Schermberg Nordwand (III) – Kreuz (2.174m) & Zwillingskogel (2.177m)
Das schönste erste Date aller Zeiten
Nachbetrachtung vom 3. August 2014
Von Gabriel Egger
Topo und Routenbeschreibung von Franz Moser
Schicksal. Eine höhere Macht, die das Leben beeinflusst. Ein Wort, an das sich Menschen gerne klammern. Etwas Vorherbestimmtem kann man sich schließlich nicht widersetzen. Der Einzelne kann nur zusehen, es ertragen, aber nichts verändern. Die gelebte und geliebte Unmündigkeit.Trauer ist leichter zu bewältigen, Probleme müssen nicht auf ihren Ursprung untersucht werden, wenn das Schicksal zuschlägt. Dann ist das eben so. Punkt.
Zufall hingegen – das klingt schwach, ausgezehrt, billig. So, als würde man ohne Leistung im gemachten Nestchen brüten. Ein Lotto-Sechser ist Zufall. Eine ungewollte Schwangerschaft ist Schicksal. Wir können’s uns richten, wie wir’s wollen.
Ob es auch Schicksal war, dass als Treffpunkt für eine Durchsteigung der Schermberg Nordwand über den Welser Weg, der Welser Bahnhof auserkoren wurde, sei dahingestellt. Die Wahl der Tour jedenfalls war kein Zufall.
Eine Wand aus Karst. 1400 Meter hoch, unstrukturiert, in den Ostalpen nur von der Watzmann-Ostwand übertroffen. Routen, die selbst erfahrene Kletterer vor knifflige Entscheidungen stellen. Nur ein einziger Weg, bei dem Begeher ohne Seil und Haken auskommen: der Weg der Welser. Ein echtes Alpenabenteuer, mitten vor der Haustüre.
Meinen Partner für diese Unternehmung kenne ich (noch) nicht. Ich sehe ihn zum ersten Mal, als ich in den geräumigen weißen Wagen einsteige. Moritz, 17 Jahre alt. Ein alpines Blind-Date, das ohne Rosen als Erkennungzeichen auskommt. Blonde Haare, kleine Statur, zurückhaltend, aber nicht auf den Mund gefallen. Gefällt mir. Der Smalltalk fällt weg, die Route wird in einzelne Steine zerlegt. Dann meldet sich der Wetterfrosch aus dem Radio. Was er quakt, lässt uns nervös auf den Sitzen herumrutschen. Noch im Laufe des Vormittages sollen heftige Gewitter über Österreich ziehen. Hagel, Blitzschlag, Regengüsse, alles inklusive.
Ein Blick aus dem Fenster: der Sonnenschein blendet, die saftigen Wiesen in Grünau im Almtal scheinen uns verführen zu wollen. Die Natur schafft es, der Vernunft einen gefährlichen Streich zu spielen. Es ist bereits halb acht Uhr, als wir beim Almtalerhaus ankommen. Viel zu spät für die prognostizierten Wetterkapriolen. Moritz hat eine Wegbeschreibung in der Tasche. “Da kommen wir schnell durch, wirst schon sehen”, sagt er augenzwinkernd. Richtig überzeugend ist das nicht. Aber er hat das Feuer. Nur wer selbst brennt, kann andere entzünden. Ich stehe in Flammen.
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Die Schermberg-Nordwand |
Gespenster unter Kirchendächern
Es kribbelt in den Zehen. Auf der Forststraße, über die wir am Wanderweg Richtung Welser Hütte zügig voranschreiten, ist die Wand immer vor Augen. Die einzelnen Abschnitte werden deutlicher. Die großen Felsen des Schuttfelds, Achter genannt, am oberen Ende der Route glänzen in der Sonne. Keine Wolke am Himmel, nicht einmal ein Streifen. Langsam lass’ ich mich von meinem inneren Gefühl überzeugen. Wird’ schon. Das geht sich aus.
Ein Blick auf die Karte. Der Einstieg kann nicht mehr weit sein. Einer kurzen Querung nach Osten folgt Verwirrung. Die Minuten verstreichen. Mittlerweile sind wir am Wandfuß bis in ihre Mitte gequert. Nichts. Auch wenn wir nicht an Gespenster glauben, erfüllen sie ihre Pflicht: wir schrecken zusammen. Beinahe hätten wir den Einstieg zum Schlossgespenst, eine Kletterroute mit 31 Seillängen im fünften Schwierigkeitsgrad, erwischt. Wir müssen wieder zurück zum Wanderweg.
Vorbei mit dem Spuk, dafür wird jetzt gespuckt – in die Hände natürlich. Es kann losgehen. Mittlerweile ist es nach halb neun Uhr. Die erste nasse Rinne haben wir schnell hinter uns gebracht. Aufregung und Freude steigen Hand in Hand durch den unteren Wandteil.
Nach einem kurzen Grasabschnitt, folgen die ersten ernsthaften Kletterstellen. Moritz’ mitgebrachte Beschreibung lässt uns die ersten 800 Höhenmeter ohne jeglichen Schnitzer überwinden. Prachtvoller Fels, steile Rinnen, grasdurchsetzte Querungen und ein fulminanter Tiefblick. Strahlende, junge Gesichter, ganz verlassen und einsam in der riesigen Wand.
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Im unteren Wandteil |
Die Kletterei übersteigt den II. Schwierigkeitsgrad nur selten. Kaum zu glauben, von unten nicht, auch von der Mitte noch nicht. Zu steil und unnahbar steht der Karstbrocken vor dem Begeher.
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Leichtes Klettergelände in der riesigen Wand |
Eine ausgesetzte Querung später, stehen wir bei einem markanten Felsturm auf 1.650 Meter Höhe. Unter uns pfeift die Norwand bis ins Tal, über uns wird es heilig. Nicht, weil wir Gott näher kommen, sondern weil wir auf einem Kirchendach stehen. Gläubig oder nicht, bei der folgenden Kletterei fühlt man sich wie im Himmel. Wunderbarer Fels, eine glatte Plattenrampe und Fernblicke bis zum Traunstein.
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Auf dem Kirchendachl |
Ein Seitenblick offenbart jedoch nicht nur Gutes. Die Wolken werden mehr. Der aufkommende Wind drückt sie bereits gegen den gegenüberliegenden Hetzaukamm. Wir erreichen das große Schuttfeld unterhalb des Grates, der den Ausstieg markiert. Hier laden Wiesenflächen zum Verweilen ein. Die blühenden Blumen nehmen der Wand ihren schroffen Charakter. Wir blättern im Steigbuch und erkennen, dass sich hier noch nicht viele Menschen getroffen haben. Schon gar nicht das erste Mal.
Wind fährt Moritz durchs Haar. Fast romantisch, wenn es nicht ein klares Zeichen für den Aufbruch wäre. Wir müssen weiter. Die Wolken sind nicht mehr wegzuträumen.
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Im großen Schuttfeld |
Wir queren eine Wand und erreichen den Grat. Er führt zum Almtaler Köpfl und über die letzten Seile des Tassilo-Klettersteiges auf den Gipfel. Wolken, Gewitter, Stahlseile. In meinem Kopf braut sich ein unangenehmes Gemisch aus Angst und Euphorie zusammen. Auch am Himmel wird gebraut. Die Wolken verfärben sich. Schwarz ist das neue weiß. Jetzt folgen die schwierigsten Kletterstellen. Der dritte Grad wird kurz erreicht, unter dem Allerwertesten liegt ganz viel Luft.
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Langsam kommen die Wolken |
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Hinauf auf den Grat |
Ein paar Mal geschickt umgreifen, dem Fels vollstes Vertrauen und dem Abgrund keine Beachtung schenken und die Seile sind in Griffweite. Wir sind töricht. Auf der Südseite des Toten Gebirges ist es pechschwarz. Nur noch wenige Minuten, bis das Unwetter hereinbricht. Nocheinmal Glück gehabt.
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Die letzten Meter zum Gipfel |
Über leichtes Gelände (A/B) ziehen wir uns an den Seilen zum Gipfel empor. Es ist kurz vor Mittag. Wir haben nur etwas mehr als drei Stunden für die Durchsteigung benötigt. Beschreibung sei Dank. Wolken umtanzen den Schermberg. Wir lassen uns nieder. Was für ein Kennenlernen. Donnergrollen weckt uns aus den Tagträumen. Sanfte Tropfen fallen auf die Nasenspitze. Gleicht geht es los, ich spüre es. Den Großen Priel können wir uns aus dem Kopf schlagen. Jetzt nur schnell zur Welser Hütte.
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Wolkenspiele auf dem Schermberg (2.396m) |
Wir steigen am Normalweg ab. Das Gewitter hält sich noch zurück. Vor uns baut sich der Sauzahn auf. Ein unscheinbarer Gipfel inmitten der Kalkriesen. Kein großer Umweg von hier, keine Seile, genügend Platz für Unterschlupf. Das geht schon noch. Wir klettern über den kurzen Grat (I-II) auf die mit einem Steinmann markierte Erhebung. Ein steiler Zahn ist er wirklich, eine Sau, naja. Der Rundumblick bleibt beim Temelberg hängen. Über ihm die Sintflut.
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Nicht mehr lange…. |
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Abstieg zum Sauzahn |
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Moritz am Gipfel des Sauzahn (2.260m) |
Dann geht es auch hier los. Regen prasselt auf uns nieder. Es fühlt sich an, als würde jemand mit vollgefüllten Kübeln über uns stehen. Innerhalb von Sekunden sind wir völlig durchnässt. Lauter Donner, helle Blitze, flinke Füße. Wir laufen hinab zur Welser Hütte. Oder schwimmen wir schon? Wind frischt auf. Das Dach der Hütte ist schon zu erkennen. Die glitschige Leiter rutschen wir beinahe hinunter. Der Boden ist völlig aufgeweicht, der Schlamm klebt an den Waden. Ein erstaunter Blick von Hüttenwirt Leo Bammer als Begrüßung- Kaffee, Kuchen und Kaminwärme zur Entspannung.
Gewitter über Österreich: Zusatztermin
Leo erzählt uns von seinen Bergen. Er ist der Ruhepol in der hektischen Wandersaison. Stets gut gelaunt, umsichtig, erfahren. Der Wirt der Welser Hütte hat’s schwer. Die Öffnungszeiten sind eng mit der Jagdsaison gekoppelt. Nur bis 15. September kann man sich an einem Sonnenbad auf der großzügigen Terrasse erfreuen. Das mit der Nordwand und dem Gewitter, taugt ihm überhaupt nicht. Wir nicken einsichtig. Als wir den Kopf wieder heben, strahlt uns die Sonne entgegen. Das darf doch nicht wahr sein. Sonnen- statt Blitzstrahl. Innerhalb weniger Sekunden. Keine Frage, wir müssen wieder raus. Pfiat di Leo, bis nachher!
Zuerst kommt der Blitz, dann kommt der Donner und am Ende kommt die Sonne. Oder gleich ein ganzer Sommer?
Das Kreuz, der Hüttenberg, muss herhalten. Es gibt keinen Wanderweg, der zum Kreuz des Kreuzes führt. Es ist also wahrlich ein Kreuz mit dem Kreuz.
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Wieder wunderbarstes Wanderwetter |
Doch sogar Kreuzweh würde sich aushalten lassen, bei dem wunderbaren Weg. Direkt am Grat der Kreuzkante, über leichte Felsen, schöne Wiesen und mit einem intimen Blick unter die felsernen Kleider der Priel-Norwand.
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Auf dem Weg zum Kreuz (2.174m) |
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Am Kreuz des Kreuzes |
Wenige Minuten nach dem Gipfelbild befinden wir uns schon wieder auf dem Weg zum Nachbarn. Der Zwillingskogel, inklusive Gipfelbuch von 1972. Fast ein Muss für Bergsteiger.
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Zwillingskogel voraus |
Als wir noch die Priel-Nordwand in Gedanken durchsteigen, donnert es erneut. Kruzifix nuamoi! (Um die leidigen Kreuz-Metaphern zu einem Ende zu bringen). Wir steigen über das Geröllfeld der Arzlochscharte ab. Nebel fällt ein, das Donnern wird lauter.
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Ein letztes Bild, bevor uns das zweite Gewitter überrascht |
Wir halten uns nicht mehr lange bei der Welser Hütte auf und donnern gemeinsam mit dem Himmel den Wanderweg bergab. Jetzt wird es richtig schlimm. Blitze schlagen direkt in die Nordwand des Schermbergs ein. Dort, wo wir vor ein paar Stunden noch geklettert waren. Der Regen schwimmt mittlerweile in der Unterhose. Langsam tasten wir uns über die stählernen Leitern hinab. Auf die Seile verzichten wir dankend. Wir haben die Forststraße erreicht und laufen, springen durch die Pfützen und laufen weiter. Der Regen nimmt uns die Sicht. Wir lachen. Lauthals. Verdammt war das toll. Wir würden’s so nicht noch mal machen. Da sind wir uns einig. Aber es war schön. Das schönste erste Date aller Zeiten. Anders wäre diese kuriose Freundschaft wohl nicht entstanden und Moritz nicht die andere Hälfte von bergaufundbergab geworden.
Schicksal, oder Zufall? Ihr könnt euch entscheiden.
DIE SCHERMBERG-NORDWAND
bergaufundbergab schreibt Geschichten, keine detaillierten Tourenbeschreibungen. Um durch diese Wand zu kommen, ist solch eine Beschreibung aber kein Nachteil. Deswegen gibt es die zweithöchste Wand der Ostalpen in Arbeitsschritten:
- Zustieg: Vom Almtaler Haus (710m) der Wegmarkierung 215 auf der Fortstraße bis zur Materialseilbahn der Welser Hütte folgen. Ab der Materialseilbahn den Weg zur Welser Hütte ca. 15min folgen. Dort wo die ersten Wegkehren beginnen, rechts auf Steigspuren 25m ins meist trockene Bachbett zum Einstieg.
- Einstieg: Einstieg bei plattigem Wandl auf 1040m.
- Unterer Wandteil: Das Wandl nach rechts querend überklettern (10m II-) und weiter über Wiesen auf den zum Teil mit Latschen bewachsenden Rücken. Am Rücken den Steigspuren folgen. Immer rechts am Rand einer Rinne höhersteigen. Einen kleinen Felsaufschwung umgeht man rechts. Der darauf folgende zweite Felskopf wird direkt überklettert (II-).
- Auf 1150m, von rechts kommt eine auffällige enge Schlucht herauf, beginnt man eine 200m lange nach rechts leicht ansteigende Querung. Dabei müssen einige Rinnen gequert werden (II-) welche oft nass und rutschig sind.
- Auf 1200m kommt man zu einer breiten Rinne die auch noch überquert werden muss. An deren rechten Rand knapp 200 Höhenmeter, bis sie sich oben zu einen Kar weitet, höher steigen (I).
- Im Kar, welches nach oben hin wieder enger wird, an der rechte Seite bis knapp unter die steilen Wände höher steigen. Dort über die nach rechts ziehenden, zum Teil mit Schutt und Blöcken bedeckten Bänder, 100m nach rechts höher steigen. Dort wo das Band schmäler wird um ein Eck und noch 20m weiter (I)
- Auf 1500m scharf links und über schrofiges Wandl mit Latschen 5m hochklettern (II-)
- Kurz rechts durch eine Latschengasse und weiter 100m in etwas flacheren Gelände leicht rechtshaltend auf einem breiten Band höhersteigen. Dort wo das Band schmäler wird dann links der Wand zuwenden und durch diese ca. 100 Höhenmeter links haltend hoch klettern (II).
- Die Wand wird sehr steil und ein auffälliger Felsturm steht an der rechten Kante auf 1650m. Auf einen Band waagrecht an seiner Rückseite vorbei und dahinter leicht links haltend einige Meter absteigen.
- Oberer Wandteil: Sobald es der Fels erlaubt wieder in schöner Kletterei bis zu einer sehr glatten Plattenrampe, dem Kirchendachl, hoch steigen (I-II).
Das Kirchendachl an der rechten Seite bis knapp vor sein Ende hoch klettern (I-II) und bei einer Gedenktafel nach links verlassen.
- Man erreicht ein riesiges Schuttfeld – den Achter – auf 1730m. Hier schöner Rastplatz mit Steigbuch.
- Hier besteht auch die Möglichkeit die Wand auf einen Fluchtweg (blau) zu verlassen. Dazu steigt man querend nach Osten, etwa 200 Höhenmeter bis zum Gamswieserl(I-II). Von dort in ca. 30min zur Welserhütte.
- Den Achter bis an sein oberstes Ende zum Teil mühevoll hochsteigen, um ihn dann am höchsten Band nach links zu verlassen.Das Band ca. 100m zu einer ansetzenden Gratrippe folgen.
- An der Gratrippe fast bis an sein oberstes Ende emporklettern (I-II / 2 Stellen III).
- Auf 2120m dann die Gratrippe links durch eine Rampe verlassen, um nach weiteren 40 Höhenmeter aus der Nordwand auszusteigen (II).
- Zum Gipfel: Über den Tassilo Klettersteig die letzten 200hm bis zum Gipfel aufsteigen.
ACHTUNG, NUR FÜR ERFAHRENE BERGSTEIGER. ORIENTIERUNG OFT SCHWIERIG!
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