondyspitze wurden immer spektakulärer und schon bald zweigten wir vom Wanderweg 502 ab und steuerten den Südgrat der Spitze an, der zugleich den Normalweg (III-) darstellt.
Auf in ein neues Abenteuer!

 

Gabriel bewundert das Zillertal

 

Vorbei am Schwarzsee (2.472m)

 

Dort oben lauert sie und…

 

…wir kommen näher,…

 

…näher,..

 

…und näher!

 

Kurz vorm Einstieg am Südgrat

 

Schon bald erreichten wir den Fuße des Südgrates, der nur noch 350 Höhenmeter vom Gipfel entfernt war, jedoch dafür umso steiler war. Wir kletterten los und über eine kleine Schuttrampe direkt auf den Grat. Dort begannen die ersten Schwierigkeiten. Im zweiten Schwierigkeitsgrad kletterten wir eine Weile direkt am Grat entlang. Auf einem größeren Absatz pausierten wir anschließend kurz.
Gabriel auf den ersten Klettermetern

 

Im Vordergrund die beiden Roßköpfe und dahinter der Große Löffler (3.379m)

 

Kurz vor der ersten Querung

 

Jetzt sollte es nämlich direkt in die Südostwand gehen. Diese quert man zuerst einige hunderte Meter hinein, ehe man anschließend wieder einige hunderte Meter höher auf den Südgrat zurückquert. Nur so kann man an der Zsigmondyspitze im Schwierigkeitsgrad III- zum Gipfel gelangen. In der ersten Querung bemerkten wir sofort, dass das hier nicht einfach wird ohne Seil. Extrem ausgesetztes Gelände und plattiger Fels zehrten an unserer mentalen Stärke.
Die Südostwand

 

Querung in die Südostwand

 

An einer der schwierigsten Stellen in der Querung, beschwerte sich Gabriel plötzlich über starke Krämpfe in den Beinen. Wir kletterten einige Meter zurück, in leichteres Gelände und verharrten dort kurze Zeit. Die Krämpfe in Gabriels Beinen wurden nicht wirklich besser und er beschloss schweren Herzens nicht weiter zu klettern. Es wäre hier einfach zu gefährlich gewesen. Ein Seil hätte hier wahrscheinlich Gabriels Gipfelträume weiter am Leben gehalten.
In der Nähe der Umkehr-Stelle

 

Da ich allerdings noch immer unbedingt auf die Zsigmondyspitze (3.089m) wollte und mich auch noch sicher fühlte, beschloss ich nach Absprache mit Gabriel weiter zu klettern. Weit war es ja nicht mehr. Gabriel machte es sich einstweilen in der Sonne gemütlich.
Ich kletterte also weiter und querte anschließend wieder in leichterem Gelände zum Südgrat. Der Gipfel war nun keine 100 Höhenmeter mehr entfernt. Nun folgte aber auch schon die Schlüsselstelle die Gewiss kein Zuckerschlecken war. Die Angegebene III- Stelle kam mir wie eine III+ Stelle vor und noch dazu ging es östlich in den Flötzengrund fast 1.000 Meter senkrecht nach unten. Mein Herzschlag wurde schnell und ich kletterte überlegt und extrem vorsichtig. Nach längerem Probieren, konnte ich dann auch diese Stelle überwinden und war heilfroh als ich wenig später am Gipfel stand.
Die zweite “einfachere” Querung zurück zum Südgrat

 

Die Schlüsselstelle direkt an der Kante (III-)

 

Letzer Aufschwung vor dem Gipfel

 

Endlich geschafft!

 

Ein kleiner Traum ging in Erfüllung , als ich das Gipfelkreuz der 3.089 Meter hohen Zsigmondyspitze berührte. Auch wenn schon immer mehr Wolken am Himmel aufzogen, war die Sicht nach wie vor grandios und extrem beeindruckend. Einige Höhenmeter unter mir erblickte ich Gabriel, der sich gerade die Sonne auf den Bauch schienen lies. Wunderschön das Zillertal!
Zsigmondyspitze (3.089m)

 

 

 

Da ich allerdings Gabriel nicht zu lange warten lassen wollte, kletterte ich nach kurzer Gipfelrast auch schon wieder ab. Die Schlüsselstelle “III-” war auch im Abstieg äußerst unangenehm und ich baute mir aus herumliegenden Seilresten eine Art Hilfe-Leine um sicherer nach unten zu gelangen. Dies funktionierte überraschenderweise relativ gut und ich konnte schnell wieder zu Gabriel absteigen. Auch wenn er heute nicht am Gipfel gewesen war, konnte er stolz auf seine Vernunft zur Umkehr gewesen sein.

Gemeinsam kletterten wir zurück zum Wandfuß und liefen fröhlich aber auch erschöpft zurück zur Berliner Hütte. Dort angekommen, bekamen wir sogar noch vom Hüttenwirt eine Duschmarke geschenkt. Wir rochen wohl wirklich unerträglich.

Goodbye Zsigmondy!

 

Goodbye Zillertal!

 

Goodbye wunderschöne Natur!

 

Goodbye Berliner Hütte!

Nachdem wir uns erfrischt hatten, war unser Zillertal-Aufenthalt auch schon wieder vorbei und erst am nächsten Tag in den frühen Morgenstunden kamen wir nach einer langen Autofahrt wieder Zuhause an.

Weitere Fotos der Tour gibt es hier: