Es ist kurz vor acht Uhr, als wir unsere müden Beine aus dem Auto schwingen. Oder besser gesagt, hieven. Die Autofahrt von Linz nach Gasteig in Kuchl südlich von Salzburg hat unsere Muskeln eingeschläfert. Doch schon bei der Kontrolle des Rucksackes haben wir dieses Gefühl, das oft erst beim Beginn einer Bergtour einsetzt: Freude! Während ich mich am Parkplatz noch nett unterhalte, verschwindet Hans schon in Richtung Gollinger Wasserfall.

Zu Beginn geht es bergab, nein nicht mit uns, nur mit dem Weg. Wir wollen doch hinauf, denken wir uns. Das Schicksal meint es gut mit uns und nach etwas mehr als einem Kilometer geht es hinauf, steil hinauf, sehr steil hinauf. So sehr wir uns den Anstieg gewünscht haben, so schnell ist dieser Wunsch verflogen. Hilft nichts. In steilen Serpentinen windet sich der Weg hinauf zum Kleinen Göll. Hier und da braucht man kurz die Hände zum Abstützen, mehr aber nicht. . Eine Quelle im oberen Drittel zum Kleinen Göll bietet sich noch einmal an, um die leeren Flaschen aufzufüllen.

Nach der Quelle, noch am Normalweg zum Bärenstuhl bzw. Kleiner Göll

Die angekündigte halbe Stunde kurz vorm Gipfel scheint wie im Flug zu vergehen, sodass wir 10 Minuten später – nach etwa zwei Stunden – am Gipfel des Kleinen Gölls stehen. Zeit für eine kurze Pause und einem ausgedehnten Blick auf den weiteren Weg. Jäh werden wir aus unseren Gedanken über den noch sehr langen Weg gerissen. Eine Gruppe bestehend aus fünf Personen hat mittlerweile zu uns aufgeschlossen. “Kennt ihr den Weg? Wir haben uns beim letzten Mal hier in den Latschen verkoffert.”, erzählen sie uns. Den Weg kennen wir nicht, lediglich ein GPS-Track am Handy sollte uns in der Not helfen. Sorgen braucht man sich hier aber auch keine machen.

Der weitere Weg mit Blick zum Freieck bzw. zum Hohen Göll

Blick hinunter zum Bärenstuhl, den wir ausgelassen haben

Rückblick zum Kleinen Göll

Am Gipfel ist man erst am Anfang

Zahlreiche Steindauben weisen den Weg durch das Latschenlabyrinth. Links, rechts, abwärts, ums Eck, vorbei an einer Doline, Schrofen hinauf. Spätestens beim zweiten Blick sieht man irgendwo wieder einen Stein auf dem anderen liegen. Einen Steinwurf später erreichen wir auch schon die Schneid beim Schönbachkopf. Gekonnt tänzeln wir auf schmalen Steigspuren, mal nördlich, mal südlich von Latschenbändern in Richtung Vorderes Gruberhorn. Auch die Verfolgergruppe befindet sich schon am Kamm, schön aufgefädelt wie auf einer Perlenkette.

Die Verfolgergruppe, unterwegs am schmalen Grat vom Schönbachkopf

Der Puls steigt, nicht beim Tiefblick, sondern mit jedem Schritt im Steilgras. Schwach ausgeprägte Tritte im Gras erleichtern den Aufstieg, dennoch kommen wir außer Atem. Nur kurz atmen wir durch, als wir den höchsten Punkt erreichen. Der nächste Abstieg und Wiederaufstieg folgt sogleich, ein Spiel, dass wir heute noch öfter spielen werden. Sisyphus hätte es nicht besser machen können. Das Vordere Freieck ist zum Greifen nahe und doch noch so fern. “Schön langsam wäre eine kurze Pause nicht schlecht”, meint Hans. “Ja, machen wir da oben eine Pause”, antworte ich. Da oben angekommen, “Ach, gehen wir noch weiter, da oben ist es schöner!”. Hans nickt kurz und wir gehen weiter.

Wir gehen noch weiter bis zum Hinteren Freieck

Die Frisur hält … nicht

Beim Gipfelbuch des Hinteren Freiecks angekommen, wirbelt der Wind meine Haare auf, die schon nach dem nächsten Friseurtermin ächzen. Da hilft auch der Kuchler Kamm recht wenig. Warum das Gipfelbuch und das Gipfelkreuz mehr als 100 Meter auseinander stehen entzieht sich unserer Kenntnis. Gut, auf dieser weitläufigen Gipfelwiese ist ja auch genug Platz, da müssen sie nicht zusammengepfercht stehen wie die Hühner in der Legebatterie. Beim Gipfelkreuz wollen wir uns kurz setzen, doch der Wind pfeift uns um die Ohren und durch die Haare. Meine zumindest. Also gehen wir wieder weiter. Mit dem Blick auf die beeindruckende Kammerschneid bzw. dem Kammertalkopf setzen wir uns dann doch kurz nieder.

Die Kammerschneid liegt vor uns, steil stürzen die Wände hier ab

Will uns da wer die Schneid abkaufen?

Frisch gestärkt geht es weiter über die Kammerschneid. Diese kauft uns zwar nicht die Schneid ab, aber ein beherzter Griff ist bei einem recht ausgesetzten Köpfl doch notwendig. Während sich die Wegfindung auf der ganzen Tour recht einfach gestaltet hat, hatten wir in diesem Bereich die einzigen Probleme. Über den Kammertalkopf muss man einfach oben drüber und im Abstieg von eben diesem muss man der Steilweise bis ganz links nach unten folgen und dann zur Scharte queren. Wir sind natürlich einem Steinmann und einzelnen Steigspuren gefolgt. Über eine Verschneidung geht es kurz im zweiten Schwierigkeitsgrad nach unten, dann ist auch diese – nicht notwendige, aber klettertechnisch schöne – Hürde geschafft.

Den Abstieg vom Kammertalkopf haben wir uns etwas schwieriger gemacht

Rückblick zum Hinteren Freieck und zum Kammertalkopf

Die Steinwüste am Weg zum Grünwandkopf

Am Weg zum Grünwandkopf werden wir in die Wüste geschickt. Ein Teppich an Steinen breitet sich vor uns aus, da hilft es auch recht wenig, wenn wir an das nahegelegene Steinerne Meer denken. Die Sonne macht uns nicht gerade schneller, aber Schritt für Schritt kommen wir dem steilen Aufschwung zum Grünwandkopf näher. In angenehmer Kletterei erreichen wir den Gipfel und holen dort drei weitere Überschreiter ein.

Am Grünwandkopf

Ein deutscher Sologänger hält sich eher wortkarg und  erkundigt sich nur nach unserer Startzeit, aber die zwei Salzburger sind zu Späßen aufgelegt. Zum Trinken haben sie nur noch ein “Maul voll”, wie sie sagen. “Zum Hohen Göll ist es noch weit und der Wirt vom Purtschellerhaus wird das Bier wohl auch nicht hierher bringen”, meint dann der Zweite. Die Tour zieht sich schon etwas, dennoch ist von Lamentos weit und breit keine Spur. Gut gelaunt gehen wir kurz zu fünft weiter, ehe sich unsere Wege wieder trennen und jeder sein Tempo geht. Schmal und ausgesetzt nähern wir uns dem Taderer.

Der deutsche Sologänger ist schon ein Stück hinter uns, am schmalen Grat zum Taderer

Ausgesetzter, aber nicht schwierig: der Abstieg vom Taderer

Am Ziel ist man erst, wenn man unten ist

Endlich! Der letzte Gipfel vorm Höhen Göll ist geschafft.  Der Abstieg ist noch einmal steil und ausgesetzt. Zum markierten Weg, der vom Alpeltal heraufkommt stellen sich noch ein paar Hindernisse in den Weg. Jetzt aber wirklich: Endlich! Wir haben den Hohen Göll nach ca. 2.700 Höhenmetern in den Beinen erreicht. Mit der Ankunft am Gipfel ändert sich auch das Publikum. Grüßen scheint dieser Tage am Berg immer mehr aus der Mode zu kommen. Aber gut, was solls. Hans ist sowieso mittlerweile anderweitig beschäftigt. Sein letztes Wurstbrot hat die Aufmerksamkeit der Bergdohlen auf sich gezogen. Wie der berühmte Bergdohlenflüsterer Robert Redford, gewinnt er sofort das Vertrauen dieser Tiere, die sich in seinen Oberschenkel krallen, um gefüttert zu werden.

Am Hohen Göll

Der Bergdohlenflüsterer bei der Arbeit

Der gesamte Kamm vom Kleinen Göll bis zum Hohen Göll im Rückblick

Abstieg über den Schustersteig

Nach einer kurzen Pause brechen wir wieder auf. Der Abstieg über den versicherten Schustersteig ist kurzweilig, erst im unteren Teil sind nordseitig die keramikartigen Felsen etwas rutschig und daher etwas langsamer zu begehen. Der Durst nach einem hopfenhaltigen Getränk treibt uns aber an. So erreichen wir  70 Minuten später das Purtschellerhaus auf der deutsch-österreichischen Grenze. Ein Drittel der Hütte steht in Deutschland, der Rest in Österreich. Die Hütte wurde daher in der Nachkriegszeit gerne als geheimer Treffpunkt genutzt. Das Trinkwasser für die Hütte kommt aus Österreich und das Abwasser fließt nach Deutschland – wehe dem, der hier böses denkt. Einmal pro Jahr darf ein österreichischer und ein deutscher Rauchfangkehrer die Hütte besuchen, blöd wenn die Kamine sich auf beide Staatsgebiete aufteilen. Die entscheidende Frage, die sich nun stellt: Auf welcher Seite haben wir unser Bier getrunken? Wir waren in Deutschland! Denn auf der österreichischen Seite hätten wir im Schatten sitzen müssen.

Die letzten Meter zum Purtschellerhaus

Über den Eckersattel und die Dürrfeichtenalm gelangen wir wieder zurück zum Auto. Der Kreis schließt sich beim Parkplatz wieder. Als wir ins Auto steigen knurrt unser Magen. Viel haben wir nicht gegessen als wir unterwegs waren. In Kaltenhausen lösen wir dieses Problem und fahren nicht nur mit gefülltem Magen, sondern vor allem mit einem Rucksack voller Impressionen ob dieser schönen Runde nach Hause. Den Besuch beim Friseur habe ich dann übrigens drei Tage später nachgeholt.

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