Ein Alkoholiker, der zum “Rambo” wurde. 

Andreas Ropins Weg zum Extremsportler.







Ein Porträt
von Gabriel Egger







Andreas’ gerötete Augen öffnen sich nur langsam. Sie blinzeln unter der Bettdecke hervor, in die er sich vorsorglich eingewickelt hat. Sonnenstrahlen brechen durch die kleinen Fenster der Erdgeschoßwohnung, verstärken das Dröhnen in seinem Kopf. Der Nachmittag ist längst angebrochen. Für Andreas ist es der Weckruf weiterzuschlafen. Aber zuerst der Griff zum Tetra Pak. Es ist der dritte Liter Wein, den er heute mit Leitungswasser mischt. Zwischen vollgestopften Aschenbechern und aufgerissenen Lebensmitteln stapelt sich das Leergut. Bier, Wein, Schnaps- alles, was die Realität verschwimmen lässt. Andreas nimmt einen kräftigen Schluck, leert den halben Karton. Er wartet bis das Wurschtigkeits-Gefühl einsetzt, bis ihm das, was er tut, wieder normal erscheint. Dann beginnt das Spiel von vorne.

 

Das alte Leben, Foto: privat

15 Jahre lang prägte dieser Ablauf das Leben von Andreas Ropin. Mit 13 Jahren begann der Steirer in seinem Heimatort Bruck an der Mur zu trinken. Zuerst heimlich im Wald, später mit seinem Vater im Wirtshaus. “Ich bin mit Alkohol aufgewachsen. Mein Papa war schwer abhängig. Als Lehrbub hab’ ich immer die Flaschen holen müssen und hab gleich fest mitgetrunken. Weil’s halt so üblich war” erzählt er.

Sieben Flaschen Bier und sechzig Zigaretten am Tag. Das war die übliche “Dosis”, auch während seiner Ausbildung zum Stahlbauschlosser. Alkohol wurde zum Lebensinhalt, dominierte seine Gedanken, beeinflusste sein Handeln.  

“Dir wird einfach alles egal. Wenn mich die Arbeit nicht mehr gefreut hat, hab ich sie geschmissen” sagt Ropin, der nicht selten bei seinen damaligen Freunden um flüssige Almosen bat. Seine Freizeit verbrachte er in den  Kneipen der Ortschaft, in denen er auch putzte, um sich seine Räusche zu finanzieren. Mit 25 hatte er seinen persönlichen Tiefpunkt erreicht: arbeitslos, dauerbetrunken, perspektivenlos. Der Versuch der legalen Droge den Rücken zu kehren scheiterte nach sechs Wochen. Dem kurzen Hoch folgte das lange Tief.

Erst mit 28 Jahren schloss sich der vermeintliche Teufelskreis. Sein Vater, mit dem er einst den Drang nach der Flasche teilte, nahm ihn mit zu einer Selbsthilfegruppe. “Den siebenten Februar 2007 werd’ ich nie vergessen. Es war der Beginn meines zweiten Lebens” erzählt er. “Fünf Wochen später hab ich dann auch das sinnlose Rauchen gelassen”. Wenn Andreas über die vergangenen neun Jahre spricht, klingt seine Stimme hell und freudig, fast euphorisch. Man merkt, wieviel ihm der Wandel bedeutet und welche Kräfte er geweckt hat.

Einmal Mount Everest und Retour

Dass es ein kaputtes Rad war, das den Steirer in Richtung Extremsport trug, wirkt vorerst wenig heroisch, hat aber den speziellen Charme, den Andreas versprüht.  “Du musst als Alkoholiker mit deinen ganzen Gewohnheiten brechen. Ich hab mir eingestanden, dass ich ein Problem hab und dass ich es lösen will. Also war Schluss mit Kneipentouren und auch die alten Freunde hab’ ich links liegen lassen. Da war ich ohnehin nimma’ da lässige Andi, weil ich kein Bier mehr gsoffn hab’ ” schildert der Sportler die ersten Wochen der Abstinenz. Um sich abzulenken, bastelte er sich aus alten, verschlissenen Rädern, die im Keller des Miethauses ihr belangloses Dasein fristeten, ein Mountainbike und fuhr aus. Zuerst über die Hügeln seines Heimatortes ,später 220 Kilometer zu seinem Onkel nach Niederösterreich. Aus der langjährigen Trägheit wurde Bewegungsdrang. Der Vormittag gehörte bald  dem Rad und der Arbeit, der Nachmittag seinen Füßen, die ihn laufend durch die Täler der Steiermark brachten.

 

Berg(l)auf!, Foto:mmarts

Die Berge spielten dabei eine immere größere Rolle. Für Andreas waren sie ein Ort der Inspiration, fernab von der belastenden Situation des “trockenen” Alltags. An die Wanderung auf den Ötscher mit seinem Bruder erinnert er sich noch gut, noch besser aber an die Bergtour auf die Messnerin im Hochschwabgebiet. Dort erzählten ihm seine Wegbegleiter von Hans Kammerlander und seinen 24-Stunden-Wanderungen. “Das 24-Stunden-Format war für mich von Beginn an reizvoll. Ich wollt’ mein neues Ich vor eine Herausforderung stellen” erklärt Ropin die Beweggründe für seinen endgültigen Einstieg in den Extremsport.

Unter dem Pseudoynm “John J Rambo”, frei nach dem von Sylvester Stallone verkörperten Vietnamkriegsveteranen, rief er 2011 die Aktion “Einmal Mount Everest und Retour” ins Leben. Ziel war es, seinen Hausberg in Bruck, das 1.629 Meter hohe Rennfeld, innerhalb von 24 Stunden achtmal zu besteigen.
Aus steigen musste freilich laufen werden, um im engen Zeitplan zu bleiben.  Ropin sprang schon beim ersten Versuch über die selbstgestellte Hürde und bewerkstelligte die 8.848 Höhenmeter in etwas mehr als 23 Stunden. “Es war hammergeil. Ich hab’ symbolisch mit dem Alkohol und dem ganzen Dreck abgeschlossen. Ich bin da oben gestanden und hab’ geweint. Die Berge haben mir das Leben gerettet” sagt Ropin.

Auch wenn sich die Worte des Bruckers lesen, wie gelernte Phrasen, gesprochen wirken sie ehrlich und echt. Andreas ist dankbar für die Momente, die er sich selbst schenken kann. Stolz, zufrieden und ohne jegliche Scham erzählt er über sein Leben. Er genießt die Höhen, Tiefen hat er schon genug erlebt.

 

Ropin in seinem Element, Foto:mmarts

Doch in Wirklichkeit fiel Ropin nur von einem Extrem ins andere. Oder? “Mag sein, dass es so wirkt, als hätte ich nur die Sucht gewechselt. Ich wär’ aber mit einem kurzen Lauf nicht zufrieden. Es macht mir Spaß an die Grenzen zu gehen. Es geht ums Erlebnis und nicht um das, was andere von mir denken oder um einen Rekord” erklärt er und fügt nach kurzer Pause schelmisch hinzu: “Obwohl ich mich über Rekorde natürlich nie beschweren würde” 

Genau deshalb probierte er sich 2012 mit identer Idee am Hochschwab (2.277m)- und scheiterte. Der Nebel ließ nach sieben Besteigungen und 10.000 Höhenmetern keine Fortsetzung der Erfolgeschichte zu. Teil zwei ist eben nie so gut wie der erste.

 

“Giftzwerg, häng dich doch einfach auf”

 

Ropin’s “Laufgelände”, Foto: privat

Andreas Ropin ist kein Mensch, der aufgibt. Sich nicht und schon gar nicht seine Träume. Der Mont Blanc war so ein Berg, der ihn im Schlaf begleitete, ihn sanft durch die Nacht brachte.  Alleine der Name war verantwortlich für erhöhte Endorphinausschüttung. Bei seinen Wettkämpfen, die ihn teils über 100 Kilometer laufend durch die Berge und auf die aufgebauten Podeste im Zielbereich  brachte, hatte er ihn immer vor Augen. Die weißen Flanken, das glitzernde Eis, seine eigenen Spuren im französischen Schnee. Auf Österreichs höchstem Berg, dem Großglockner, wuchs der Wunsch zu einem Vorhaben.

Im Juli 2015 setzte Ropin sein Vorhaben in die Tat um. “Ich hab zu meiner Frau Julia gesagt, dass das Wetter jetzt perfekt ist und dass ich jetzt einfach fahren muss. Sonst werd ich’ ewig granteln” beschreibt der Steirer den Tag der Abreise. Sie solle doch bitte nicht böse sein, weil morgen sei er wieder frisch und munter zurück.

Tausende Bergsteiger steigen jährlich die Hänge des “weißen Berges” bei Chamonix in Frankreich empor. Steigeisen und Pickel gehören dabei genauso zur Grundausrüstung, wie die Übernachtung auf einer der modernsten Hütten der Alpen zum Usus geworden ist. Ein Geheimtipp ist der Berg nicht, allein ist man nur bei Wind und Wetter. Andreas’ Annäherung an den höchsten Berg Europas (4.810m) allerdings hatte nicht diese Routine. Sie war einzigartig.

Nach einer zehnstündigen Autofahrt von Bruck an der Mur nach Les Houches (etwa 1000 Kilometer), einem Ort am Fuße des Berges, sechzig Kilometer entfernt von Genf, lehnte er sich erstmal zurück- und zwar buchstäblich. Der Sitz seines Autos wurde für die nächsten vier Stunden sein Ruhepol, bis er sich in Laufschuhen, kurzer Hose, Haube und Handschuhen zum Gipfelsturm aufmachte. Der einzige Luxus blieb die Sonnenbrille.

Andreas Ropin am Gipfel des Mont Blanc, Foto:privat

“Ich halte wenig von Regeln des Alpinismus. Ich mach es so, wie ich es gern machen will. Auf Biegen und Brechen muss ich ja sowieso nirgends rauf. Das ist Schwachsinn. Wenn’s nicht geht, geht’s nicht. Da sind mir dann auch die tausend Kilometer Fahrt wurscht” erklärt Ropin seinen Minimalismus.

Doch es ging. In sechs Stunden bewältigte der Extremsportler die Strecke vom Ortszentrum in Les Houches (1.008m) auf den Gipfel des Mont Blancs (4.810m) und war die Attraktion des Tages. “Freilich haben’s mich alle gefragt ob ich deppert bin. Aber ich hab nur gelacht. Nicht weil ich mich überlegen gefühlt habe, sondern weil ich so verdammt glücklich war”.Zwei Grad habe es in etwa gehabt, kalt sei ihm vor lauter Freude aber nicht gewesen. Nach einem Rundumblick über Europa, ging es im Eiltempo wieder zurück zum Auto. Drei Stunden und vierzig Minuten später, nach 42 Kilometern und 4140 Höhenmetern, durfte er die ganz besondere Hochtourenausrüstung wieder gegen Alltagskleidung tauschen und steuerte umgehend  die Steiermark an. “Ich hab’s meiner Frau ja versprochen, dass ich sie am nächsten Tag wieder in den Arm nehme” 

Doch nicht alle freuten sich mit dem Steirer. Hassbotschaften erreichten Ropin. Einmal per Mail, ein andermal als Flugzettel auf der Windschutzscheibe. Aufhängen solle er sich, ein kleiner Giftzwerg sei er, der nichts könne außer laufen und den Daumen in die Höhe strecken. Für den Extremsportler kein Grund wütend zu sein:  “Es ist schade, dass sich Leute nicht mit einem freuen können, aber wütend oder traurig bin ich deswegen nicht. Ich seh’ das eher als Motivation. Sie machen sich Gedanken über das, was ich tue. Und ich werd weitermachen, also bin wohl ich der Gewinner” lacht er.

Absturz vom Grat

Laufende Anreise

Für seine Frau Julia, mit der er seit 8 Jahren eine glückliche Beziehung führt und für die beiden Töchter Jennifer (17) und Anna (2) , sind die Abenteuer “Rambos” nicht immer ein Vergnügen. Besonders dann nicht , wenn etwas passiert, wie im Sommer im Gesäuse. Über den Kirchengrat, der Kletterschwierigkeiten bis zum dritten Grad aufweist und auf den Großen Ödstein führt, sauste Ropin genauso schnell hinab, wie er hinauf gesaust war. Drei Meter fiel er in die Tiefe- ungebremst. Mit einem großen Loch im Schienbein und eine schweren Gehirnerschütterung kam er noch relativ glimpflich davon. Sorgen mache sich Julia  immer, aber sie habe ihn so kennengelernt und wisse, dass er nicht anders kann. Sie unterstütze ihn, seine Hirngespinste müsse sie aber nicht immer verstehen.  Für den gemeinsamen Urlaub im kroatischen Medulin reiste sie mit dem Auto an, ihr Mann bevorzugte die Fußmaschine. Von Bruck an der Mur lief er jeden Tag bis zu 80 Kilometer Richtung Istrien. Sechs Tage später wurde er zum Ausspannen am Strand vorstellig.

Andreas Ropin ist kein Bergsteiger. Er ist aber auch kein Läufer und kein Wanderer. Der 37-Jährige hat sich seine eigene Sparte geschaffen, vielleicht sogar seine eigene Welt. Er setzt dort an, wo andere aufhören. Die Eigeninitativen sind genauso durchdacht, wie komplex. Die einzige Konstante bleibt der Berg. Was er mit ihm macht, ändert sich wöchentlich. Ob er damit nicht genau das verkörpert, was Pioniere des Alpinismus immer gepredigt haben? Unbefangenheit, Starrsinnigkeit, Mut, Spontanität und ein gewisses Maß an Masochismus. Oder ist er einfach einer von vielen, der auf der hohe Welle des Trailrunningtrends reitet? Vielleicht ist aber eine Einordnung einfach nicht möglich, auch das ist denkbar.

Eines aber ist gewiss: Sein Lebenwandel weiß zu beeindrucken, bei den Leistungen bedarf es ohnehin keinem Urteil. Würde er seine Geschichte zu Papier bringen, sie wäre Standardliteratur in jeder Besserungsanstalt. Ropin selbst aber will nicht läutern, er will motivieren, will Vorbild sein für Menschen, die keinen Ausweg mehr sehen. Er selbst fühlte sich lange genug  von der Gesellschaft gedemütigt und verlassen- wie Rambo. Anders als sein Alter Ego , schaffte er den Weg zurück nach oben.

Für das kommende Jahr hat der Steirer schon wieder konkrete Pläne. Verraten möchte er nichts, außer, dass es wieder sehr hoch und sehr lange wird. Bei drei großen Wettkämpfen möchte er sich mit der Konkurrenz messen (Pitztal, XAlps, Zugspitz) Auch, wenn er mit der traurigen Geschichte des  verzweifelten Kriegsveteranen Rambo gar nicht so viel gemein hat, wie es den Anschein macht, bleibt dem Autor am Ende nur übrig seiner sportlichen Konkurrenz ein Filmzitat in den Mund zu legen:

 “Wir jagen ihn, nicht wahr?” – “Nein, wir jagen ihn nicht. Er jagt uns.”

 

ANDREAS “RAMBO” ROPIN LIVE 2016

Wer den Steirer selbst über seine Erfahrungen sprechen hören möchte, hat im kommenden Jahr mehrere Möglichkeiten:

  • 21. Jänner 2016: Turmwirt, Mürzhofen
  • 19. Februar 2016: Dachbodentheater, Bruck an der Mur
  • 17. März 2016: Stadtsaal Trofaiach, Trofaiach
  • 20. April 2016: Wintersportmuseum, Mürzzuschlag

 

Der Rambo unter den Bergläufern, Foto:mmarts

Alle weiteren Informationen finden Sie unter: www.ropin-andreas.at