Namen machen Berge.


Einsame Runde im Höllengebirge:


Großer Totengraben (III) – Mittlerer Kesselgupf (1822m)- Rieder Hütte (1740m)- Eiblgupf (1813m)- Hirschlucke (I-II)

Von Gabriel Egger





Leonardi Di Caprio, Johnny Depp, Scarlett Johansson. Klingende Namen, mit denen nicht nur Filmfans  Glanz und Glamour verbinden. Sie sind Stars, leben im Überfluss, werden begehrt. Einmal so sein wie Rihanna, oder Bruce Springsteen. Ob auch der Kern so schön wie die Schale ist, interessiert uns nicht. Namen machen eben Leute.

Mit den Bergen verhält es sich da gar nicht anders. Tausende strömen zum Großglockner, für das Matterhorn könnten bereits Platzkarten verteilt werden und den Mont Blanc gibt es nicht einmal für hartnäckige Nebelspazierer alleine. Routen wie der “Hörnligrat” oder der “Steinerweg” lassen  die Finger kribbeln und die Abenteuerlust steigen. Namen, die Geschichten erzählen, Katastrophen und Erfolge verbinden, neugierig machen.

Und dann ist da der Totengraben. Klingt nach Verderben, nach Dunkelheit, nach einem Ort, zu dem niemand freiwillig emporsteigen will. Tastsächlich sind es nur eine Handvoll Bergsteiger, die sich in diese wilde Ecke des oberösterreichischen Höllengebirges wagen. Dabei sind es – abgesehen von der schattigen Lage- sonnige Stunden, die versierte Begeher dort verbringen können.

Der Einstieg zum Großen Totengraben

Vorausgesetzt sie finden den richtigen Zustieg. Und der beginnt bereits beim Parkplatz am Hinteren Langbathsee knifflig zu werden. Dort, wo sich Badegäste tummeln, verliebte Paare das Gewässer umrunden und auf ein ruhiges Plätzchen für romantische Stunden hoffen, und der Opa den Enkerln die Bergwelt erklärt, liegt der Totengraben versteckt. Zuerst hinter einem Schranken, den Christoph elegant umtänzelt. Gelernt hat das der gebürtige Goiserer auf den beschwingten Festen im Salzkammergut. Gleichgewicht war da bis spät in die Nacht hinein hilfreich.

Wir folgen der Forststraße entlang des Kaltenbachs bis zu einer Gabelung. Wir entscheiden uns – ohne politisch zu werden- für die linke Richtung, bis wir den höchsten Punkt des Talschlusses erreichen- der Einstieg zum Großen Totengraben. Fernab von der “Begegnungszone” Höllengebirge, die sich von der Seilbahn auf den Feuerkogel bis zum Klettersteig auf den Aberfeldkogel erstreckt , ist hier die ursprünglichste aller Bergsteigereigenschaften gefragt: a Gspia!

Schotter und steile Wiesen prägen die Gehminuten bis zur ersten griffigen Felswand. Eine Höhle lenkt die Aufmerksamkeit auf sich, das Seil dorthin verleitet sogar. Doch das Nahe liegt so fern. Wer nicht plötzlich im vierten Schwierigkeitsgrad landen will, klettert vor der Höhle rechts empor.

Die Höhle zu Beginn des Totengrabens. Hier wendet sich der intelligente Geher nach rechts
Haken und rote Farbe leiten den Weg

Die rote Farbe auf den Felsen ist trotz des erschreckenden Namens dieser Route kein Blut und führt bei genauem Hinsehen ohne große Orientierungsprobleme durch die schattige Nordseite. Zahlreiche Bohrhaken geben auch Anfängern die Möglichkeit einmal mit dem Sensenmann durch seinen Graben zu steigen. Nur erwischen lassen dürfen sie sich nicht.

Eine abschüssige Querung

Bevor die ersten wirklich anspruchsvollen Stellen unter die rauen Finger kommen, quert der mutige Begeher auf einem abschüssigen Band in einen Kessel. Wasser tropft von den Steinen, Gehgelände entspannt Kopf und Beine.

Die ersten kurzen Seile

Die bunten Seile, die farbenfroh über die Felsen hängen, sind zwar für die Augen schön, im unteren Bereich des Grabens aber helfen sie nicht viel. Hier ist es ratsam die kurzen Stellen im III. Schwierigskeitsgrad mit beiden Händen an den Felsen zu absolvieren.

Einmal noch die Hand ans Seil, dann geht es los

Die Kletterei ist schön, der Fels genauso fest, wie die Überzeugung hierher zurückzukommen. Und kaum sind wir der Vertikalen entflohen, finden wir uns in einem völlig anderen Ambiente wieder. Ein blühender Kessel inmitten der unwirtlichen Wände. Wiesen, Blumen, Gemütlichkeit. Hier lässt es sich aushalten.

Die letzten Meter auf den schwierigeren Kletterstellen
Steil fällt die Wand hier ab

Der Tod begleitet uns. Nicht Christoph und mich auf dieser zauberhaften Route, sondern uns Bergsteiger. Auf Schritt, Tritt und Griff.  Der Name des Weges lässt mich immer wieder daran denken. Daran, dass es jederzeit vorbei sein könnte. Berufsrisiko würde man in der Arbeitswelt sagen.

Ihr kennt das doch. Menschen, die jede Fotocollage mit einem Zitat eines schlauen Denkers versehen, um sich selbst ein bisserl gscheiter zu fühlen. Oder Herzschmerz hinter einem Spruch verstecken, um nicht öffentlich zu trauern, aber doch ein bisserl Mitleid zu erhaschen.

Lohnt es sich denn?” fragt der Kopf.”Nein, aber es tut so gut!” antwortet das Herz. So einer zum Beispiel.  Oder: Ich finde, mein Vorname paßt gut zu deinem Nachnamen! Ach nein, Blödsinn, das war mein Anmachspruch von vergangener Nacht.

Worauf will der Halblustige hinaus? Darauf, dass es  Menschen gibt, die wirklich einmal etwas so Wertvolles gesagt haben, dass es sich lohnt es immer wieder zu zitieren. Rauschebart Reinhold Messner zum Beispiel. “Wir gehen dorthin, wo wir umkommen könnten, um nicht umzukommen. Das ist völlig schizophren. Aber das, was dabei herauskommt, nämlich das Gefühl des Wiedergeborenwerdens, kann ich nur bekommen, wenn ich vorher durch die Hölle gehe. Dann wird uns erst klar, wie wertvoll dieses nackte Leben ist.” Das passt doch irgendwie. Immer.

 

Der idyllische Kessel

Nach dem idyllischen Gehgelände folgt der Einstieg in eine Rinne, zuerst leicht, dann immer schwerer. Auch hier erleichtern Seile den Aufstieg. Die Schlüsselstelle erreichen wir kurz nach dem Routenbuch, das Eintragungen aus den 80er-Jahren vorzuweisen hat. Ob damals ABBA als Motivator diente? Die Stelle ist kurz, aber knackig. Ohne Seile definitiv III+ und abdrängend. Zuerst ohne einen Griff ins Bunte, später mit einem herzhaften Zug, stehe ich über Christoph, der auch erst auf dem letzten Meter ans Seil greift. Spannend!

Die Schlüsselstelle von unten
Und von oben

Dann ist die Magie des Totengrabens verflogen. Rote Punkte leiten direkt zum Wanderweg. Ein Blick reicht, um den rot-weiß-roten Markierungen heute eine Absage zu erteilen. Eine wunderschöne Felswand baut sich vor uns auf, traumhafte Wasserrillen, trocken und warm. Die nehmen wir!

Die Kletterei geht in die Verlängerung, zwar nicht schwierig, aber sehr lohnend. Beim Ausstieg ist jedoch die Orientierung um einiges schwieriger, doch hauptsächlich gilt: immer der Nase nach. Denn den Duft der Rieder Hütte können hungrige Bergsteiger bereits aus der Ferne wahrnehmen.

Wunderbare Wasserrillen
Nie schwieriger als II geht es aufwärts

Die Rieder Hütte ist ein wahres Schmuckstück. Verborgen im Inneren des Höllengebirges, bayerische Pächter, die nicht auf den Mund gefallen sind und eine kleine aber feine Auswahl an Speisen und Getränken. Ohne der Seilbahn-Touristen aber hätte die Hütte  kaum eine Chance hier zu überleben. Wirtschaftlich natürlich. Der Totengraben ist schließlich Geschichte.

Um wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren, empfiehlt es sich nicht diese heikle Geschichte zu wiederholen – das lohnt sich übrigens auch in Politik und Gesellschaft nur ganz selten.

Andere Berge haben auch schöne Gräben. Der Name ist mit der “Hirschlucke” jetzt zwar nicht mehr ganz so verführerisch, ein Abstieg über den schön angelegten Steig ist dennoch ein kleines Abenteuer.

Hans Costa heißt der Mann, der Bergsteigern den Rückweg über den Totengraben erspart hat. Bis zu seinem 87. Lebensjahr hat er den Hirschluckensteig gewartet, das liebevoll gestaltete Routenbuch zeugt davon. Zu alt sei er geworden, ein Jüngerer solle das übernehmen, schrieb er 2010. Das dürfte passiert sein, denn die Orientierung wird  dem Begeher durch Markierungen und Seile leicht gemacht.

Um aber zur Hirschlucke zu kommen, folgt zuerst ein langer Hatscher über das Plateau. Wir nehmen die Gipfel von Kesselgupf und Eiblgupf mit und steigen bei einem Stein mit der Aufschrift “HL” (das steht für Hochleckenhaus, nicht für Hirschlucke – auch nicht fur HinunterLebend) in den Graben ein.

Der Mühen Lohn: ein famoser Ausblick
Vorbei am Kesselgupf…
…und dem Eiblgupf geht es zur Hirschlucke
Beim Steigbuch auf 1410 Meter Seehöhe

Der Hirschluckensteig ist im Vergleich zum Totengraben harmlos. Ein paar kurze Kletterstellen, viel Schotter, aber mystisches Ambiente. Nur der Schlussteil, hinunter zur namensgebenden Höhle, ist etwas anspruchsvoller. Wer keine Höhenangst hat, sollte sich aber über die abschüssigen Querungen hanteln können.

Abstieg durch die Hirschlucke
Abschüssige Querungen
Abstieg im Schotter 

Über einen Schotterhang erreichen wir wieder die Forststraße und können die Beine bei einem langen Marsch über eben jene lockern. Der Langbathsee animiert noch zu einem kurzen Entspannungsbad, bevor sich die Runde beim Parkplatz wieder schließt. Neugierige Spaziergänger erkundigen sich, ob wir denn vom alles beherrschenden Brunnkogel kommen: “Nein, vom Totengraben”. “Wow, klingt gefährlich”. Namen machen eben auch Berge.