1.450 Höhenmeter, 11 Kilometer Wegstrecke



Klare Sicht trotz weißen Treibens



Von Gabriel Egger











“Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Ausrüstung”. Eine gleichsam berühmte wie fragwürdige Feststellung, der sich vor allem die Sportartikelbranche zu Werbezwecken verschrieben hat. Auch Sportler, die ihre Trainingseinheiten unter widrigsten Bedingungen abhalten, üben sich gerne in Phrasendrescherei und blenden die Realität für einige wenige Kilometer aus.

Wie nennt man das dann eigentlich, wenn bei strömendem Regen die Nässe durch die 800-Euro-Jacke kriecht? Wenn die Temperatur weit unter den Gefrierpunkt fällt und auch die dicksten Daunenhandschuhe vor Respekt gefrieren? Wenn sich der Wind durch jede Ritze zwängt, die Schneekristalle sich wie spitze Nadeln ins Gesicht bohren und das Gefühl der Freiheit erst aufgetaut werden muss, bevor es gelebt werden kann?

Einigen wir uns darauf: Es gibt schlechtes Wetter. Was man aber macht, wenn Regen, Schnee, Wind und Unbehagen prognostiziert werden, kann keine Bauernregel bestimmen. Das bleibt dem Freiluftliebhaber selbst überlassen. Inneres Hochdruckgebiet, Inversionswetter oder doch Kaltfront?

Ganz prinzipiell kann man zu Touren bei extrem schlechtem Wetter sagen: es muss nicht sein. Dennoch können sie Freude bereiten. Und Humor ist bekanntlich, wenn man trotzdem lacht.

Schon die Forststraße durch die Lainautunneln säumt eine zarte Neuschneedecke. Zehn Zentimeter sind hier  über Nacht gefallen. Ob wir uns darüber freuen sollen, wissen wir noch nicht wirklich. Die Sicht ist durch umherziehende Nebelschwaden großteils eingeschränkt, die Kälte lässt die Fingerkuppen brennen. Die Seile, über die wir uns über die abgespeckten Felsen Richtung Naturfreundehaus schwingen, sind gefroren und rutschig. Auch wenn, oder gerade weil der Traunstein ein alter Bekannter ist, müssen wir vorsichtig sein.

Einstieg in den Naturfreundesteig

Wir kommen nur langsam höher. Unter dem Neuschnee hat sich zwar noch kein Eis gebildet, doch beeinträchtigt der weiche, teils nasse Untergrund die Rutschfestigkeit der Bergschuhe. Die Querungen sind zugeweht, bedächtig hanteln wir uns darüber hinweg. Eiszapfen hängen von den Fixseilen, der Sulzkogel versucht mit seinem spitzen Gipfel die tiefliegende Wolkendecke zu durchbrechen und bleibt darin stecken. Die Verhältnisse wechseln, darum sind sie stets unvorhersehbar.

Unangenehmes, frisch eingeschneites Gelände

Moritz lässt sich davon wenig beirren. Auch mich nimmt er schnell mit auf seiner Welle der Sorglosigkeit. Gemeinsam reiten wir dem Gipfel entgegen.  Es macht Spaß hier gemeinsam neue Perspektiven zu ersteigen, zudem haben wir uns ohnehin genug zu erzählen. Die Sprossen der Aluleiter sind rutschig, auch die Trittstifte und die felsige Querung danach verlangen nach bedachten Schritten.

Kurz vor den Trittstiften

Vor dem Südwestgrat (970m) entscheiden wir uns über den Wald und die Schotterrinne- im Traunstein-Jargon “Scheissheislrinn” gennannt- anzusteigen. Wir sparen zwar Zeit, doch keine Kraft. Die schneebedeckte Rinne, aber vor allem der Ausstieg zum Bösen Eck (1.400m) verlangen einiges an Überwindung.

In der “Scheissheislrinn'”

Dort, wo man für gewöhnlich über harmlose Felsen wieder zurück auf den Naturfreundesteig klettert, stehen wir heute einem Schwimmbad gegenüber. Das Becken ist gefüllt mit grundlosem Neuschnee, immer wieder tauchen wir bis zum Kinn darin ein. Ein Speed-Rekord wird das wohl nicht mehr.

Zurück auf den Naturfreundesteig
“Klasse Gschicht”,  meint auch Moritz

Zurück am Normalweg, steht die Querung zum Bösen Eck bevor. Wo die sich wirklich befindet, können wir nicht so genau sagen. Das Wetter ist noch schlechter geworden. Der Wind peitscht uns eiskalt die Schneeflocken um die roten Nasen und Nebel lässt den Augen keinen Spielraum. Kurz halten wir inne und lauschen den Naturgewalten. So sieht, hört und schmeckt man ihn selten, unseren Traunstein.

Die Querung, oder: auf ins Ungewisse!

Auch die nachfolgende Rinne ist nichts für Schönwetterfans. Das Stoffseil erleichtert die Plackerei ein bisschen. Die Nordseite des Berges zeigt sich  nicht erfreut über unseren Besuch , als wir über die Schwelle des Felsentores treten. Mittlerweile ist die Temperatur auf minus zehn Grad gesunken und meine Handschuhe vernachlässigen langsam ihre Schutzfunktion. Nur mehr ein paar wenige Steilstufen und der Biwakraum des Naturfreundehauses lässt Gemüt und Glieder wieder warm werden. Es wäre nichts Verwerfliches die Besteigung dort zu beenden. Doch in gewisser Weise- und kennt man uns, glaubt man es bei dem Facettenreichtum kaum- sind wir Idealisten. Der Traunstein ist nur bestiegen, wenn auch der höchste Punkt erreicht wurde.

Außerdem wollen wir die neu installierte Webcam von ihrem eisigen Vorhang befreien und den Daheimgebliebenen wieder freie Sicht auf keine Sicht gewähren. Der Putztrupp steigt also weiter bergan.

Über die eisige Schwelle des Felsentors
Nicht mehr weit, bis zum rettenden Biwakraum

Im Biwakraum wärmen wir uns kurz auf, wechseln die nasse Kleidung und beginnen uns mental auf ein Martyrium einzustellen. Windverfrachteter, grundloser Pulverschnee auf dem Plateau wird den fünfzehnminütigen Gang zum Gipfel beträchtlich verlängern. Mit Humor überbrücken wir die anstrengenden Meter bis zur Gmundner Hütte und beginnen unsere kurze, aber intensive Lehre zu ausgebildeten Reinigungskräften.

“Moritz, steig auf meine Schultern und ich heb’ dich zur Webcam hoch”. Der Wind übertönt meinen Vorschlag. Wenige Zentimeter fehlen dem Kampfzwerg auf die Lehrabschlussprüfung.

“Wart, ich probier es mit der Bank.” Auch das scheitert an den Grundvoraussetzungen.

“Da, eine Leiter”.

Webcam-Reinigung in Perfektion
Hat es auch wirklich funktioniert? 

Der Weg zum Gipfel ist anstrengend. Wir wechseln uns ab, doch nach wenigen Metern ist eine Pause für das Weiterkommen unabdinglich. Das Gefühl auf einer abwärtsführenden Rolltreppe nach oben zu steigen, kommt auf. Immer wieder liegen wir mit dem gesamten Körper in den Latschen. Schallendes Gelächter wechselt sich mit Hasstiraden ab.

Die Gmundner Hütte, oder: auf ins Ungewisse Teil 2
Moritz liegt dem Traunstein zu Füßen

Kurz noch unter die Schneedecke, dann wenige Meter obenauf, bis endlich das Kreuz auftaucht. Dazu müssen wir ihm aber schon direkt gegenüber stehen. Die Gipfelrast fällt kurz aus. Ein kurzer Eintrag, ein Handschlag, ein Kopfschütteln, ein Lächeln.

Traunsteingipfel am 16. Jänner. Temperatur: -10,7 Grad

Die Spuren sind beim Abstieg schon fast nicht mehr erkennbar. Der Wind hat sie davongetragen. Über den Naturfreundesteig geht es bergab. Im Gleichschritt auch die Temperatur. Mittlerweile hat es schon -12 Grad.

Abstieg über das Böse Eck

Ausgefroren, aber glücklich kommen wir wieder beim Sulzkogel an. Es wirkt fast so, als hätte er sich herausgeputzt, gekämmt und gestriegelt. So viel Aussicht hatten wir den ganzen Tag nicht.

Sulzkogel- die felserne Nadel 

Wir rutschen dem Parkplatz entgegen und lassen uns müde in die Autosessel fallen. Das Fazit fällt positiv aus. So allein ist man auf diesem Berg ganz selten- dazu braucht es wohl genau diese Verhältnisse.

Also empfehlenswert? Nein. Ja. Jein. Der Traunstein ist sicherlich kein Tipp für schlechtes Wetter. Dazu ist er zu exponiert, kann zu schnell unangenehm werden und lässt zu wenige Fehler zu.
Allerdings lassen sich die Vorteile einer solchen Unternehmung nicht ganz unter den Teppich kehren. Die Natur hat den Menschen fest im Griff, nicht umgekehrt- auch wenn er stets darum bemüht ist. Zu keinem Zeitpunkt ist das besser spürbar. Um dieses Machtgefüge auseinanderbrechen zu sehen, reicht allerdings auch eine kleine Wanderung auf den Haushügel.

Ach, übrigens: Die Webcam sendet jetzt wieder Bilder- sogar mit Aussicht. Eines davon dürfen wir euch nicht vorenthalten:

Wer allerdings irgendwann auf den Traunstein will, dem sei unser etwas wirrer GPS-Track eine Hilfe. Die Fotos der Tour sind in nachfolgendem Album zu betrachten.