1.380 Höhenmeter, 13.75 Kilometer Wegstrecke


Gegenüber und doch weit weg: die andere Seite der Haller Mauern

Von Gabriel Egger

Unten die Bosruckhütte, am Weg das Rohrauerhaus, irgendwo dazwischen die Hofalm und oben der Gipfel. Nicht selten werden die Haller Mauern gedanklich mit der Wanderung auf ihren höchsten Punkt verknüpft. Der Große Pyhrgas (2.244m) zieht Naturliebhaber aus allen Ecken des Landes magnetisch an und ist darum auch selten ein Ort der Einsamkeit. Doch lässt man den Finger auf der Landkarte über seinen eleganten Nachbarn, den Scheiblingstein (2.197m) in Richtung Osten gleiten, dann wendet sich nicht nur das Atlasblatt, sondern auch die Atmosphäre wird schlagartig eine andere.
Vom geschäftigten Treiben ist man hier weit entfernt. Die Berge sind zwar kleiner, aber genauso oho wie ihre hohen Kollegen.

Der September ist ins Land gezogen und hat neben Regen und Nebel auch frische Temperaturen mitgebracht. Um diese ungewohnten Umstände am eigenen Körper zu fühlen, sind Hans und ich auf der Autobahn unterwegs. Klingt erstmal komisch, hat aber eine gewisse Routine. Diese Routine nennt sich gelebte Spontanität. Drauf losfahren und sich auf eine zündende Idee verlassen. Der Spruch mit der Schachtel Praline und dem Leben, nur etwas abgeändert.

Die Laglam

So verschlägt es uns also nach der Arbeit zuerst nach Windischgarsten, wo dem Warscheneck mit erhobener Nase eine Absage erteilt wird. Auch die Pyhrgasüberschreitung darf sich nicht beglücken lassen und so tuckern wir schon auf dem Güterweg Innerrosenau Richtung Gehöft Leopolden. Dort, auf 860 Metern, schlendern wir zuerst gemächlich eine Forststraße bergauf, bevor wir im Dunkeln des Waldes verschwinden. Die Sohlen meiner Berglaufschuhe brennen, denn am Parkplatz hat sich zu meinem sportlichen Ehrgeiz noch ein weiterer innerer Drang gesellt. Durch sein schickes Gefährt ist mir ein alter Bekannter aufgefallen, der vermeintlich seine Spuren in den vom Regen aufgeschwemmten Boden zieht. Auch Martin hat es in die Haller Mauern verschlagen und kurz vor der Laglalm (1.324m) können wir uns herzlich begrüßen. Weil Martin heute seinem Nachnamen alle Ehre machen will, erwartet den Langstein hoher Besuch, während wir nach rechts abzweigen um am markierten Sepp-Wallner-Steig Richtung Scheiblingstein zu marschieren.

Nur wenige Meter später zweigt der Weg zum Mannsberg ab, der mir bislang unbekannt ist. Während Hans weiter Richtung Laglkar spaziert, steht meine Entscheidung schnell fest. Der Rucksack wird deponiert und eilenden Schrittes versuche ich die weißen Flecken auf der Landkarte einzufärben. Schnurstracks laufe ich vorerst in die falsche Richtung und so dauert es länger, bis ich zwischen Kuhfladen, Dreck und Latschen doch endlich einen Steinmann erkennen kann. Sehr steil zieht sich der Weg hinauf zum felsigen Gipfelaufbau. Wer raucht, sollte besser vor dem letzten Aufschwung damit aufhören.

Am Mannsberg angelangt

Am Gipfel angekommen, türmen sich die Wolken ringsherum auf den schroffen Wänden. “Halt, nicht zu fest an die Felsen drücken, da fliegt sonst was” denke ich. Die Haller Mauern sind nämlich berühmt-berüchtigt für ihr außergewöhnlich brüchiges Gestein. Im Zuge ihrer Gesamtüberschreitung durfte ich einige Steine schon aus nächster Nähe begutachten.

Wolken dominieren die Umgebung

Kurz in brüchigen Erinnerungen geschwelgt, schieße ich auch schon wieder den Weg hinab, um Hans nicht zu lange in den Wolken warten zu lassen. Die haben sich mittlerweile vom Himmel auf den Wanderweg begeben und sorgen für eine ordentlich mystische Stimmung. Erst wenn sich der Weg steil nach rechts zieht und das schutterfüllte Laglkar ins Blickfeld rückt, verlässt man die Markierungen und kann mit dem zweiten Außenseiter auf Tuchfühlung gehen. Der Mitterberg ist ein steiler Zapfen und lässt nicht nur Freunde der weglosen Abenteuer, sondern auch Kletterer auf ihre Kosten kommen. Der eingebohrte Nordgrat (III+) besticht aber vor allem durch seine Brüchigkeit.

Wir queren nun ein langes Schuttfeld, das unumgänglich für ein Fluchkonzert sorgt. Das Gleichgewicht ist nur schwer zu halten auf den unterschiedlich großen Steinen und umso größer ist die Erleichterung, wenn sich die Mitterbergrinne direkt vor einem aufbäumt.

Links der Mitterberg, Foto: Martin Lang
Schuttfeldquerung
Dort, wo der Nebel dicht wird, geht es die Rinne hinauf

Durch die Rinne geht es kurzweilig aufwärts. Lediglich einige leichte Kletterstellen (I) und etwas Gras stellen sich dem Mitterberg-Aspiranten in den Weg.

Im unteren Teil der Rinne

Wir erreichen einen Sattel, von dem aus der schroffe Zacken bereits klar ersichtlich ist. Auch die Schafplan und der Ostgrat des Scheiblingsteins zeigen sich. Schönheit ist vergänglich und so ziehen nach einigen Minuten wieder Wolken durch und bringen die ersten Regentropfen mit sich. Wir queren kurz im abschüssigen Gelände und stehen dann vor dem letzten Aufschwung, der 70 Höhenmeter und wenige leichte Kletterstellen beeinhaltet (I+).

Die Kreuzmauer (links) versteckt sich hinter den Wolken

Ein kurzer Latschenkampf und schon ist das kleine Kreuz in greifbarer Nähe. Wir lassen uns nieder und blättern im Gipfelbuch. Seit Februar 2008 ist es hier heroben, hat schon einige Jahre auf dem Umschlag und viele Dinge erlebt. Das zeugt von der Abgeschiedenheit dieses Gipfels. Aber es ist mit vielen Bergen so wie mit den Menschen: die Außenseiter sind meist unverstandene Helden. Genauso einer ist auch der Mitterberg.

Am Gipfel des Mitterberges

Weil sich die Tropfen langsam aber sicher zu einem ausgewachsenen Regenguss entwickeln und die Aussicht auch mit langem Anstarren einer weißen Wand von zu Hause aus genossen werden kann, verabschieden wir uns vom Mitterberg. Die Nässe kriecht uns in die Kleidung und auch die Rinne ist nicht mehr ganz so elegant zu bewerkstelligen.

Abwärts im Regen

Zurück am markierten Normalweg, geht es flott zurück zur Laglalm, wo sich der Herbst eindrucksvoll zu Wort meldet. Der Nebel geistert über die Täler, der Wind pfeift durch die Baumkronen und ein ganz besonderes Licht beleuchtet  die umliegenden Berghänge. Die Zeit der Ruhe, sie steht vor der Türe und wird nicht nur mit süßem Sturm und schmackhaftem Wild eingeläutet. Bald werden die Blätter fallen, die Krähen ächzen und die Hütten schön langsam schließen. Dann sind sie bald wieder alle Außenseiter. Mannsberg und Mitterberg wird’s freuen.

Oh, du mein mystischer Herbst!

Freuen könnte euch auch ein  Blick ins Fotoalbum! Wer auf unseren Spuren wandeln will, dem sei der GPS-Track empfohlen: