280 Höhenmeter, 4.2 Kilometer Wegstrecke

Für die einen ein Tunnel, für die Huemers wohl die schönste Erhebung der Welt




Von Gabriel Egger





Sie sind lästig, stören den Empfang und fördern den Sekundenschlaf: Autobahntunnel gehören mit ihrer matten Atmosphäre bei Lenkern sicher nicht zu den beliebtesten Bauten. Während Autofahrer diese Hürde mit Tempoverminderung und Langeweile überspringen, turnen Bergsteiger auf ihr herum. Denn was uns schon der Hausverstand sagt, erleben  Abenteurer in Wanderschuhen mit den eigenen Füßen: Alles was man untertunneln kann, kann man auch besteigen. Interessiert es mehr als ein paar wenige Menschen über vielbefahrenen Straßen am Gipfel  zu stehen und auf die nächste Raststätte zu blicken? Nein? Genau das macht es so spannend.

Kleine, zarte Tropfen fallen gegen die Windschutzscheibe, als der Lainberg zum ersten Mal ins Blickfeld rückt. Ein kleiner, unförmiger Gupf, bedeckt von wildwuchernden Sträuchern und dünnen, kahlen Bäumen ,optisch eher Unkraut, als Berg. Beachtet wird er ohnehin kaum, die Taglichter der Autos streifen höchstens den Fuß der Erhebung. Viele würden sich sogar wünschen, er stünde gar nicht zwischen Sankt Pankraz und Windischgarsten. Dann müssten sie die 187 Meter auf der Autobahn 9 nicht unter Tag zurücklegen.

Andere aber haben auf den Reisen in die Pyhrn-Priel-Region Gefallen am löchrigen Felsen gefunden. Mit “andere” meine ich freilich meinen wirren Kopf. Hans steuert den Wagen, dessen Reifen recht unüblich unter der Brücke im Schalchgraben zum Stillstand kommen. Nur selten parken hier Autos, deutet man den skeptischen Blick des Lainbauers richtig.

Start im Schalchgraben

764 Meter ist der Lainberg hoch. Mehr wissen wir nicht – mehr wollen wir aber auch gar nicht wissen. Wir werden es in den nächsten Stunden erfahren. Oder besser Minuten: knapp 250 Höhenmeter sind bei dem Anstieg zu überwinden.

Das Rauschen der Teichl begleitet uns auf dem asphaltierten Weg über die Brücke. Den Pfad der Zivilisation verlassen wir nur wenige Meter danach. In steilem, rutschigen Gelände treffen die Sohlen der Berglaufschuhe zum ersten Mal den Lainberg. Wir visieren den felsigen Grat an, schließlich soll es ja ein richtiges Abenteuer werden. Das Abenteuer endet trotz farbiger Steine im brüchigen, abschüssigen Gelände. Wenn es doch bloß nicht so nass wäre. Der Gedanke einer Grat-Kletterei wächst und schrumpelt durch einen kurzen Regenguss sogleich wieder. Also weiter rechts.

Endstation

Dann ist plötzlich die Luft raus. Steigspuren führen über den steilen Bergrücken. Die blumigen Frühlingsboten können nur schwer über die verloren geglaubte Entdeckungstour hinwegtrösten. Der schmale Steig führt in Serpentinen zurück auf den breiter werdenden Grat. Unten brummen die Motoren der Autos, hier oben ist der Trubel nur zu hören, fühlen kann man ihn nicht. Wie ein großer, ungepflegter Garten präsentiert sich das “Plateau”. Das “Columbus-Gefühl” bleibt. Amerika war gestern, Lainberg ist heute.

Blumige Pfade

Der Regen hat nachgelassen, es dampft über der Autobahn. Ein letzter Zwischenanstieg und wir stehen am Gipfel. Totholz markiert den höchsten Punkt. Ausblick gibt es keinen, dafür die Gewissheit dort zu stehen, wo nicht viele ihr Profil in die nasse Erde graben.

Lainberggelände

 

Selbstgebautes Gipfelkreuz am Lainberg

Ich schaue mich am Gipfel um. Hier scheint es keine Regeln zu geben. Moos wächst über Gras, Steine liegen kreuz und quer und der farbenfrohe Herbst hält hier oben seinen Winterschlaf. Die Anarchie der Pflanzen. Revolution, steht auf ihren Halmen.

Der letzte Rundum-Blick ist rot-weiß-rot. Nicht weil ich  in sentimentalen Patriotismus verfalle, sondern weil dort am Ende des Gipfelplateaus doch tatsächlich ein Baum angestrichen ist. Eine Markierung, ein Weg, eine Stange- ein Seufzer. Es gibt also doch einen Weg.

Wir beschließen den Berg zu überschreiten und folgen dem gut ausgetretenen und liebevoll eingefärbten Pfad. Entgegen unserer Erwartungen führt der aber nicht nach unten. Er bleibt konstant am Bergrücken. Einmal schmal, dann wieder zebrastreifenbreit.

Markierungen weisen den Weg

Als der Steig sich endlich anschickt ins Tal zu führen, taucht ein hölzernes Kreuz auf. 758 Meter zeigt die Uhr an. Die Gipfelschatulle wird beinahe aufgebrochen, so gespannt bin ich, wo wir hier gelandet sind. Das Buch ist liebevoll verziert und gut eingepackt. Keine Chance für Wind und Wetter. Die Wolken verziehen sich vom gegenüberliegenden Sengsengebirge und verstärken den Moment….

ZEHNERKOGEL


…ach, noch so einer. Der Name ist aber weit banaler, als es die Erhebung ist. Sie hat Herz. Die Leidenschaft der Familie Huemer steckt darin. Lukas Huemer und sein Papa haben sich hier ein kleines Reich über dem Highway geschaffen. Zahlreiche Einträge zeugen von der Begeisterung. Außer Huemer finden sich kaum andere Namen im Büchlein, sogar mit den Skiern sind sie dem Laubberg schon zu Leibe gerückt. Ein romantisches Bergmärchen, vor allem wenn man dem “Huemer”-Weg nach unten folgt.

Der Zehnerkogel

Neben Markierungen, die großzügig angebracht wurden, sind die abgeschliffensten Steine entschärft worden. Hölzerne Stiegen erleichtern die vertikalsten Stellen. Man hat sich wirklich bemüht, diesen unattraktiv gelegenen Berg zugänglich zu machen. Erfolgreich, wie ich finde. Bevor man zur Bundesstraße absteigt, die einen zurück zum Ausgangspunkt bringt, gibt es noch intime Blicke ins Sengsengebirge- und auf die Autobahn.

Menschliche und naturelle Errungenschaften vereint

 

Im Tal ist der Berg sogar angeschrieben. Eine kleine Holztafel leitet auf den richtigen Weg. Die Huemers haben diesen Nachmittag besonders gemacht. Sie haben sich dem Tunnelblick verwehrt und haben über ihn geschaut. Dort, wo das Leben noch nicht so schnell vorbeirauscht.

Auf zum 10er Kogel