1.200 Höhenmeter, 16 Kilometer Wegstrecke




Seine Mitte finden: Pfadsuche im Sengsengebirge




Von Gabriel Egger














Sie gehört zu den absoluten Klassikern der oberösterreichischen Bergwanderungen: die Überschreitung des Sengsengebirges von Klaus nach Windischgarsten. Die Südseite mit ihren sanften Latschen und den sonnigen Rastplätzen und die raue, felsdurchsetzte Nordseite wissen wegen ihrer Unterschiedlichkeit zu beeindrucken. Die Hohe Nock, oder der Hohe Nock- das Geschlecht ist bis heute nicht eindeutig geklärt- ist als höchster Gipfel das ganze Jahr über Anlaufpunkt für Wanderer, Kletterer und Bergläufer aus der Pyhrn-Priel-Region und dem Zentralraum. Knapp 30 Kilometer schlängelt sich der Höhenweg vom Spering bis zu ihr/ihm hin- für Spürnasen sogar weiter bis zum östlichsten Punkt, dem 1.736 Meter hohen Mayrwipfl. In der Mitte der langen Überschreitung liegt das Uwe-Anderle-Biwak verborgen. Eine Schachtel mit sechs Betten, die so liebevoll in die Landschaft integriert wurde, dass man meinen könnte, sie sei bereits mit ihr verwachsen. Will man eine Rast bei der kessen Unterkunft abhalten, muss man entweder eine lange, höhenmeterträchtige Wanderung über mindestens drei Gipfel unternehmen, oder man trickst sich gekonnt durchs Latschenmeer- wie Pfadfinder Hans und ich am Dreikönigstag.

War es letztes Jahr die Erstbesteigung 2015 des Traunsteins bei tiefwinterlichen Verhältnissen, wollten wir  heuer einem weniger prominenten Gipfel unseren Charme aufzwingen und die erste Eintragung des jungfräulichen Jahres vornehmen. Ganz so winterlich sollte es nicht werden, soviel sei verraten.

Die Luft ist eisig-kalt, aber wenig adrenalingeschwängert, als wir beim Parkplatz Koppen, am Ende der öffentlichen Schotterstraße, aus dem Auto steigen. Wenig alpine Spannung, dafür umso kniffligere Wege erwarten wir uns heute. Zuerst geht es aber über vereiste Forststraßen bis zum Einstieg  des Wanderwegs, der zum Saubachgut führt. Wer hier noch müde ist, ist es danach nicht mehr. Steil geht es die nächsten 300 Höhenmeter über Geäst und Laub hinauf zur persönlichen Loge von Hannes Trinkl. Sein Häuschen im Grünen wartet mit einem famosen Blick zum Kleinen Priel auf und diente schon zu schnelleren Zeiten als Entschleunigungsort.

Die rot-weiß-roten Markierungen führen weiterhin steil durchs Unterholz , der Weg Nummer 461 bleibt aber gut ersichtlich. Der Schnee ist heute nur stiller Teilhaber, erst im oberen Bereich wird er versuchen die Zähne zu fletschen. Doch bellende Hunde beißen nicht.

Hinein in den Nationalpark Kalkalpen

Bei einer Weggabelung, bei der auch der Weg zur Hohen Nock (Ich entscheide mich an dieser Stelle als Fan des weiblichen Geschlechts für die sanftere Variante) über die Bärenriedlau abzweigt, folgen wir der Forststraße bis zur Kogleralm. Sie ist die Alm der Zukunft. Außer einer modernen Messstation sind hier nämlich kaum ländliche Anzeichen zu entdecken. Vielleicht wären ja unter den wenigen Zentimetern Schnee ein paar Kuhfladen. Wir werden es nie erfahren.

Hier folgen wir der Straße noch ein kleines Stück, bevor es endlich wieder knifflig wird. Steinmänner dienen als Wegweiser und lassen einen in den Wald eintauchen. Zwischen Latschen und weniger pittoreskem Gestrüpp quert man den Hang. Und quert. Und quert. Und quert. Eine gefühlte Ewigkeit dauert es, bis eine scharfe Rechtskurve endlich den Endspurt einleitet.

Wir begegnen einem alten, abgemagerten Mann. Durch sein schütteres, weißes Haar ist schon die Kopfhaut zu erkennen. Er sinniert über bessere Zeiten, als er noch vital wirkte, als sich noch Frauen und Männer gleichsam mit ihm vergnügten. Monatelang war er der Mittelpunkt des Geschehens- ebenso geliebt wie gefürchtet. Früher, meint er, hätte er sich uns in den Weg gestellt. Wir mit unseren Sportschuhen. Da hätte es kein Vorbeikommen gegeben ohne Hilfsmittel. Heute lässt er uns passieren. Sogar für eine Drohgebärde fehlt ihm die Kraft. Er komme wieder, verlautbart er krächzend. Wir würden schon noch sehen. Es kostet uns ein müdes Lächeln. Sie verstehen es nicht, die Stars von früher. Nicht jeder taugt zu einem Comeback.
Mach’s gut Winter, vielleicht sieht man sich wieder!

Mittlerweile ist der Hochsengs vor uns aufgetaucht, die Latschen verdichten sich. Nun gilt es ganz ohne Steinmänner den richtigen Weg zu finden.

Hochsengs voraus
Typisches “Zwischen-den-Latschen-Gelände”

Die Latschen sind jedoch gut ausgeschnitten und weisen den Weg. Überraschend schnell stehen wir vor dem Uwe-Anderle-Biwak. Ein kurzer Blick hinein: es ist leer. Welch Wunder. In die Mitte des Sengsengebirges verirrt sich so schnell niemand um diese Jahreszeit. Doch wir sind hier und spüren das pulsierende Herz des Gebirges.

Schäferstündchen gefällig? Das Uwe-Anderle-Biwak auf 1.580 Metern 

Wir beschließen vor dem Gipfelgang auf den Gamskogel noch ein bisschen Richtung Hochsengs zu spuren. Das Wetter hat sich mittlerweile stark gebessert und ein paar Blicke mehr können nie schaden.

Das Tote Gebirge hinter dem Latschenmeer
Auch Richtung Molln wird es langsam schön. Davor, richtig, Latschen!

Die steilen Querungen zum Hochsengs sind von lockerem Pulverschnee bedeckt und wirken äußerst ungustiös. Hans lässt sich zu ein paar Metern hinreißen, während ich mit meinem neuen Spielzeug, der GoPro Hero4, auf Tuchfühlung gehe. Ich liebe es, das Kind im Mann.

Ein paar Zusatzmeter
…und ein kleines bisschen noch

Als dann der Nebel den Hochsengs einnimmt, kehren wir ihm opportunistisch den Rücken und steigen auf den Gamskogel, der uns im Gegensatz zu seinem unfreundlichen Nachbarn mit tollen Stimmungen belohnt. Kennt ihr Donald Duck und Nachbar Zorngiebel noch? Das sind die sie beiden. In Bergform.

Immer wieder tolle Stimmungen
Familie Priel versteckt sich schön langsam

Der Weg zum Gamskogel ist ähnlich bescheiden. Die alte Neuschneedecke lässt uns immer wieder einbrechen. Am Gipfel dann aber die freudige Überraschung : Noch kein Eintrag im Buch im neuen Jahr. Die Dreikönigs-Tradition wird also fortgesetzt. Diesmal im Sengsengebirge. Aus Freude verschreib ich mich gleich einmal.

Sengsen nicht Sengseng. Deutsch hättest du studiert, Junge!
Schöne Stimmungen am 1.710 Meter hohen Gipfel

Wir beäugen noch kurz das neue Holzkreuz, bevor wir auf selbem Weg wieder zurück ins Tal galoppieren. Galoppieren nicht ganz, dafür aber flotten Schrittes mit kurzen Ausflügen unter die Schneedecke.

Zurück ins Tal!

Obwohl ich- ich gestehe- kein großer Fan des Sengsengebirges bin, hat mir die Wegfindungskomponente dieser Tour doch große Freude bereitet. Ich würde für weitere weglose Latschen”ruachlereien” an dieser Stelle gerne auf Berge erleeben- Mastermind Hans Leeb und dessen Blog verweisen, doch der von mir geschlagene Ritter des Sengsengebirges schreibt nicht mehr. Die Tinte ist ausgetrocknet.

Dafür gibt es das Internet und das schenkt euch den GPS-Track, auch wenn er heute nicht unbedingt genau ist. Der Zustieg zum Anderle-Biwak für eine romantische Nacht ist aber definitiv richtig. Für mehr Bilder lohnt sich ein Klick aufs Fotoalbum: