Die Kälte der Nacht, die Wärme des Morgens und der Zauber eines Winterbiwaks
Sonnenaufgang auf dem Traunstein (1.691m)
03. Februar 2017
Von Gabriel Egger
Würden wir fallen, niemand könnte uns sehen. Zäher, dichter Nebel liegt über dem Traunsee. Heute ist das kein Nachteil. Denn wenn wir nicht fallen, sieht uns auch keiner.
Die Augen blinzeln, der Untergrund ist hart. Eisschollen ersetzen den Tanzlehrer, der Weg zum Einstieg des Naturfreundesteiges auf den Traunstein den Tanzkurs. Der Schein der Stirnlampe leuchtet nur einen Meter in die Dunkelheit, bis er sich darin verliert.
Alles schläft, einsam wacht der Bereitschaftsdienst der Bergrettung Gmunden. Lichter auf dem Traunstein sind oft der Grund für schlaflose Nächte. Zumeist müssen dann Ortstellenleiter Bernhard Ebner und seine Mannen den Pyjama gegen den roten Anorak mit dem grün-weißen Kreuz tauschen. Aufstehen, anziehen, einpacken, losfahren, aufsteigen- umdrehen. Denn oft gibt es dann nichts zu Bergen. Wie vor knapp zwei Jahren zu Mitternacht. Flackernde Lichter auf dem Berg. Einmal stärker, dann wieder schwach. Nicht weit entfernt von den beiden Hütten. Nervöse Anrufe aus Gmunden, Nachtschwärmer auf der Esplanade befürchten Schlimmes. Bei der Bergrettung scheppert das Telefon. “Sieht das denn keiner, da ist jemand in Gefahr”.
In Gefahr war nur Ebners Schlafrythmus. Jugendliche aus Lambach bei Wels hatten probiert, ob ihr mitgebrachter Scheinwerfer 25 Kilometer weit bis nach Hause sichtbar ist. Keine Erleuchtung. Das Licht hätte ihnen anderswo aufgehen sollen.
Einsatzort Traunstein. Auch nachts |
Nur einsames Knirschen
Der Neuschnee hat sich unangenehm über die Felsen gelegt, jeder Schritt ist ein Gedankenspiel. Die eisige Kälte kriecht unter die Haut. Das Eis zwischen uns ist längst geschmolzen. Roberts Geschichten erhellen die düstere Atmosphäre. Von den Bergen die er bestiegen und von denen, die er überwunden hat. 20:15 Uhr. Primetime auf 700 Metern Seehöhe. Langsam wird es heller. Aber nur langsam. Wir beschleunigen den Schritt, endlich raus aus dem Dunst. Keine Kondensation mehr, lieber Sterne, Mond, Nachthimmel, Eulen, Schnecken und Fledermäuse.
Die Nacht präsentiert sich beim Aufstieg über den Naturfreundesteig |
Der Schritt aus dem Nebel befreit den Geist. Die Stille darüber lässt sich auch durch das Knirschen der Schuhe im gefrorenen Schnee nicht vertreiben. Der strenge Winter wenige Meter darunter ist vergessen. Es ist warm, der Wind säuselt nur leise am Ohr vorbei und die Felsen sind nackig. Weg mit dem unschuldigen Weiß. Gut, dass wir die leichten Schuhe anhaben.
Die Lampen auf unserem Kopf beleuchten die Föhren. Niemand, der uns hier bemerkt. Außer die Gams, die mit ihren leuchtenden Augen bergan huscht. Wie oft ich den Tag verfluche, an dem die Neugier über die Angst gesiegt hat und der erste Horrorfilm mein kindliches Gemüt zerstörte.
Doch hier kann uns nichts passieren. Kein Traunkirchner, der sich Sorgen machen müsste. Kein Ebenseer, der seine Blase mit Kummer entleeren muss. Auch Altmünster und Gmunden dürfen schlafen. Wir nicht, wir haben noch einige Meter bis zum Naturfreundehaus auf 1.580 Metern.
Im Windschatten
Die Lichter bleiben im Nebel gefangen |
Oben ist die Welt klein, aber das Gefühl groß. Der Mond strahlt sanft durch die Schleierwolken. Auf dem Feuerkogel brennt noch Licht. Hochzeit der Hormone beim Apres-Ski, oder ein einsamer Wirt, der in sein Büchlein schreibt?Das Biwakzimmer im Naturfreundehaus ist, wie erwartet, menschenleer. Zwei Kisten Bier, Apfelsaft, ein Stockbett mit drei Betten, Decken und eine gezimmerte Holzbank. Das reicht. Das Blinken des Brandmelders ist neben dem Mond, der durch das einzige Fenster scheint, unsere Lichtquelle. Draußen hat der Wind zugelegt, rüttelt lautstark an den Schindeln.
Die Tür (ganz links) zum Biwakraum steht offen |
Der kleine Raum liegt im Windschatten. Der Tee, den Robert 1300 Höhenmeter durch die Nacht geschleppt hat, ist noch warm. 22.00 Uhr auf dem Traunstein. Nichts, außer wir, die stillstehende Zeit und die Dunkelheit.
Die Nacht über dem Lichtermeer |
Ich lege mich mit einer Decke in den Schnee. Unter mir das Licht des Alpenvorlandes, ober mir das Licht der Sterne. “Sieh hoch zu den Sternen. Die großen Könige der Vergangenheit sehen von dort auf uns herab. Und wenn du dich einsam fühlst, denk immer daran, dass dir diese Könige den Weg weisen werden”, hat Mufasa zu seinem Sohn Simba gesagt. Wahrscheinlich gibt es bedeutendere Zitate in dieser Situation, als die eines Zeichentricklöwen. Ob da oben wirklich jemand auf mich herabschaut? Womöglich Walt Disney selbst.
Die Bierflaschen klimpern, dann das Geld in der Kassa. Hüttenwirt Kurt Resch wird sich freuen.
Rückkehr des Tages
Die ersten Anzeichen des neuen Tages |
Dem leuchtenden Gipfel entgegen |
Sonnenaufgang auf dem Traunstein |
Sanftes Orange. Die Müdigkeit weicht langsam, die warmen Strahlen vertreiben die Kälte aus dem Körper, tauen die kalten Glieder wieder auf. Ein neuer Tag ist erwacht. So selbstverständlich, so schön. Wie viele andere Dinge, die wir nicht mehr wertschätzen, weil sie gewöhnlich sind, ohnehin dauernd passieren und sich damit keine Geschichte erzählen lässt.
Ein farbenfrohes Naturschauspiel |
Das Tote Gebirge im weiß-roten Teint. Lenzing schickt dampfend die ersten Morgengrüße, die Vögel wähnen sich zwitschernd im Frühling. Der Dachstein lässt keinen Zweifel an der alpinen Hierarchie aufkommen. Ehre, die Königen gebührt.
Die Rückkehr des Tages |
Ein kurzer Blick ins Gipfelbuch, dann geht es wieder abwärts. Hinein in den Nebel, hinein in den Alltag, hinter den Schreibtisch, hinaus aus der Zwanglosigkeit.
Robert Riesinger und Gabriel Egger: Biwak auf dem Traunstein |
Zurück in den Tag |
Das Gefühl, aus einem gewöhnlichen Freitag etwas Besonderes gemacht zu haben, nehmen wir mit. Im Eiltempo, denn Robert will sich nicht verspäten. Freiheitsliebend, aber pflichtbewusst. Vielleicht die richtige Mischung, um sich vor den Druckwellen des Alltags zu schützen.
Salzkammergut, frühmorgens |
Nur eine Stunde später sind wir zurück beim Auto. Die Felsen haben sich wieder angezogen, diesmal sogar einen Panzer angelegt. Wir stehen mit dem Bauch, nicht mit dem Rücken zur Wand und klettern behutsam nach unten.
Bis bald, 10000-Sterne-Hotel |
Ein letzter Blick |
Auf der Heimfahrt lichtet sich der Nebel, der Traunstein glänzt. Die Sonne beleuchtet seine Kurven. Ein echtes Model. Viel wird heute nicht los sein, in der Höhe. Einige wenige Bergsteiger werden sich auf das verschneite Plateau wagen, die Augen schließen und sich in den Tag träumen. Ein paar Stunden lang, bis sich der Dunst wieder über den See legt, den Blick versperrt und zwei Welten erschafft. Oben, dort wo niemand hinsieht. Und unten, wo die Männer der Bergrettung dann ruhig schlafen können.
BIWAKIEREN UND ZELTEN IN ÖSTERREICHS BERGEN
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