2.530 Höhenmeter, 32 Kilometer Wegstrecke

2418 Meter Höhenunterschied mit Schleifchen: das Große Wiesbachhorn als Geburtstagsgeschenk

Von Gabriel Egger










Die Scheiben des Autos sind angeschlagen, die Sitze unangenehm zurückgestellt. So fühlen sich also Kreuzschmerzen im Vorstadium an. Unruhig drehe ich mich von einer Seite auf die andere. Der Versuch einige wenige Stunden zu schlafen, scheitert schon an den Grundvoraussetzungen.  Vor nicht allzu langer Zeit ist die Sonne hinter dem Großen Pleißlingkeil in den Radstädter Tauern untergegangen. Jetzt, im Parkhaus Kesselfall in Kaprun, bin ich skeptisch, ob sie wirklich zur Gänze hinter dem Horizont verschwunden ist. Nass im Schlaf wurde ich zuletzt im Kindesalter, doch hier auf 1.036 Metern sorgt der Schweiß für ein unliebsames Deja-Vu. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich mich noch ein wenig gedulden muss. Auch der Schatten neben mir bewegt sich. Hans verbringt die ersten Stunden seines 48. Geburtstages in der untersten Etage einer Parkgarage. Wer Berge erle(e)ben will, muss leiden.

Abendstimmung in den Radstädter Tauern

Dann endlich. Das sonst so verhasste Piepsen der GPS-Uhr klingt heute wie ein Jubelschrei.  Es ist 04.00 Uhr Früh. “Alles Gute, alter Mann, gemma’s an!” rufe ich Hans zu. Der knurrt zurück. Wie ein Bär, der mit seiner Tatze in den leeren Honigtopf gefahren ist. Nur wenige Minuten später aber machen wir uns im Schein der Stirnlampen auf ,um zum Mooserboden zu gelangen. Gleich einmal freche 1.000 Höhenmeter, die uns zum eigentlichen Ausgangspunkt der Tour bringen.  Hans schmückt sein Tourenbuch an seinem Wiegentag nämlich mit seinem ersten 3.000er. Und mit dem Wiesbachhorn soll das nicht irgendeiner sein. Die Zeiten des Firngrates, der den Wind der Westalpen direkt in die Hohen Tauern brachte, sind zwar vorbei, doch mit 2.418 Metern Unterschied zwischen Tal und dem 3.564 Meter hohen Gipfel, bleibt das Horn der Glocknergruppe der Berg mit dem größten Höhenunterschied der Ostalpen. Bus und Standseilbahn würden die Tour zwar beträchtlich entschärfen, doch der Ehrgeiz und eine kleine Portion Starrsinn sagen “Nein” , bevor das Gehirn überhaupt beschwichtigend eingreifen kann.

Es ist stockdunkel und die Augen erspähen auf den engen Waldpfaden entweder gar nichts, oder zahlreiche Möglichkeiten sich niederzulassen. Müdigkeit dominiert die ersten 400 Höhenmeter. Dann aber zeigt sich langsam die Sonne und scheint durch den strapazierten Körper direkt aufs Gemüt. Schon stehen wir vor den riesigen Stauseen. Die Sonne beleuchtet das ruhige Wasser. Mit ein bisschen Fantasie und gekonntem Ausblenden der gigantischen Betonmauern, könnte man sich fast wie am Meer fühlen. Fast.

Fast wie am Meer

Alter schützt vor Torheit nicht und so entscheiden wir uns die gerade Linie durch die Tunnel zu nehmen. Einige Kilometer marschieren wir unter Tag, bevor sich der Weg elegant an der Straße vorbeischlängelt und wir den Mooserboden erspähen können. Hier auf 2.040 Metern ist es noch ruhig, auch die Murmeltiere haben ihr Pfeifkonzert noch nicht begonnen. Einzig ein Bergnomade geistert herum und wartet auf die Öffnung des Restaurants. Von hier aus ist bereits das Dach des Heinrich-Schwaiger-Hauses zu erkennen und wir wissen, dass noch einmal harte 800 Höhenmeter auf uns warten, bis sich das Koffein endlich seinen Weg ins Blut bahnen kann. Der Weg zur Hütte ist fein angelegt, Seilversicherungen erleichtern den teils steilen Anstieg und der nahe Stausee könnte schöner nicht sein. Die ersten ungläubigen Blicke entgegenkommender Wanderer treffen mein Schuhwerk. Mit den Winterlaufschuhen bin ich in dieser Höhe wohl etwas “underdressed”. Mein Mut, oder war es doch Übermut, sollte sich aber bezahlt machen.

Der Mooserboden
Der Weg zum Heinrich-Schwaiger-Haus

Die letzten erdigen Serpentinen liegen hinter uns und der Duft von frisch gekochtem Kaffee steigt uns in die Nase. Ambrosia! Das Hüttenteam wirkt ein bisschen wie eine Patchwork -Family und niemand ist älter als 23 Jahre. Eine frische Brise auf 2.801 Metern! Gut so, denn mittlerweile zeigt sich die Sonne wieder unbarmherzig, vor allem mit der noblen Blässe des Geburtstagskindes. Die Tasse Kaffee ähnelt einer Suppenschüssel und wir können unseren Weg frisch erholt fortsetzen. Die erste Schlüsselstelle der Tour wartet gleich nach der Hütte. Der dritthöchste Gipfel der Glocknergruppe weist über den Normalweg keine sonderlichen Schwierigkeiten auf und der Kamin, der klettersteigähnlich versichert wurde, kann mit festem Anpacken leicht überwunden werden (B). Nun erwartet den “Horu”-Begeher ein Mix aus leichter Felskletterei (I) und blockigem Gehgelände. Den Schnee muss man sich am heutigen Tage suchen. Das mache ich auch und bereue es gleich wieder. Hartgefroren und nicht sonderlich rutschfest präsentieren sich Frau Holle’s Federn.

Die Richtung stimmt!
Der Kamin
Die Überbleibsel besserer Zeiten

Wir haben die 3.000 Meter schon überschritten und nun merken wir auch, dass wir schon über 2.000 Höhenmeter in den Beinen haben. Langsam queren wir überhalb des Gletschers ein gut ausgetretenes Schneefeld, bevor es auf den bekannten Kaindlgrat geht. Die Aufmerksamkeit gilt aber noch nicht dem Wiesbachhorn, sondern der beeindruckenen Kulisse ringsherum. Der Glockner, schwarzer Berg und wahrer Alpinistenmagnet, thront auf der einen Seite, während sich die nahen Bratschenköpfe mit ihrem Gletscher ebenso einen erstaunten Blick verdient haben. Beim Kaindlgrat selbst ist nocheinmal kurz Handarbeit gefragt (I), bevor es gilt, sich über Schotter und Geröll nach oben zu kämpfen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob mich etwas Schnee hier stören würde. Auch die Nordwestwand, im Frühjahr eine lohnende kombinierte Tour, hat sich seiner weißen Umhüllung bereits zur Gänze entledigt.

Ausblicke Richtung Glockner

 

Typisches Wiesbachhorn-Gelände

 

Ein letztes Schneefeld wird umgangen und der Gipfel ist in greifbarer Nähe. “Und, besser kann man nicht Geburtstag feiern, oder?”. Hans nickt und lächelt, als würde er für die neue Blendamed-Werbung posieren. Nach langen Stunden der Plackerei ist das 3.564 Meter hohe Horn erreicht. Wir setzen uns und lassen uns von den Wolkenfetzen umspielen. Allgegenwärtig bleibt Österreichs höchster Berg, der von hier gar nicht so einladend aussieht, wie er zu sein scheint.  Die ungewollte Einladung auf seinen Gipfel zu steigen, nehmen aber auch heuer wieder tausende Bergsteiger aus aller Welt dankend an. Nur wenige Meter unterhalb können wir im Stillen darüber philosophieren.

Am Großen Wiesbachhorn

 

Ich mustere mich selbst und erkenne, wie blöd ich eigentlich aussehen muss. Ein Kapperl, das das kurzgeschorene Haar verdecken soll (nicht jeder, kann mit wenig Haaren gut aussehen. Eine Erkenntnis, die ich aus diesem Sommer mitnehme). Dazu eine kurze Hose, knallrote Laufschuhe und ein Baumwollshirt, das einen Dinosaurier zeigt, der eine Pizza verschlingt und dabei lauthals brüllt: “Hasta la pizza, baby”. Kabarett Simpl oder doch Hohe Tauern?

Vor der Kälte schützt mich auch nicht das Reptil mit Vorliebe für die italienische Küche und so müssen wir uns langsam wieder nach unten bewegen. Hans übernimmt die Vorhut und leitet mich durch den Wirrwarr an losen Blöcken. Die Schneefelder werden als Rutschunterlage missbraucht und auch der Kamin hat gegen den Drang nach einer hopfigen Erfrischung keine Chance. Auf der Terrasse der Hütte machen wir eine kurze Siesta, lassen der Sonne die Möglichkeit unser optisches Alter weiter in die Höhe zu treiben und werden auch noch mit einem delikaten Essen verwöhnt.

 

Das  obligatorische “Seht her, ich trink ein Bier”- Bild

 

 

Zuvor galt es aber noch abzusteigen
Vorbei an Seen…
…und Schneemännern

Zurück zum Mooserboden wird wieder der Turbo gezündet, denn die Gewitterwolken bäumen sich schon mit lauten Drohgebärden über uns auf. Als der Regen einsetzt, sitzen wir bereits im Restaurant und machen uns mit Kaffee  fit für den letzten Abstieg Richtung Kesselfall. Ziemlich lukullisch so eine Hochtour, nicht wahr? Diesmal müssen wir an den Tunneln außen vorbei gehen, um die Gefahr von den Bussen überrollt zu werden zu minimieren. Ein teils recht ausgesetzter Steig bringt uns direkt über dem See wieder auf die Straße.  Und der Blick zurück, spricht für sich: bello impossibile!

 

Rückblick

 

Die vorbeifahrenden Busse machen uns doch ein bisschen sehnsüchtig. Sehnsüchtig nach Gemütlichkeit, die aber noch rund eine Stunde auf sich warten lässt. Ein langer Tag endet schließlich wieder beim Parkhaus. Normal ist es schöner, wieder im Bett zu landen. Es ist schön, sich an Geburtstagen an wunderbare Dinge erinnern zu können. Denke ich zurück, war da am 29.11.2014 der Sparber. Und der Schafberg. Und der Brunnkogel. Und der Traunstein. 
Wenn sich unser Veteran nun daran erinnert, waren es drei 3.000er. Moment! Der lügt doch, der Angeber! Das war doch nur das Wiesbachhorn! Nicht ganz. Denn mit dem unteren und dem oberen Fochezkopf, die man unfreiwillig mitnimmt, sind es drei. Und alle guten Dinge sind schließlich drei.

Darum dürft ihr nicht nur den Text lesen, sondern auch die Fotos des Tages im folgenden Album betrachten und euch den GPS-Track ansehen 😉