28. Oktober 2015 



25 Kilometer Wegstrecke, 2.550 Höhenmeter


Auf den Spuren der alten Bergliteratur

Von Moritz Mayer









4:00 Uhr Früh. Der
Wecker klingelt wieder einmal. Wie so oft bewege ich mich im Halbschlaf langsam
zum Nachttisch und versuche diesem nervigen Geräusch ein Ende zu bereiten. Gabriel ist bereits munter und sitzt
auf meiner Couch. Nach kurzem Aufenthalt im Badezimmer, wo allmorgendlich die
Zähne geputzt werden, stapfen wir auch schon zum Parkplatz. Es ist kalt. So
kalt, dass der Atem im Schein der Straßenlaternen gut sichtbar ist. Um 4:30 Uhr
drehe ich den Schlüssel im Zündschloss um und Motorgeräusche stören die
nächtliche Ruhe.

Anschließend geht
es auf in Richtung Salzburg, genauer gesagt, ins Bundesland Salzburg. Dort gibt
es ja bekanntlich viele Berge und wo Berge sind ist auch BERGAUFUNDBERGAB nicht
weit. Für mich geht es heute in eine ganz besondere
Gegend. Im Zederhaus-Tal habe ich einst meine Liebe zu den Bergen entdeckt und
seither komme ich jedes Jahr mehrere Male in dieses sehr überschaubare Tal
zurück. „Absolute Einsamkeit, lange Grate, steile Gras-Flanken und gigantische
Ausblicke“, so würde ich diese Gegend beschreiben. Zum ersten Mal macht sich
heute Gabriel mit mir auf den Weg ins salzburgerische „Lungau“ und ich freue
mich darauf, ihm diese Gegend ein bisschen schmackhaft zu machen.

Ausgesucht haben
wir uns allerdings keine leichte Tour. Vor etwa einem Jahr hatte ich im „Holl-Führer“
(Niedere-Tauern) einen sehr interessanten Eintrag gefunden der wie folgt
lautet:
Begehung des gesamten Kammes von
Schrovinkopf über alle Gipfel hinweg bis zum Weißeck.
Unschwieriger
Gras- und Schuttkamm, kurze Stellen I. In den letzten 40 Jahren höchstens vier
Begehungen.“
Vor allem der
letzte Satz dieses Eintrages hat sich in meinem Kopf von nun an festgebrannt. Nur kurz zur Erklärung: „Der gesamte
Grat ist extrem lang und viele Höhenmeter müssen auf ihm überwunden werden.
Ganze 19 Zweitausender werden hier überschritten. Noch dazu kommt, dass die
Tage schon ziemlich kurz waren und auch schon einiges an Schnee oberhalb von
1.800 Metern lag. Doch
Bergaufundbergab wäre nicht Bergaufundbergab wenn wir uns dieser
Herausforderung nicht stellen würden.
Eine gute Stunde nach dem amerikanischen Raststättenfrühstück  stehen wir in Fell bei Zederhaus und parken das Auto unter die Autobahnbrücke.
Kurze Zeit später spazieren wir auch schon die Südhänge der „Grandlnasen“ (mit
2.204 Meter unser erster Gipfel für heute) hoch. Da jedoch die Wegmarkierung im
Zederhaus-Tal teils etwas ungenau ist und wir nicht wirklich Motivation finden
uns auf den sich dort befindenden Forststraßen herumzuquälen, absolvierten wir
die knapp 1.100 Höhenmeter fast ausschließlich weglos durch steiles Waldgelände.
Dies funktionierte ganz gut und wir kamen schnell voran. Ab
der Baumgrenze, die sich dort auf etwa 1.800 Meter befindet, verlangsamte dann
der hartgefrorene Schnee unser Tempo. Dafür wurden aber die Rundum-Blicke immer
besser und Gabriel verstand schon langsam warum ich diese Gegend so liebe.


Herbstidylle
Knapp über der Baumgrenze

Um kurz nach 9:00
Uhr erreichten wir dann unseren ersten Gipfel, die Grandlnasen (2.204m). Nun
waren wir also im Grat und uns wurde langsam bewusst, was wir uns da wieder
vorgenommen hatten. Der letzte Gipfel dieses Grates, das Weißeck, war zu diesem
Zeitpunkt noch nicht einmal zu sehen. Die Anblicke der verschneiten 3000er,
motivierten uns aber zusätzlich und wir machten uns sofort auf zum nächsten
Gipfel. Genau 45 Sekunden später war dieser auch erreicht. Der 2.203 Meter hohe
Schrovinkopf ist ungefähr 100 Meter von der Grandlnasen entfernt und somit
leichte Beute für Gipfelsammler.


Aufstiegsgelände
Auf der Grandlnasen
Das nächste Ziel
war die 2.323 Meter hohe Kendelspitze. Leider ging es ab nun nicht mehr so schnell
und der Grat schlängelt sich in ewigem Auf und Ab durch die Landschaft. Die
Umstellung von bergauf und bergab  stellte für uns heute die größte
Herausforderung dar und jeder weitere Höhenmeter war eine Qual.
Mittlerweile hatten wir die Kendelspitze hinter uns gelassen und standen auf
dem Großeck (2.427m), welches bereits unseren vierten 2000er für heute
darstellte.


Typisches Gratgelände, geteilt in Sommer und Winter
Da uns von Anfang
an bewusst war, dass dies heute kein leichtes Unterfangen werden würde,
versuchten wir die Rucksäcke so leicht wie möglich zu bepacken um Gewicht zu
sparen. Leider ist uns bei dieser Planung ein Fehler unterlaufen und wir hatten
eindeutig zu wenig Wasser dabei. Gerade mal ein Liter fand den Weg in unsere
Rucksäcke. Ab nun hieß es nun: „Auf jedem Gipfel ein kleiner Schluck!“.
Der anschließende
Abstieg vom Großeck entpuppte sich schon sehr bald als äußerst schwierig.
Direkt am Grat zu bleiben wäre viel zu riskant und in der relativ leichten
aber dafür sehr steilen Nordflanke lag hartgefrorener Schnee. Nicht unbedingt
die besten Voraussetzungen für Trail-Laufschuhe. Nach längerem Hin und Her
entschieden wir uns dann doch für die steilen Grasflanken der Südseite als Abstiegsweg.
Als wir einige Zeit später wieder am  Grat standen, hatten wir
bereits viel Zeit verloren.


Steile Grasflanken als unangenehmer Ausweg
Teils auch etwas abschüssig


Um die Tour noch vor Einbruch der Dunkelheit zu Ende zu bringen, erhöhten wir das Tempo. Nach wenigen Minuten und weiteren Höhenmetern standen wir auf dem nächsten Zweitausender, dem Brettereck (2.406m). Am Gipfel gönnten wir uns abermals einen Schluck Wasser und blickten auf den weiteren Gratverlauf. Nun sollte es nämlich wieder etwa 200 Höhenmeter bergab gehen, bevor die nächsten Gipfel warteten.


Nun ging es Schlag auf Schlag. Nach dem kurzen Abstieg, bestiegen wir in nur wenigen Minuten drei Zweitausender. Dolzenberg (2.390m), Kaltenfeldspitze (2.462m) und Balonspitze (2.485m) waren schon bald erklommen. Auf der Balonspitze machten wir dann die nächste kurze Pause. Auch wenn es nur wenige Höhenmeter vom Brettereck auf die Balonspitze waren, fühlten sich unsere Beine an, wie nach unserer 24-Stunden-Traunstein-Tour.  Bereits jetzt hätte uns eigentlich klar sein müssen, dass diese Tour heute wohl nicht mehr beendet wird.

Auf der Balonspitze



Nach dem Gipfel der 2.485 Meter hohen Balonspitze, wartete der Abstieg in die Marislscharte auf 2.299 Meter. Abstiege von 180 Höhenmetern meistern wir normalerweise in nicht einmal fünf Minuten. Dank des vielen Schnees und der sehr ausgeprägten Bruchharsch-Schneedecke, benötigten wir allerdings fast eine halbe Stunde bis wir endlich in der Marislscharte standen.

Abstieg in die Marislscharte
Wunderschön, aber anstrengend

 

In der Marislscharte war unsere Stimmung ziemlich im Eimer. Wir hatten nun schon fast die Gewissheit, dass das heute nichts mehr werden würde. Nichtsdestotrotz standen wir nach weiteren 250 Höhenmetern auf der Marislwand (2.529m). Dieser Berg stellte für mich zumindest einen kleinen Trostpreis da, ist er doch das “Matterhorn des Zederhaus-Tales”. Am Gipfel begegneten wir dann auch noch zwei anderen Bergsteigern, mit denen wir uns kurz unterhielten.

Das Matterhorn im Zederhaustal



Nach einer kurzen Gipfelrast, ging es für uns dann noch auf die Kreuzhöhe (2.521m), von wo aus wir enttäuscht in Richtung Weißeck (2.711m) hinüber blickten. Auch wenn wir bereits wussten, dass der Plan gescheitert war, liefen wir noch über einen namenlosen Gipfel bis hin zum Pleißnitzkogel (2.536m). Von dort aus wollten wir dann sogar noch auf die Silberplatten (2.482m) gelangen, jedoch bemerkten wir auf halbem Weg, dass die Chancen gegen 0 geschwunden waren.  Es lag einfach zu viel Schnee auf der Nordseite des Grates. Zurück am Pleißnitzkogel, entspannten wir uns anschließend noch fast eine Stunde lang in der strahlenden Herbstsonne.

Typisches Bruchharsch-Gratgelände
Am Pleissnitzkogel

Anschließend mussten wir uns überlegen, wie wir sorgenfrei absteigen können. Das Gute an den Niederen-Tauern ist, dass man in nahezu jedes Tal absteigen kann. Nach kurzem Kartenstudium entschlossen wir uns dann für den Pleißnitzkessel als Abstiegsvariante. Zuerst stapften wir noch durch tiefen Schnee in Richtung Norden, auf einem nach Zederhaus hinabziehenden Grat, ehe wir in den schattigen Pleißnitzkessel abstiegen. Dort rutschten wir dann über steile Flanken auf unserem Hintern gen Tal. Kurz bevor der letzte Bus von Zederhaus in Richtung St. Michael fährt, erreichten wir das kleine, beschauliche Bergdorf und nahmen diesen letzten Bus, welcher uns wieder zu unserem Ausgangspunkt zurück brachte. Eine wirklich sehr exklusive Bergtour ging somit zu Ende. Wir kommen wieder!

Abstieg in den Pleissnitzkessel
Rutscheinlagen
Die Zwillingswand leuchtet in den letzten Sonnenstrahlen

Mehr Bilder und den Track gibt es hier: