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Rund um’s Salzkammergut : der erste Tag
Unterwegs am Berge-Seen-Trail

Rathausplatz Gmunden- Gmundnerberg- Grasberg- Hochsteinalm- Kreh- Feuerkogel- Rieder Hütte- Grünalmkogel- Hochleckenhaus- Stieg- Steinbach am Attersee (48km/3100hm)

Text von Gabriel Egger 
Fotos von Florian Böttcher, Gabriel Egger und Christoph Kainrath 




Zwei Gefühle werden immer stärker, nur durchsetzen kann sich keines. Bis sie sich vermischen. Genauso wie die schwarzen und weißen Wolken, die sich ganz langsam über Gmunden schieben, und die ersten zaghaften Versuche der Sonne sie zu durchbrechen im Nebel ersticken.

Da ist dieses eine Gefühl, das ein Kind hat, kurz bevor an Heiligabend das Glöckchen läutet. Dieses Strahlen in den Augen. Und da ist dieses andere Gefühl, das ein Maturant hat, kurz bevor er den Raum betritt, in dem die mündliche Abschlussprüfung stattfindet. Dieses Schwitzen in den Händen.

Samstag, 2. Juni, 05.22 Uhr. Die Gmundner OKA-Siedlung schläft noch. Die Jalousien, die den Blick in die verträumten Stuben versperren, bezeugen das stumm. Hier beginnt unsere Reise. Der Asphalt ist nass und riecht nach warmem Sommerregen. Wie wir nach sieben Tagen riechen werden, wollen wir uns nicht vorstellen, als wir langsam Richtung Rathausplatz traben. Zu Fuß rund um das Salzkammergut. Das ist unser Plan.  Mit Christoph, einem echten Goiserer, die Grenzen des Salzkammergutes zu diskutieren, habe ich bereits vor unserer Rundreise aufgegeben. Bis Ebensee sei ohnehin alles “Wienerwald”.

Heute soll es von Gmunden, wo die Keramik klirrt und die Schwäne schnattern, nach Steinbach am Attersee gehen. Also nicht es, am besten wir. 50 Kilometer und 3000 Höhenmeter haben wir uns ausgerechnet. Dass das alles Milchmädchenrechnungen sind, die wir im Vorhinein angestellt haben, werden wir bald leidvoll erfahren.

Vollbart statt Vollbad

Der Wettergott ist gnädig. Er hat uns statt dem prognostizierten Vollbad nur einen Vollbart geschickt. Florian,  36 Jahre, stramme Wadeln, wenig Haare am Kopf dafür viele im Gesicht, ein großer Fan der kleinen Mühlviertler Hügel. “Wir begleiten euch, solange wir euch nachkommen”, sagt Manuel, der sich mit einem freundlichen Lächeln neben Florian zum Empfangskomitee postiert hat. Wohlwissend, dass er es das mit seinen langen Beinen ohne Probleme bis zum Ende der ersten Etappe schaffen wird.  Die Überraschung ist den beiden gelungen. Vier statt zwei. Verdoppelte Freude also.05.41 Uhr. Dort, wo  Gmunden am Vorabend noch zu den Melodien von Revolverheld gerockt hat, kann man jetzt den eigenen Atem hören.  Die Ruhe nach dem Rock am Rathausplatz. “Also, nicht zu schnell, genießen wir es”, sagt Christoph mit einem Blick, der mir verrät, dass er lieber: “Renn ja nicht los wie ein Irrer” gesagt hätte. 05.44. Los geht’s. Einmal rund um das Salzkammergut. Minute 1 von 10.000. Das Gefühl hat sich endgültig entschieden: das Kind an Heiligabend darf endlich unter die große Tanne.

Endlich geht es los. 

Die Halme der nassen Wiesen kitzeln die Beine, als wir endlich den Anstieg zum Gmunderberg erreichen. Endlich, weil wir den Asphalt hinter uns gelassen haben. Und endlich, weil wir uns schon auf den ersten Metern verlaufen haben. Dabei sollten wir die Strecke  doch längst  kennen. Der Bergmarathon rund um den Traunsee raubt uns auf diesen Metern jährlich die letzte Energie. “Ist halt alles anders in die umgedrehte Richtung”, sagt Florian, während er mit seinem Handy den Traunstein ablichtet, der sich noch ganz müde unter seiner Schlafhaube versteckt.

Beim Anstieg zum Gmundnerberg
Der Traunstein möchte noch nicht geweckt werden

884 Meter Seehöhe. Ein großes hölzernes G erwartet uns auf dem Gipfel des Gmunderbergs. G wie geschafft. Oder besser: G wie gerade noch am Anfang. Wir blicken zum ersten Mal zurück. Auf Gmunden, das schon ein bisschen aufgeweckter wirkt, und auf die Außentaschen unserer Rucksäcke. Ein Liter Wasser, aufgeteilt in zwei kleine Flaschen, steckt darin. Sie sind unser wertvollstes Gut, kostbarer als Gold, Silber und Bronze.

Mit Manuel am Gmundnerberg. Der Traunstein ist aufgewacht. 

Wie vier Indianer auf Spurensuche durchkämmen wir das hohe Gras am Gmundnerberg. Bis es bergab geht, zum nächsten Berg, zu dem das mit dem Gras besser passen würde.

Vom Gmundnerberg…
….im hohen Gras
….zum Grasberg

Die Hölle öffnet ihre Pforten

Richtig altmodisch sind wir. Kein GPS-Track, nur Kartenmaterial. Kein Problem, wir kennen die Gegend. “Halt, da müsste es doch links gehen”. Zu früh auf die eigene Schulter geklopft.
Der Spaß ist groß, der Schmäh tut es am Grasberg den Beinen gleich: er läuft. Und läuft. Bis zur Abzweigung Richtung Hochsteinalm. “Mist, wieder falsch”. Vier Männer auf Reise. Mehr als 21 Kilometer haben sie bereits zurückgelegt. Himmlisch fühlen sie sich. Die Wolken  aber haben genug vom Himmel, immer schneller schweben sie ins Tal herab, benebeln zuerst die Wandfluchten, dann die Bäume, dann unsere Sinne. “Das gibt’s ja nicht. Was ist denn das schon wieder?” Ein Abenteuer. So soll es sein.
Ein Auge, das nicht ständig an Oberflächen hängt, auf denen Finger eine Informationslawine loswischen, schärft sich wieder für Natürliches. Für den gelb-schwarzen Salamander, der die Regenzeit für einen Ausflug nützt. Für die Blätter der Bäume, von denen dicke Tropfen auf den verwurzelten Untergrund fallen. Für den Gesprächspartner, dem der Rotz in immer kürzeren Abständen aus der Nase tropft.
Kurz vor der Hochsteinalm geht es hinab zum Gasthof Kreh. Wir laufen, summen, singen, ja springen sogar vor Freude.
Auf schmalen Wegen hinab zum Gasthof Kreh

Dann spricht niemand mehr ein Wort. Die Anstrengung hat sich von den Beinen in die Stimmbänder hinauf gearbeitet. Steil ist der Weg auf den Feuerkogel. Steil und beschwerlich. Wen wundert’s? Es ist der Weg in die Hölle. Zu den Felsen aus Karst mit ihren riesigen Löchern, zu den Latschen, die, wenn man sie zu sehr in die Mangel nimmt, auch gerne mal zurückschlagen. Heiß kann es sein in der Hölle. So heiß, dass man den Winter, den man vor wenigen Wochen noch verflucht hat, mit scheinheiligen Gebeten herbeisehnt. Heute nicht.Heute wird das Höllengebirge zwischen Traun-und Attersee vom Himmel geküsst. Zuerst erinnert dieses Bussel an die Zeit, in der wir das mit dem Küssen  noch lernen mussten: unbeholfen, forsch, nass.

Am nicht enden wollenden Plateau bekommt die Wolkendecke einen Riss: endlich blitzt die Sonne hervor. Zuerst ganz sanft, dann mit voller Leidenschaft. Jetzt hat der Himmel das Küssen gelernt.
Von der Kreh hinauf ins Höllengebirge
Ein tierisches Vergnügen 
Im Höllengebirge wird es himmlisch
1592 Meter Seehöhe. Im Berggasthof Edelweiß lassen wir uns auf der hölzernen Bank nieder, versüßen uns den Vormittag mit Coca Cola.  26,5 Kilometer und 1940 Höhenmeter liegen bereits hinter uns. Halbzeit. Austrinken, weiter geht’s. Nur auf’s Essen habe ich vergessen. Mein Magen beschwert sich so laut, dass die Salamander aus Angst vor einem Angriff wieder zurück in ihr Versteck flüchten. Essen und Trinken. Auf keiner Bergtour war das elementarer.
Auf dem Weg zur Rieder Hütte spielt der Himmel alle Stücke: Regen, Wolken, Sonne. Und weil’s sonst monoton wird, gleich nochmal in anderer Reihenfolge: Sonne, Wolken, Regen.
Unterwegs zur Rieder Hütte 
Wer findet das Männchen in den Latschen? 

1762 Meter Seehöhe. Auf der Rieder Hütte warten wir. Auf Florian, der noch einen Abstecher auf den Großen Höllkogel unternommen hat. Nicht ganz freiwillig. Wenn doch überall diese rot-weiß-roten Markierungen sind!  Eine Kaspressknödelsuppe und ein Radler überbrücken die Wartezeit. Wirt Jochen Holtmann serviert sie. Mit seiner Susanne hat er das Abenteuer Höllengebirge gewagt, erst seit einer Woche ist die Hütte sein zweites Zuhause und die Gämsen, die sich lautstark durch die dichten Bergkiefer zwängen, seine Haustiere.

Der Himmel spielt uns alle Stücke

Während wir gefragt werden, wo wir denn losgelaufen seien, hat auch Florian das Zwischenziel erreicht. Das nächste ist bereits auf der knallgelben Tafel angeschrieben: Hochleckenhaus. 4 Stunden.

Ein Schluck aus der Pulle, bevor es weitergeht. Das schwarze S steht für Salzammergut-Trail und für unsere Reise
Die Rieder Hütte (links im Bild) verschwindet in den Wolken

Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Bei jedem Schritt ändert sich das Bild, das uns Himmel und Höllengebirge in Zusammenarbeit malen. Dunkelgrüne, trockene Latschen, scharfe Felsen, die es auf  unsere Trailschuhe abgesehen haben und das satte Blau des Langbathsees, der eingeschlossen zwischen Felswänden wie ein echter Gebirgssee wirkt.“Langsam hängt es sich an”, sage ich zu Christoph, dessen Beine sich nach einem langen Abstieg gerade lautlos wieder auf den nächsten Anstieg vorbereiten. “So moanst”, sagt er. Was das in diesem Zusammenhang genau heißt, wissen nur die Goiserer.

Der Langbathsee, links der Abstieg über die Hirschlucke 

Trotzdem, den höchsten Berg des Bezirkes Vöcklabruck können wir nicht auslassen. Der Grünalmkogel, 1821 Meter hoch, wartet mit einer besonderen Attraktion auf: Holzkisten wurden so montiert, dass der Gipfelaspirant sie erst als Kreuz wahrnimmt, wenn er direkt davor steht.

Auf dem Weg zum Grünalmkogel
Rechts oben der Gipfel 
Das Gipfelgebilde am Grünalmkogel

Ein angenehmer Wind schiebt zuerst unsere Haare und dann die Wolken über dem Traunsee beiseite. Dass dieser Weg ein weiter sein wird, wussten wir. Wie weit, können wir jetzt zum ersten Mal sehen. Nur schemenhaft ist unser Ausgangspunkt zu erkennen. Immerhin kratzen wir bereits an der 40-Kilometer-Marke.

Vom Nordufer des Traunsees sind wir heute früh gestartet
Wasser, unser größter Schatz

Auf dem Weg zum Hochleckenhaus treffen wir Bekannte, sprechen mit Fremden, laufen, wandern, steigen und ja, ein bisschen fluchen wir auch. Obwohl wir das im Pfaffengraben, der  mit seinem geistlichen Namen ein Stück Himmel in die Hölle bringt, gar nicht dürften. Doch gerade der ist alles andere als gesegnet. Zuerst 300 Höhenmeter bergab, bevor es gleich steil 300 Höhenmeter wieder bergauf geht. Schweiß läuft in die Augen, das Stirnband ist mit der Verarbeitung längst überfordert.

Siebeneinhalb Stunden sind wir jetzt unterwegs. Wir haben viel gelacht, gerastet, sind viel gelaufen und gegangen. Wir dürfen den Luxus der Zeitlosigkeit genießen. Die spielt keine Rolle. Naja, zumindest unsere Pension in Steinbach sollten wir erreichen, bevor die Nacht über das Höllengebirge hereinbricht.

Hochleckenhaus voraus 

So ein stolzer Gockel. Nicht Christoph, der sich gleich zwei Getränke auf einmal bestellt und sich auf der Sonnenterrasse niederlässt. Sondern, der Hahn, der mit seinem dunkelrotten Kamm und dem frechen Gegackere unter den Tischen durchschlurft und dabei seine Damen zusammentrommelt. “Her mit meine Henna, der Gockala is do!”

Ungewöhnlich ruhig ist es in 1572 Meter Seehöhe. Noch kein großer Andrang heute, Wirt Wolfgang Auinger kann die Betten für die vielen Nächtigungsgäste aufschütteln. Wir schütteln unsere Beine aus, denn jetzt folgt die Schlussetappe, bevor sich die Wege des Quartetts trennen werden. Florian und Manuel werden die Überschreitung bis nach Weißenbach am Attersee zu Ende bringen, wir steigen über den “Stieg” nach Steinbach am Attersee ab.

Beinahe Endstation: Da freuen sich die Buben.
Abstieg vom Hochleckenhaus über den Weg zur Kienklause

Der Himmel öffnet seine Pforten

Noch fühlt sich alles an, wie eine ganz ganz lange Tagestour. Noch sind wir nicht endgültig eingetaucht in die Traditionen, die Unterschiedlichkeiten und Gemeinsamkeiten des Salzkammergutes. Noch freuen wir uns, dass es morgen früh weitergeht. Wir freuen uns auf den Sonnenaufgang, auf die Seen, die wir, ohne uns abkühlen zu können, nur von oben sehen werden und auf die Menschen, die unseren langen Weg kreuzen werden.
Jetzt heißt es vorerst Abschied nehmen. Manuel und Florian nehmen noch einen Anstieg, wir nehmen uns Zeit, um den Blick auf den Attersee zu genießen, in dem sich gerade die umliegenden Berge spiegeln.
Die Wege trennen sich: Gabriel, Manuel, Florian und Christoph (v.l.n.r)
Während es für Manuel und Florian noch auf den Dachsteinblick geht…
…steigen wir auf schmalen Weglein über das “Stieg” nach Steinbach ab
Es dauert nicht lange, dann erreichen wir den Asphalt, der die Zivilisation ankündigt. 46 Kilometer waren es bis hierher, zwei weitere sind es bis zu unserer Pension.
Wir erreichen Steinbach am Attersee
Die Schuhe müffeln, als ich sie nach 48 Kilometern und 3100 Höhenmeter auf unserem Balkon in der Pension Reichl ausziehe. Sie müffeln so sehr, dass ich beschließe sie auszutauschen. Arme Steffi. Sie wird sie nach Hause transportieren müssen.  Die Organisation für diese lange Reise war nicht leicht. Zum Glück haben wir so gute Freunde. Ein Sackerl Frischwäsche, Energieriegel und neue Motivation liefern sie uns täglich in die verschiedensten Orte im Salzkammergut.
Für den deutschen Urlauber am Nebentisch bin ich ein Monster. Ein Vorspeisenteller und eine große Pizza in zehn Minuten. Dann öffnet der Himmel seine Pforten. Das Wasser fließt über den Ortsplatz in Steinbach, ertränkt die Sonnenschirme und peitscht ungestüm an die beschlagenen Fensterscheiben. Der Himmel hat das mit dem Küssen doch nicht gelernt.
Während Österreichs Nationalteam Deutschland 2:1 besiegt und das Land ein neues Cordoba feiert, stellen wir unseren Wecker. 6 Stunden 11 Minuten. Also dann, gute Nacht. Bis morgen, Salzkammergut.