Sie waren erst ein paar Tage unterwegs, da wurden sie bereits gescholten.

Red Bull der Lange Weg brauchte nicht lange, um in die Kritik zu geraten.

Warum eigentlich?

Ein Kommentar von Gabriel Egger 







Die Vorgeschichte ist 41 Tage lang, und trotzdem schnell erklärt: Am 21. März 1971 brachen vier österreichische Alpinisten und Bergführer auf, um den Alpenhauptkamm zu überqueren. Auf Ski, zu Fuß und ohne Pause. Robert Kittl, Klaus Hoi, Hansjörg Farbmacher und Hans Mariacher wollten vom Schnee zum Meer. Von der niederösterreichischen Rax ins französische Nizza. Rund 85.000 Höhenmeter und 2000 Kilometer. Auf den Meter genau kann das niemand sagen, “Ambit” und “Fenix” hatten noch nicht sprechen gelernt. Ein Begleitfahrer, 200 Kartenblätter und hochgebirgstaugliche Langlaufski: auf los geht’s los.

Am 29. April hatten sie den Weg und zusätzlich die höchsten Gipfel der Alpen hinter sich gelassen. Klettern am Meer, ein offizieller Empfang und: fertig.

17. März 2018: dasselbe Spiel, dieselben Regeln. Angepasst an die heutige Zeit. Bergführer Helmut Putz aus Bad Goisern war von der alpinistischen Reise Anfang der 70er Jahre so begeistert, dass er sie selbst umsetzen wollte. Aber: kein Partner, nicht das nötige Kleingeld. Conclusio: Sponsor, mediale Berichterstattung, Videos, Livestreams. Wie das halt so ist, im Jahr 2018.  So schickte er – das nötige Kleindgeld beisammen- sieben Athleten, die vorrangig im extremen Ausdauersport beheimatet sind, los, um den langen Weg einen Tag kürzer zu machen. Vier Camper, ein Haufen an GPS-Daten und die beste hochgeschwindigkeitstaugliche Ausrüstung: auf los geht’s los.

Mit RedBull als Hauptsponsor und  der Vorgabe einen neuen Rekord zu erlaufen, zu ersteigen und zu erklettern, stieg man in Reichenau an der Rax in die Bindung.

Schnelle Route, schnelle Kritik

Sie waren keine Woche  unterwegs, da wurden die ersten kritischen Stimmen laut. Die schrien vorrangig: “Andere Route, Rekord versaut!”. Der Hintergrund: Das Team nahm den Weg über das Tote Gebirge, nicht über den direkten Alpenhauptkamm in die Niederen Tauern. Und: sie ließen die Gipfel aus. Zuerst den Großen Priel, dann den Dachstein. Warum? Zu wenig Alpinisten, zu viel Rennmaschinen? Wenn es nach den Schreiern ging: “auf jeden Fall!” Die Realität sah anders aus.

Eigentlich sah sie gar nicht aus, weil man sie nicht sehen konnte: dichter Nebel, Schneefall, Wolken, Wind. Jetzt hätte man natürlich warten können. Einen Tag, zwei Tage, drei Tage, eine Woche. Oder: man nimmt einen anderen Weg, der zwar nicht der Originalroute folgt, aber zumindest der Idee- und der sicher ist. Immerhin hatte man eine Zeitvorgabe.

Hätte man sich an dieser Stelle entschieden, das Projekt umzuwandeln, diese Vorgabe wegzustreichen und wirklich der Route von 1971 zu folgen, wären die Kritiker verstummt. Freilich nicht alle, aber zumindest ein großer Teil. Aber man ging weiter, weil man die Chance sah, doch noch das zu erreichen, was man sich vorgenommen hatte.

Genauso wie  Wolken, Nebel und Schneefall weiterzogen und die Athleten auf ihrem weite(re)nWeg nach Nizza begleiteten. Und wieder gab es Wegänderungen, wieder wurde auf Gipfel verzichtet. Jetzt stellt man sich natürlich die äußerst schwierige Frage: Lieber bei Lawinenwarnstufe Vier  ins Hochgebirge gehen und für die exakt selbe Routenwahl das Leben riskieren? Oder diese Gefahrenbereiche umgehen, und wieder sicher im nächsten Ort ankommen? Ja, wirklich schwierig.
Gegen das lange Zuwarten hatte man sich ja bereits entschieden.

“Man hat sich an das Reglement zu halten!” hieß es wieder. “Ihr zerstört den Geist von 1971” Manche gingen sogar so weit, dass sie den täglichen Kampf mit Wind, Wetter und dem eigenen Körper als “Eventtourismus” bezeichneten. Sie machen ja etwas, was bereits gemacht wurde. Also: alpinistisch nicht wertvoll, fad, Sondermüll. Nächstes mal einfach bei RUEFA buchen.

Der lange Weg 2018 

Aber betrachten wir diese Diskussion einmal ohne Emotionen, sachlich und objektiv: Ist es nicht eigentlich so, dass der Geist von 1971 gerade wegen der Wiederholung 2018 weiterlebt? Wäre die außergewöhnliche Geschichte der vier Herren (die das wahrscheinlich gar nicht wollten) noch einmal so an die Öffentlichkeit gekommen? Wären ihr Wille, ihre Entbehrungen, ihr Kampfgeist nocheinmal so bewundert worden? Ziemlich ausgeschlossen.

Es ist keine exakte Wiederholung mehr. Eine exakte Wiederholung kann es gar nicht geben. Es ist eine Wiederholung dieser großartigen Idee. Auf eine andere Art und Weise. Mit sieben Sportlern, die zwar einen anderen Zugang, aber dieselbe Leidenschaft haben.

Die Vorgaben sind ein Rahmen, der sich bewegen lässt, wenn es sein muss. Der Berg lässt sich nicht reglementieren. Er sagt “Halt, Stop”, wenn er es will und sagt auch “Kommt vorbei”, wenn ihm danach ist. Der lange Weg 1971 ist vollbracht und auch der lange Weg 2018 wird vollbracht werden. Unterschiedlich, aber im Gedanken vereint. Der Vergleich würde nicht weit kommen, denn er hinkt.

Sportler zu kritisieren, die jeden Tag ihr Bestes geben, ist unnötig.  “Hochachtung vor den Leistungen der Athleten, aber..” Nein, nicht aber. Das Event zu kritisieren, trifft die, die sich abrackern, genauso.

Noch liegen einige Tage vor ihnen. Sie sollen nicht in Nizza ankommen und denken: “Okay, wir sind jetzt 40 Tage über die Alpen gegangen, aber das ist nichts wert, weil wir es anders als vor 47 Jahren gemacht haben”. Dann haben sie halt 100 Höhenmeter unter dem Mont Blanc umdrehen müssen, sind nicht über die Niederen Tauern gegangen und haben kein Selfie vom Dachstein.  Das ist alles völlig egal, denn am Ende werden sie die beste Geschichte überhaupt geschrieben haben: ihre eigene.
RedBull wird sie nicht rügen, auch Heli Putz nicht.

Wenn sie etwas zu sagen haben, werden sie es tun. Nach dieser außergewöhnlichen Tour. David Wallmann hat das bereits jetzt getan: “Ich sehe es so: Durch das Event lerne ich zu schätzen, was sie damals geleistet haben! Echt unglaublich stark und meine Hochachtung”

Ist das nicht schön?