Es war die Lage, die ihn reizte. Roman Kurz bewirtschaftet seit 17 Jahren das Matrashaus am Gipfel des Hochkönigs. Dabei hat er sich nicht nur einen guten Ruf, sondern auch ein wichtiges Gefühl erarbeitet: ungetrübte Lebensfreude.


Text von Gabriel Egger
Bilder von Johannes Leeb








Bischofshofen liegt unter einer zähen Nebeldecke, die die Lichter der Ortschaft dämpft. Die Dunkelheit ist bedrückend, die nassen Straßen und die beschlagenen Fensterscheiben verstärken den trüben Charakter. Der Weltcuport lässt nichts von seinem jährlichen Trubel erahnen, die weiten Flüge der Skispringer würden sich ohnehin in den umherziehenden Schwaden verlieren. Hin und wieder lassen sich Umrisse erahnen, dann drückt die Sonne die Wrasen zu Boden. Das Salzburger Land macht sich bereit für den morgendlichen Kampf. Die Hoffnung auf klare Sicht steigt, wie die Höhenlage auf dem Weg zum Hof des Königs. Es ist ein König, um den sich viele Geschichten ranken. Er ist mächtig, hoch, bestimmend und doch ganz still und ansehnlich.  Ähnlich wie der Wechsel zwischen Dunkelheit und Licht, verläuft auch die Straße nach Mühlbach kurvenreich. Jede Kehre ist ein Schritt ins Blaue. Der Himmel beginnt seinen Entkleidungstanz. Schicht für Schicht legt er seine dicke Garderobe ab. Kurz vor der Auffahrt zum Arthurhaus erstrahlt der Pongau in den schönsten Farben. In wenigen Sekunden wird man vom Hofnarr zum willkommenen Gast am Regierungssitz des Königsreichs. Es ist Herbst am Fuße des Hochkönigs.

Die Mandlwände

Bis auf 1.500 Meter ist der Ritt mit der motorisierten Kutsche möglich, dann ist es ein langer, beschwerlicher Fußweg bis zum Thron des Herrschers, der auf 2.941 Metern das Berchtesgadener Land regiert. Die Mandlwände leuchten in der Sonne, wirken warm und vertrauensvoll, obwohl sie zerborsten sind, das Gestein brüchig und ihre Besteigung gefährlich. Die Forststraße zur Mitterfeldalm bringt den Körper in Schwung, der Geist muss sich zuerst an die vielen Eindrücke gewöhnen. Schon von hier aus sind die hohen Gipfel der Tauern zu bewundern. Das formschöne Wiesbachhorn glänzt ganz ohne Gletscher kristallklar im Sonnenlicht.

Blick von der Mitterfeldalm zur Spitze des Werfener Hochthrons

Hans und Maria, die Wirtsleute der Mitterfeldalm, dekorieren die Tische, bereiten den Gastgarten vor, von dem Wanderer, Touristen und Ausflügler mitten ins Herz des Tennengebirges blicken können. Der Werfener Hochthron, umgeben vom talnahen Laubwald, der in goldgelben Farben glänzt, ist nur eines von vielen Gebilden, die es zu bestaunen gibt.  Die Pächter der Alm  sind die ersten Mitglieder des Hausgesindes, die für ihren Dienstherrn die häuslichen Pflichten erledigen. Ein freundliches Lächeln begleitet den Gipfelaspiranten auf dem Weg zur Kleinen Gaißnase. Auf eine Geiß trifft man hier zwar nicht, dafür auf Gämse und die ersten Seilversicherungen. Tierisch geht es auch weiter, denn das breite Ochsenkar muss durchschritten werden.

Wie ein Ochs kann sich auch der Begeher vorkommen, denn das Schnaufen wird zur unvermeidbaren Begleiterscheinung. Schon bald schweift der Blick zu einem imposanten Felsenturm. Die Torsäule ist die Prinzessin des Berchtesgadener Königsstocks: bildhübsch, fantastische Ausstrahlung, aber schwer zu erobern. Durch ihre Südwand schaffen es nur die willensstärksten Anwärter. Sie obliegt dem Schutz des 400 Meter höheren Königs.

 

Die Torsäule
Der Schnee knirscht unter den Füßen. Weil er im Sonnenlicht glänzt, wird ihm das Erschweren des Weges verziehen. Tiefe Spuren führen hoch auf das Plateau, Eis hängt von den Felsen. Auf-und ab, auf-und ab. Wo ist der Gipfel? Da, über den Bollwerken aus Karst und Schnee, steht er, der Thron, das Matrashaus auf dem Hochkönig.

Das Plateau scheint unendlich, die Übergossene Alm erregt mit den spärlichen Gletscherresten beinahe Mitleid. Außer einer Sage ist wenig geblieben. Der goldene Herbst ist hier oben weiß. Pünktlich Ende September besucht der Winter den Hochkönig, weil er es einfach nicht mehr erwarten kann. Als Gastgeschenk bringt er nicht selten meterhohen Schnee, fein verpackt in Eis und mit einer windigen Schleife.  Dann ist auch die kurze Leiter, die auf den breiten Gipfel führt, eine kleine Herausforderung. Das hölzerne Kreuz wirkt neben dem eleganten Matrashaus fast kümmerlich. Das Aushängeschild der Berchtesgadener, der Watzmann, ist nur der Anfang einer der längsten Panorama-Paraden der Alpen. Mehr als 200 Dreitausender sind von hier aus zu sehen. Der Anraum an den Hüttenwänden zeugt vom frühzeitigen Wintereinbruch, das Knarren der Türe erhöht die Spannung.

Das Matrashaus auf dem Hochkönig

 

Im Inneren ist es ruhig und kalt. Längst vergangen sind die Zeiten der heiteren Unterhaltung, das Klirren des Geschirrs ist verhallt. Offiziell hat das Matrashaus seine Pforten geschlossen, der Adel ist abgezogen, hinunter ins Tal. Nur einer nicht, der treueste Kammerdiener des Hochkönigs ist noch hier. Ein drahtiger Mann sitzt auf der Hüttenbank, hüstelnd aber freundlich. Vor ihm steht ein nagelneuer Laptop, der hier auf beinahe 3.000 Meter wie ein Fremdkörper wirkt. “Wir haben das Privileg, in unserer Hütte ein 3G Netz zu haben” sagt er und lächelt. Dann wird er plötzlich ernst: “Leider verlieren viele Menschen dadurch den Sinn für Unterhaltung. Das ewige Kastelschauen hat sich auch hier auf dem Berg eingebürgert” . Roman Kurz weiß wovon er spricht, wenn er einen Blick in die Vergangenheit wirft. Seit 17 Jahren ist der  55-Jährige Hüttenwirt auf dem Matrashaus, eine der höchstgelegenen Schutzhütten der Ostalpen. Es war ein fliegender Wechsel, von der einen Seite des Tales auf die andere. Angefangen hat alles mit einer Gardine.

 

Von der Polizei zur Schreinerei

So streng wie der Hochkönig an manchen Tagen sein Regiment führt, so streng war auch die Ausbildung des gebürtigen Berchtesgadeners. Nach seinem Schulabschluss führte ihn der Weg zuerst nicht in die grenzenlose Freiheit der Bergwelt, sondern an die Bundesgrenzen. Sechs Jahre reiste er als Polizist durchs Land, war bei den Großdemonstrationen gegen das Atomkraftwerk in Brokdorf im Einsatz, lebte in Frankfurt und half bei der Flughafenüberwachung. “Es war eine wunderschöne Zeit. Im VW-Bus am Flughafengelände umherfahren, das macht dir als junger Bub natürlich Spaß. Mit dem echten Leben hat das allerdings überhaupt nichts zu tun” erzählt Kurz. Seine Zukunft sah der begeisterte Bergsteiger trotz eines erfolgreichen Ausbildungsabschlusses nicht im Exekutivorgan, mitunter auch wegen einer Gardinenleiste. “Ich hab den ganzen Vormittag gebraucht um eine Gardinenleiste in meiner Wohnung zu montieren. Was bringt mir eine aufwendige Ausbildung, wenn ich nicht einmal dazu  im Stande bin? Da bin ich ja nicht lebensfähig” erklärt Kurz die Beweggründe für einen Perspektivenwechsel. Mit 24 Jahren entschied er sich als Spätberufener für eine Lehre in einer Schreinerei. Für Kurz bald  keine gewöhnliche Handwerksarbeit mehr, denn wenige Zeit später übernahm er die Leitung einer Werkstatt in einem Heim für körperlich beeinträchtigte Menschen.

Roman Kurz (r.) im Gespräch mit Gabriel Egger

Schon immer wollte der Oberbayer möglichst viele Facetten des Lebens kennenlernen, seine Heimat Berchtesgaden war dabei das Basecamp für seine persönlichen Expeditionen. Weit weg wollte er nie. Zu eng verbunden war er mit der Natur, den Menschen, der besonderen Atmosphäre. Mit den Bergen habe er schon als Kind eine Beziehung aufgebaut, erzählt er. Schnell wuchs er aus der elterlichen Begleitung und trat als 14-Jähriger in den Alpenverein ein. Zwei Jahre später schlug er sich schon durch die polnische Tatra, begann zu klettern und sich für die Geschichte der Gebirge zu interessieren.








“Ich dachte mir schon immer, dass ein Leben als Hüttenwirt etwas Besonderes sein kann. Es war ein kleiner Traum. Nur ohne jegliche Erfahrung, schaffst du das nur mit Glück” sagt er. Dieses Glück hatte Roman Kurz im Herbst 1992. Als das Watzmannhaus neu verpachtet wurde, nutzte er seine Chance. Mit seiner damaligen Ehefrau- 2001 wurde die Ehe geschieden- zog er vom Berchtesgadener Tal auf das Falzköpfl, unterhalb des Watzmann-Hochecks. Sechs Jahre lang lenkte er die Geschicke der Hütte und war ein Teil der langen, sagenumwobenen Geschichte. Den Watzmann, den kennt man auch am Hamburger Seehafen, im flachen Eindhoven und im hügeligen Rechnitz. “Wenn du Hüttenwirt auf dem Watzmannhaus bist, da staunen sie immer alle, obwohl da nichts anders ist, als auf anderen Hütten. Es ist allein der Name. Ambros sei Dank” weiß auch Kurz um die Bekanntheit des Gebirgsstocks.

Das Telefon läutet. Am anderen Ende der Leitung meldet sich Jürgen, der sich aufopfernd um die Elektronik auf 2.941 Metern kümmert. Seit wenigen Wochen hat das Matrashaus auch eine Webcam, die jede zehn Minuten Bilder ins Tal schickt. So muss der Hüttenwirt nicht mehr täglich Auskunft über die Verhältnisse geben. Ein Telefonanruf war es auch, der Roman Kurz 1998 dorthin brachte, wo er  nun seinen Lebensabend verbringen will. Im Sommer dieses Jahres klingelte es auf dem Watzmannhaus folgenschwer. Das Matrashaus, wild gelegen, schwer zugänglich und neu aufgebaut, suche für die nächste Saison einen neuen Wirten. In Roman Kurz Augen loderte ein Feuer der Leidenschaft auf.  Die Lage reizte ihn, aber vor allem das Abenteuer, das er sich versprach. “Jeder Mensch will im Leben etwas Besonderes sein. Egal wie, man will sich von den anderen Leuten abheben.  Ich wusste, ein Leben auf dem Matrashaus, das kann mein besonderes Lebensgefühl werden” erzählt er.

Ignoranz, Selbstüberschätzung und ein sinnloser Tod

Der Königsjodler-Klettersteig, Bild: Rosenkranz

Die erste Nacht auf dem Gipfel des Hochkönigs verbrachte Kurz in der Gaststube auf dem Tisch. Als sich die Sonne hinter dem Horizont verabschiedete und die Berge des Steinernen Meeres in purpurnem Rot entflammten, konnte er die Szenerie nur ganz bedingt genießen. “Ich sah aus dem Fenster und bekam Angst vor meiner eigenen Courage. Was hast du dir da eingebrockt, du Depp?” . Die Angst verschwand, die vielseitige Arbeit begann. Auf den Hochkönig führen mehrere Wege, alle sind sie lang und beschwerlich. Damit kann man auch bei einem Wetterumschwung nicht einfach absteigen. “Vom Watzmannhaus da kommst du immer runter, das ist auch immer erreichbar. Hier am Hochkönig bist du der Natur ausgeliefert. Die Natur gibt dir in den meisten Fällen alles, aber sie kann auch gnadenlos sein. Gnadenlos ehrlich und gnadenlos brutal” verweist der Hüttenwirt auf die oft schweren Bedingungen und die zunehmenden Fälle von Selbstüberschätzung.

Das Matrashaus muss man spätestens um 17.00 Uhr erreichen , sonst verfällt jegliche Reservierung. Das hat einen triftigen Grund. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Hier am König der Berchtesgadener Alpen kann diese Bestrafung fatal enden. Wie bei Renate, im September 2013. Keine 200 Meter vor der Hütte ist sie ums Leben gekommen. Zu spät ist sie in den Königsjodler-Klettersteig, den längsten des Bundeslandes Salzburg, eingestiegen. So, wie es viele Hochkönig-Aspiranten Jahr für Jahr tun. Nur sie hatte einfach nicht dasselbe Glück. Ein Schneesturm überraschte die Alpinistin kurz vor dem Ausstieg. Sie war so erschöpft, dass sie trotz der widrigen Bedigungen nicht mehr weiter wollte. Kurz’ Rettungsversuche scheiterten, sie starb auf dem Weg in die Hütte auf einer Gebirgstrage. Es sind Erlebnisse, die den Wirten nicht nur traurig, sondern auch wütend machen. “Auch wenn mich viele für ein besserwissendes Rumpelstilzchen halten, wenn ich ihnen sage, dass sie zu spät sind, werde ich damit nicht aufhören” sagt er. Zu viele stehe am Spiel, zu sinnlos sei ein solcher Tod. “Einige Wanderer brechen nach stundenlangem Aufstieg erschöpft zusammen. Die Selbstüberschätzung ist gefährlicher, als jeder Anstieg zu uns aufs Matrashaus”. Früh genug an die Umkehr denken, wenn man noch bei Kräften ist, das sei die Lösung des Problems.

Jede Saison starten zahlreiche Bergsteiger zu spät, kommen in die Dunkelheit und oft nur durch Glück an ihr Ziel. Immer wieder ist der Ausgangspunkt der Königsjodler. Er überwindet auf  rund 1700 Klettermetern die Teufelshörner, den Kematstein (auch Kummetstein) und endet am Hohen Kopf. Mit der Schwierigkeit “D” ist er zwar nicht allzu schwer, dafür aber umso länger. Das unterschätzen viele. Auch der Abstieg durchs schrofige Birgkar kann dann zum Problem werden. Wenn etwas passiert, hilft Kurz als Bergretter, wo er nur kann. Unangenehme Situationen kennt er als erfahrener Alpinist selbst. Zweimal hing sein Leben schon am seidenen Faden. Im Winter brach bei der Überschreitung der Hachelköpfe (Berchtesgadener Alpen) ein Stein aus und Kurz stürzte mit den Felsen gen Tal. Durch Zufall fand er mit den Spitzen seiner Schuhe auf einer Felsleiste Halt. Über vereistes, tief verschneites Klettergelände musste er zurück auf den Grat. Wie er das geschafft hat, weiß er bis heute nicht. Auf der Ama Dablam in Nepal riss das Fixseil und der Bayer stürzte in die Tiefe. Seine Steigeisen griffen erneut auf einer kleinen Leiste im Gestein. “Danach wusste ich, dass das nicht meine Zeit zum Sterben war. Da musste noch mehr kommen” Die Besteigungen des Mount Mc Kinley, der Piz-Badile Nordostwand und des Pumori bestätigten ihn.

 

“Ich bin ein lupenreiner Egoist”

Der Blick aus dem Küchenfenster, Bild: Kurz
Ein großer Kletterer war er nie, dazu sei er zu feig. Auf das Matrashaus verirren sich auch nur wenige Alpinkletterer. Fünfzehn Seilschaften pro Saison seien viel, erzählt Kurz. Die meisten Menschen kommen wegen der Sonnenauf-und untergänge. Die sind von diesem Panoramaberg wahrlich ein Naturschauspiel. Kurz selbst sieht sie nur mehr selten vor der Hütte, denn zu diesem Zeitpunkt steht er in der Küche. “Alle Fotos, die ich schieße, sind vom Küchenfenster aufgenommen. Da macht die Arbeit großen Spaß” sagt er. Obwohl Arbeit, das ist für Kurz der falsche Ausdruck. Er unterscheidet nicht zwischen Freizeit und Arbeit. Er ist hier oben zu Hause. Nur, wenn jemand vor ihm in der Gaststube sitzt, das ist Arbeit für seine Nerven. Als Frühaufsteher gehöre der Tag ihm, erzählt er. Da nimmt er es den Gästen schon beinahe übel, wenn sie vor ihm munter sind. “Die stehlen mir ja dann den Tag” lacht er. Von sechs Uhr Früh bis acht Uhr gibt es auf dem Matrashaus Frühstück. Mit Brot, Butter, Marmelade, Müsli, Kaffee und Tee können sich die Gäste stärken. Danach wird geschrubbt und geputzt.  Die Lager müssen vom Schmutz befreit werden und für die nächsten müden Wanderer gerichtet werden.
“Geni” und Roman Kurz 
“Wollt ihr einen Kaiserschmarren? Aber ich sag gleich, ich kann keine kleinen Portionen machen.” Eine sympathische Stimme unterbricht Kurz’ Erzählungen. Es ist Genoveva, die starke Frau auf dem Matrashaus. Seit 2009 ist sie mit dem Berchtesgadener Hüttenwirt verheiratet. Sie haben sich dort lieben gelernt, wo sie auch den Großteil ihres Lebens verbringen: auf dem Matrashaus am Hochkönig. Vor 14 Jahren begann die ausgebildete Grundschullehrerin aus Rumänien auf fast 3.000 Metern zu arbeiten. Sie sind ein eingespieltes Team, wirken vertraut, lebendig und vor allem glücklich und zufrieden. “Geni”, wie Roman sie liebevoll nennt, ist die Küchenfee, bereitet für die Gäste das Abendessen vor. Im nächsten Jahr dann gemeinsam mit der tschechischen Hilfskraft Barbora.
Um 17.00 Uhr wird es mit einer persönlichen Karte, auf der auch die Getränke notiert werden, bestellt, um 18.00 Uhr wird zu Tisch gebeten. Die Versorgung erfolgt ausschließlich mit dem Hubschrauber. Viermal in der Saison fliegt er auf den Gipfel des Hochkönigs. In den Anfangsjahren, da hatte Kurz die Hütte auch noch im Winter geöffnet. Ausgezahlt hat es sich nicht. “Wenn du im Monat 47 Euro verdienst, musst du die Sache hinterfragen” erzählt er. Viele Lebensmittel musste er entsorgen,  durch den Permafrost gibt es am Matrashaus keinen einzigen frostfreien Raum. Wegen des Geldes ist Kurz aber ohnehin nicht auf dem Gipfel des Hochkönigs. Das Matrashaus ist eine Herzensangelegenheit. “Wenn jemand Hüttenwirt wegen des Geldes wird, mein Gott, dann arbeitet er wirklich wirklich hart”. 
Im Sommer dürfen sich die Gäste bis 22.00 Uhr bei Spiel, Spaß und Bier vergnügen, dann läutet Kurz die Hüttenruhe ein. Alkohol, das ist nicht unbedingt sein liebstes Genussmittel. “Mir taugt das überhaupt nicht, wenn sich die Leute auf der Hütte mit Schnaps zukübeln. Da bin ich altmodisch. Wir sind eine alpine Einrichtung. Ich richte mich nach den Bergsteigern. Ich bin Hüttenwirt und kein Geschäftemacher” sagt er.  Das will er auch bleiben, bis er 70 ist. Obwohl er sich doch “ein bisschen Sorgen um die Rente macht”,war  Kurz noch nie zufriedener in seinem bewegten Leben. Er mache vor allem, das was ihm Spaß macht. “Ich führe ein privilegiertes Leben, fernab von den Problemen im Tal. Die interessieren mich auch nicht sonderlich. Das klingt nicht nur egoistisch, das ist es auch. Ich bin hier oben ein lupenreiner Egoist” sagt er.
Dass  bei Schlechtwetter auch einmal drei Wochen keine Gäste kommen, mit dem müsse er leben. Die Nächtigungen hängen ohnehin stark von der Wetterlage ab. Hatte das Matrashaus im Sommer 2003 beispielsweise noch 3251  Nächtigungen zu verzeichnen, waren es 2007 nur 1646. Ins Tal steigt der Wirt in der Saison nur zweimal. Einsam fühle er sich  aber trotzdem nicht. Seine Gedanken bringt Roman Kurz dann zu Papier, oder besser ins Internet. Obwohl er das Wort “Blogger” nicht ausstehen kann, ist er selbst einer- und zwar ein ziemlich guter. Auf seiner aufwendig gestalteten Homepage schreibt er über das Leben am Berg, bringt persönliche Gedanken unter, erzählt Geschichten und präsentiert die schönsten Bilder. Viele wollen nur deshalb einmal zum “schreibenden Wirten”. Die Geschichte über einen Gast, der sich darüber echauffiert hatte, keinen frischen Schnittlauch zu bekommen, veranlasste eine treue Leserin sogar, dem Hüttenwirt neben einem Dankesschreiben eine Packung Schnittlauchsamen mitzuschicken.

Geteiltes Glück als höchstes Gut

Auf den Gipfel der Gefühle, wie ihn die Tourismusbüros nennen, zu gelangen, das versuchen auch viele Bergsteiger aus den Nachbarländern. Ein geplanter Urlaub, kann dann auch durch einen Wintereinbruch nicht verhindert werden. In den Klettersteig wird bei jeder Witterung eingestiegen. Ein Umstand, der Roman Kurz Sorgen bereitet. “Dem Wirt ist es nicht wurscht, wenn du erst später einsteigen kannst. Der kocht dir wenn du freundlich bist, auch noch spät abends etwas. Dem Berg allerdings, dem ist der Stau auf der Autobahn total egal” spricht er die “Game-Over” Mentalität vieler Bergsteiger an. Bergsteigen sei allerdings kein Videospiel, wo du nach mehrmaligem Scheitern, wieder von vorne beginnen kannst. Ignoranz, das ist auch ein Thema, das nicht spurlos an dem Hüttenwirt vorbeigeht. Ein älterer Mann, erzählt er, hatte im Hochsommer einen Herzinfarkt. Kurz eilte zur Hilfe, versuchte ihn zu reanimieren. Viele Wanderer seien vorbeigegangen, hätten die Szene fotografisch festgehalten. Das Verrohen der Menschen, das will er auf dem Berg nicht akzeptieren.

Ein Leben auf dem Matrashaus

 

Am Gipfel des Hochkönigs

Ich bitte Kurz nach draußen. Der Wirt zieht sich warm an, die Kälte kriecht trotz der milden Oktobersonne durch die Wände und verkühlt ist er ohnehin schon. Dann sieht er mich lächelnd an und sagt: “Jetzt red ich soviel schirches Zeug, dabei liebe ich es hier heroben. Besonders , wenn ich mein unendliches Glück hier zu leben, teilen kann”. Das sei für ihn ohnehin das Schönste. Wenn die Gäste das besondere Lebensgefühl auf dem Hochkönig mitempfinden können. Wenn Familien mit Kindern kommen, sich wohlfühlen, die Bergwelt genießen und die Sorgen im Tal lassen können. Wenn sich der Manager unter die einfachen Leute mischt, wenn langgehegte Wünsche in Erfüllung gehen und wenn sich aus Gesprächen wunderbare Geschichten ergeben. Teilen, das ist es, was die Menschen bei ihm lernen sollen. Ausnahmesituationen bringen einander näher, verbinden verschiedenste Charaktere.

Roman Kurz steht vor dem Kreuz, das den höchsten Punkt markiert und blickt hinab nach Dienten. “Siehst du, das alles ist mein Wohnzimmer. Wozu brauch ich da noch einen Fernseher” sagt er. Seine Augen sind in die Ferne gerichtet. Sogar die Julischen Alpen in Slowenien kann man heute erkennen. Lange wird Roman Kurz diese Aussichten nicht mehr genießen können. Wenn die Hütte endgültig winterfest ist, wird er mit seiner Frau ins Tal absteigen, das Bergleben für heuer hinter sich lassen. Auf ihn wartet ein ganz besonderer Winter. Vom 10. Dezember bis zum 20. Februar arbeitet Kurz in der Antarktis und hilft  bei einem deutschen Forschungsprojekt.  Durch den hervorragenden Sommer , darf er sich danach eine Auszeit in Neuseeland gönnen. Erst im Frühjahr kehrt er wieder nach Deutschland zurück. Wenn vom Tal aus zwischen Altschnee, Fels und Wolkenbändern dann ein kleiner Lichtkegel auf dem Gipfel des Hochkönigs zu sehen ist, dann bereitet Roman Kurz alles für das Erreichen der Volljährigkeit vor: sein 18. Jahr in ungetrübter Lebensfreude, auf dem Matrashaus am Hochkönig.

DAS MATRASHAUS AUF DEM GIPFEL DES HOCHKÖNIGS

  • 2.941 Meter Seehöhe
  • Bewirtschaftet von Anfang Juni bis Ende Oktober (Je nach Verhältnissen)
  • Erreichbar vom Arthurhaus über die Mitterfeldalm (unschwierig) in 5 Stunden
  • Von Werfen über die Dielalm und die Ostpreußenhütte (unschwierig) in 7 Stunden
  • Vom Dientener Sattel über das Birgkar (schwierig) in 5 Stunden
  • Von der Erichhütte über den Königsjodler-Klettersteig (D) in 7 bis 9 Stunden
  • Von Hinterthal über die Teufelslöcher (schwierig) in 8 Stunden
  • Durch das Steinerne Meer in 10 Stunden
  • 106 Schlafplätze in 10 Räumen
  • Bewirtschaftet von Roman und Genoveva Kurz
  • Erreichbar unter  +0043 6467 7566
  • Geschichten und Bilder auf www.matrashaus.at
  • Urlaub in der Region: www.hochkönig.at 

 

Mehr Bilder von unserem Besuch am Matrashaus gibt es im folgenden Fotoalbum: