2.500 Höhenmeter, 22 Kilometer Wegstrecke




Ein zerklüftetes Abenteuer

Nachbetrachtung vom 17. August 2014






Von Gabriel Egger



Der Wind drischt den Regen gegen die Zeltwände und rüttelt an den Heringen. Bei diesen Wassermengen könnten auch die gleichnamigen Fische überleben. Nur wenige Grad Celsius trennen die Tropfen von ihrer kristallenen Form. Dick eingepackt und in den Schlafsack gehüllt starren wir an die Decke und beobachten die Nässe, wie sie sich bedrohlich unseren Körpern nähert. Es ist weit nach Mitternacht in Mayrhofen im Zillertal. Mitten im Tiroler Herz des alpinen Skifahrens. Nächtens pocht es nur langsam. Alles ruht. Nur der Himmel nicht. Hoch oben am Zillertaler Hauptkamm fallen die ersten Schneeflocken der Saison. Der Zustand zwischen langatmigem Warten und kurzatmiger Vorfreude ist anstrengend. Nur noch wenige Stunden und wir können unseren Zeltplatz zwischen feuchter Wiese und geparkten Autos verlassen und hoch zur Berliner Hütte steigen. Hier wollen wir die nächste Nacht verbringen. Dass unser Wille niemals geschehen wird, wissen wir noch nicht.

Nachtlager in Mayrhofen

Als wir unsere Köpfe aus dem Zelt recken und dabei das angestaute Wasser die morgendliche Dusche übernimmt, ist es fünf Uhr Früh. Eine ganze Stunde lang verbringen wir mit Packen, denn die Ausrüstung soll gut gewählt sein. Zwei besonders spannende Unternehmungen stehen uns bevor: die Hochtour auf den Großen Möseler und die Klettertour auf die formschöne Zsigmondyspitze.

Die Kraft der Gedanken, die nur vom Klimpern des salopp montierten Pickels geschwächt wird, trägt uns durch den endlos wirkenden Zemmgrund. Forststraßen, wohin das Auge reicht. Das große Laster des Zustiegs. Kurz vor der Grawandhütte geht die Sonne auf und mit ihr die Sorgen unter.

Die Sonne beleuchtet die Wolken, die um die Gipfel schwirren

Nach zwei Stunden stehen wir vor einem Hotel- zumindest optisch lässt es daran keine Zweifel. Die Berliner Hütte ist eine moderne, riesige Hütte, im altmodisch-hölzernen Kleid. Wir  bedienen uns am großzügigen Frühstücksbuffet, passieren die Registrierkassa und lassen dem Koffein die restliche Arbeit über. Der Möseler ist bereits im Blickfeld. Was für ein ausgesprochen unästhetischer Name für diesen Berg. Da haben die stilbewussten Italiener, denen der Berg genauso gehört, schon besser gewählt: Grande Mesule. Gut, dass wir nicht alle Sprachen verstehen.So klingt es schon majestätischer.

Das Waxegkees ist unser Spielfeld für die kommenden Stunden. Tief zerklüftet und von Neuschnee bedeckt, liegt es am Fuße des blockigen Grates, der sich elegant zum Gipfel zieht. Zuerst am ausgeschriebenen Normalweg an den Fuß des Schönbichler Horns, später über Wiesen und loses Gestein, bahnen wir uns unseren Weg. Das Ambiente ist- ach- seht selbst:

Die Berliner Hütte (links der Bildmitte) und der formschöne Zacken der Zsigmondyspitze
Auf zum “Grande mesule”- links das Schönbichler Horn 

Über riesige Platten klettern wir dem Gletscher entgegen. Ortskenntnis ist uns ein Fremdwort. Wir versuchen den Orientierungsmangel mit Spürsinn wettzumachen. Endlich, die Zacken der Steigeisen durchstoßen die Neuschneeschicht und bohren sich ins ewige Eis. Moritz und ich sind als Freunde durch ein unsichtbares Band verbunden- heute auch sichtbar  mit einem Seil. Behutsam tastet sich mein junger Kollege über den weitläufigen Gletscher. Die Spalten sind gleichsam furchterregend, wie anmutig. Vorsicht ist geboten, denn die dünne Schicht der vergangenen Neuschneenacht ist tückisch. Unter ihr verbergen sich dunkle Schächte aus Eis.

Zustiegsgelände
Gletscherfreuden
Ein Ort zum Träumen

Teils müssen wir über die offenen Spalten springen, um dem Bergschrund näher zu kommen. Auch dessen Ausmaß verblüfft uns. Ein falscher Schritt und der Berg ergreift Besitz von uns. Im wahrsten Sinne des Wortes. Vorsichtig steigen wir auf den Grat, den wir mit einer heiklen Querung auch gleich wieder verlassen müssen. Über einen Hang aus losem Geröll steigen wir auf die italienische Seite ab. Wolken hüllen die Flanken des “Mesule” ein. Sole, per favore!

Wie der Grat gewonnen…
….so zerronnen
Abstieg auf der italienischen Seite

Lange, harmlose Querungen folgen. Der Blick immer nach Italien gerichtet. Kein Meer, kein Strandverkäufer, keine Mofas, keine Spagehtti- dafür ganz viel  Amore. Die Liebe zum Bergsport manifestiert sich. Wir entscheiden direkt zum Gipfel zu klettern. Eine Mischung aus Eis, Schnee und felsigem Blockgelände, lässt die Anspannung nocheinmal steigen. Zumeist im zweiten Schwierigkeitsgrad bewegen wir uns motorisch dem hölzernen Kreuz entgegen. Das Geräusch, das die Steigeisen beim Zerkratzen des Felses verursachen, prägt sich ein.

Schlusshang auf den Großen Möseler

Der erste Schritt hinaus aufs schmale Plateau ist erfüllend. Die Nordwand des Hochfeilers baut sich vor uns auf, die Wolken spielen sich mit den schroffen Riesen. Schön ist es hier. Am Gipfel des Möselers. Wie das klingt. Wir rasten trotz frostiger Temperaturen lange. Die Frage nach dem Abstiegsweg ist weiterhin offen. Nocheinmal über das Waxeggkees? Zurück über die losen Blöcke? Oder nach vorne, runter zum Furtschaglhaus und mit zusätzlichen 800 Höhenmetern über das Schönbichler Horn zur Berliner Hütte? Beides ist im Moment nicht verlockend. Beides ist Illusion.

Am Großen Möseler (3.480m)

Wir entscheiden uns über das spaltenarme Furtschaglkees abzusteigen. Irgendwie werden wir schon zum Schönbichler Horn queren können. Der Weg ist leicht und wir kommen flott voran. Eine steile Rinne baut sich vor uns auf. Vier deutsche Bergsteiger kommen hier nicht weiter. Sie wirken ängstlich, sind verunsichert, fragen uns nach Rat. Der weiche Schnee macht die Steigeisen überflüssig, die Felsblöcke in der Mitte der Rinne allerdings sprechen eine andere, gefährlichere Sprache. Moritz läuft hinunter, verschwendet keine unnötigen Gedanken.

Am Furtschaglkees
Die Rinne. Wirkt nicht steil- ist sie aber

Ich versuche es ihm gleichzutun und rutsche gleich nach wenigen Schritten ab. Mit einer enormen Geschwindigkeit donnere ich auf dem Bauch liegend die Rinne hinab. Wie im Schnelldurchlauf ziehen die umliegenden Wände an mir vorbei. Ich versuche den Sturz mit dem Pickel abzufangen. Er greift nicht. Im Augenwinkel taucht ein mächtiger Felsblock auf. Noch ein Versuch. Er greift wieder nicht. Nur noch wenige Meter trennen mich von einer schmerzhaften Kollision. Die Haue greift, ich werde langsamer. Meine Füße berühren die Felsen leicht. Noch einmal Glück gehabt.

Das Glück ist ein Vogerl. Unsere Querung zum Schönbichler Horn scheitert nach wenigen Metern im ausgesetzten Gelände. Die Gäste des Furtschaglhauses beobachten uns kritisch. Wir müssen uns geschlagen geben und unser Nachtlager auf die andere Seite des Berges verlegen. Müde und stinkend betreten wir die Hütte. Der Hüttenwirt eilt uns entgegen.

“Bist du der Moritz Mayer?”
“Ja, genau, der bin ich”
“Du sollst deine Mama anrufen”

Das heroische Gefühl ist schlagartig verschwunden.

TEIL 2 mit “Schönbichler Horn” und “Zsigmondyspitze” folgt.