Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund
Die Sonne brennt dort oben heiß
Wer zu hoch hinaus will, der ist in Gefahr

Das jähe Ende der Stoderkamm-Überschreitung

Von Gabriel Egger

In Hinterstoder (Bezirk Kirchdorf) hat die Bergrettung in der Nacht auf Montag zwei verirrte Wanderer vom Kraxenberg gerettet. Die beiden 23 und 24 Jahre alten Linzer fanden in der Dunkelheit den Weg ins Tal nicht mehr.

-ORF Oberösterreich vom 20. Oktober 2013.

Das Herz pocht und lässt die Endorphine verrückt spielen. Die Euphorie schwappt über die Ufer des Selbstbewusstseins, als wir ein weiteres Mal den Synthesizer-Tönen von “Hey Brother” lauschen, die unser Abenteuer musikalisch untermalen. Gerade der mentalen Hilflosigkeit entflohen, stecken wir virtuell schon wieder mittendrin. Nur ist es diesmal anders: Die eisigen Stellen lassen uns nicht mehr zweifeln, der lockere Fels führt  nicht  zu ängstlichen Blicken . Nur die ausgesetzten, zugewehten Querungen lassen auch noch von zu Hause aus das Adrenalin in die Fingerspitzen schießen.

Zwei Jahre gibt es unsere kleine Vereinigung “bergaufundbergab” zu diesem Zeitpunkt. Wir haben das Jubiläum mit einer riskanten, aber unvergesslichen Unternehmung gefeiert und  danach uns selbst. Zu lange und zu intensiv. Der Kater sollte lange andauern, die Nachwehen sind noch heute zu spüren.

 

“Schließlich aber kommen wir mächtig ins Schwitzen. Einige Passagen ziemlich vereist, die Kletterstellen teilweise vom Schnee zugedeckt. Wir konzentrieren uns nur auf unsere Motorik, ein Schritt- ein Zug- eine weiterer Aufschwung ist überwunden. Auch das Abklettern verlangt uns einiges ab. Die Zeit ist fortgeschritten und so drängt uns auch noch das verschwindende Tageslicht nach oben. “

Nach einem Wintereinbruch ist uns am 13. Oktober 2013 ohne Hilfsmittel eine Besteigung des 2.862 Meter hohen Hochgollings über den Nordwestgrat in den Schladminger Tauern geglückt. Und  das Wort”geglückt” dient hier nicht als bergsteigerische Floskel. Es war reines Glück, dass wir nach einem schier endlosen Tag, wieder die Heimreise antreten durften. Geblieben ist Hochmut- und der kommt bekanntlich vor dem Fall.

 

Im Schatten der Nacht

Die Stirnlampen leuchten durch das dichte Geäst im Talschluss von Hinterstoder. Der abnehmende Vollmond leuchtet uns den Weg durch das trockene Bachbett. Die Stille wird nur durch das hypnotisierende Rufen der Eulen durchbrochen. Es ist 04.45 Uhr morgens. Wir haben uns die Gesamtüberschreitung des Stoderkammes im Toten Gebirge zum Ziel gesetzt. Über 35 Kilometer, gespickt mit über 3.000 Höhenmeter zieht sie sich vom Bösenbühel bis zum Gamsspitz. Die Zeit drängt, denn die Tage Ende Oktober sind kurz und die Temperatur kann abends schon gegen den Gefrierpunkt fallen. Ach was, das schaffen wir locker, wenn uns schon der Hochgolling mit seinem winterlichen Kleid nicht abwerfen konnte..

Motivierter Start

Die Orientierung ist schwer, die Schatten der Nacht fühlen sich wie eine zusätzliche Belastung für die müden Augen an. Über unwegsames Gelände steigen wir vom Dietlgut zur Dietlhölle zu. Enge Pfade, ausgebaute Forststraßen und Schotter bestimmen das Landschaftsbild. Ein wirklicher Rhytmus kommt nicht zustande und wir erklettern träge eine nasse Rinne, die den Einstieg zur Dietlhölle markiert. Es sollte tatsächlich ein Tor zur Hölle werden. Normal wird diese Route nur im Winter genutzt um mit Tourenskiern aufs Plateau des Toten Gebirges zu steigen. Im Sommer gibt es durch diese steile Schlucht keinen Weg. Spärlich zieren Steinmänner das schrofige, unangenehme Gelände. Schon jetzt sind wir für diese ausgedehnte Tour viel zu langsam. Kletterstellen bis zum II. Schwierigkeitsgrad, Schnee und Geröll verlangsamen das Tempo drastisch. Die Gedanken sind aber ganz bei den ersten sanften Strahlen der Sonne. Es wirkt, als wollen sie uns vorsichtig aufwecken und aus den Zwängen der minutiösen Planung befreien. Wir halten inne und genießen den Aufgang, der sich hinter dem 1.823 Meter hohen Ostrawitz vollzieht.

Die Sonne zeigt sich langsam

 

Teilweise schwierigeres Aufstiegsgelände

Wir kommen nicht schnell genug voran. Der Schweiß tropft von der Stirn, obwohl die Temperaturen ihn noch an das Gesicht frieren müssten. Schon jetzt sollten wir beginnen, an unserem heutigen Plan zu zweifeln. Unbeirrt steigen wir über losen Fels den 1.997 Meter hohen Dietelbüheln entgegen. Das Spiel gegen die Zeit hat längst begonnen.

Typisches Anstiegsgelände

 

Kurz vor den Dietelbüheln noch einmal durch die Latschen…

 

….und vorbei an Dolinenschächten

 

Bei den Dietelbüheln

Vor einigen Tagen hat der Winter den ersten Schritt über die Schwelle der herbstlichen Jahreszeit gemacht und mit einigen Zentimetern Neuschnee für eine teils eisige Unterlage gesorgt. In Mulden und Rinnen sinken wir tief ein und auch sonst ist das karstige Gelände bei diesen Verhältnissen tückisch. Wir stehen erst nach vier Stunden auf dem Bösenbühel, unserem ersten von dreizehn Gipfelzielen. Es ist schon beinahe 09.00 Uhr und die Sonne wird sich um 18.00 Uhr  vom  Horizont verabschieden. Höchste Zeit die Taktik zu überdenken und gegebenenfalls zu ändern. Das tun wir aber nicht. Wir entspannen am uns noch unbekannten Gipfel und genießen die fantastische Rundumsicht über die Mondlandschaft des Toten Gebirges. Auch der Blick zum fernen Dachstein und dem unter uns liegenden Grundlsee hebt die Stimmung und lässt die Zeiger der Uhr voranschreiten.

Der Blick zum Grundlsee mit dem angezuckerten Toten Gebirge

Erst nach einer viel zu langen halben Stunde kommen wir wieder in die Gänge und treten den Abstieg an. Abstieg? Ja, denn nun beginnt das  Zeitspiel richtig knifflig zu werden. Joker haben wir nur einen, und den werden wir viel zu spät und an der falschen Stelle einsetzen. Zu der langen Wegstrecke gesellen sich etliche Höhenmeter, die in ständigem Auf-und Ab bewältigt werden müssen. Für die Beine, aber vor allem für den Kopf eine große Belastung. Hat man sich an den Abstieg gewöhnt, muss man wieder aufsteigen und umgekehrt. Wir sind aber guter Dinge und scherzen uns an den Dolinen vorbei Richtung Großem Hochkasten. 2 von 13. Es ist mittlerweile 10:30 Uhr.

Wir ziehen weiter

Am Großen Hochkasten kommt schließlich ein weiterer Faktor ins Spiel, der die Karten zu unserem Nachteil mischt. Vor drei Jahren schienen uns Fotos von uns selbst noch wichtiger zu sein, als die Präsentation der faszinierenden Landschaft. Gabriel sitzend, Matthias springend, Gabriel liegend, Matthias auf einem Bein stehend, Gabriel halbnackt, Matthias ohne Hose, Gabriel im Ausfallschritt..eine ewige Liste, die gleichermaßen narzisstisch, als auch unbeholfen ist. “Wir haben’s halt nicht besser gewusst” würde meine Oma sagen, nachdem sie mir bei Geschichten aus dem Krieg eine Riesenportion Schlagsahne auf den Kuchen schmiert. Und die Uhr tickt.

Matthias beim Übergang zum Großen Hochkasten

 

Am Großen Hochkasten

Der Große Hochkasten ist eine Klasse für sich. Einsam und abgelegen bietet er eine fantastische Rundumsicht über weite Teile des Bundeslandes und der Grundlsee sorgt auch von hier aus für visuelle Abkühlung. Die Gipfelwiese lädt außerdem zum Biwak ein, falls einem mal nicht der Sinn nach “ständig-auf-die-Uhr-schauen” ist. Fast schon Werbung für den felsigen Kerl. Natürlich halten wir uns auch hier wieder zu lange auf und machen aus der Konditionstour schön langsam eine Genusstour. Und die Uhr tickt weiter.

Jetzt Superman, später der verwirrte Riddler

“Aber kann es sein, dass euch deswegen die Zeit ausgegangen ist, weil ihr die meiste Zeit damit verbracht habt, euch in schwachsinnigen Posen gegenseitig zu fotografieren?”

– User “beigl” im Forum Gipfeltreffen. Damals gekränkt, gebe ich ihm heute Recht.Vom Großen Hochkasten geht es weiter zum Kleinen Hochkasten, dessen Ostgrat eine knackige Variante für verwegenere Bergsteiger darstellt. In unnachahmlicher Manier zieht er sich im II. Schwierigkeitsgrad elegant auf den 2.352 Meter hohen Gipfel. Auch hier überlegen wir, wie wir uns abenteuerlich in Szene setzen können, anstatt uns auf die Ernsthaftigkeit der Tour zu besinnen. Naja, zumindest haben wir unseren Spaß. Eine wirkliche Freude völlig alleine auf solchen oberösterreichischen Bergriesen herumzuturnen. Im Tal wird währendessen in den Gaststuben schon emsig das Mittagessen zubereitet. Der Duft von deftigem Schweinsbraten schafft es nicht bis zum Brandleck, auf dem wir mittlerweile stehen. Er hätte uns vielleicht gewarnt, dass sich Tage durch Freude nicht verlängern. Und die Uhr tickt immer noch.

Typische Stoderkamm-Szenerie

Der eigentliche Wegverlauf würde uns nun auf schmalen Bändern einen unbenamten (aber eingezeichneten) Gipfel umgehen lassen. was wir aber dankend ablehnen und den felsigen Freund in unsere Gipfelliste aufnehmen. Wieder bleibt Kraft und Zeit liegen. Über tiefen Schnee erreichen wir den Hebenkas (2.285m), einen Berg der sich allein durch seinen Namen einen Besuch verdient hat. “Verdient”. Auch so eine bergsteigerische Floskel, die niemand braucht. Schon gar nicht der Berg. Der hätte es wohl lieber, wenn niemand auf ihm herumtrampelt. Am Hebenkas zaubert uns der Blick ins Gipfelbuch ein Lächeln ins Gesicht. Wieder eine Floskel, die…ich hör schon auf. Seit 1981 wird es geführt und noch nicht einmal die Hälfte der Seiten ist beschrieben. Sowas macht einen dann doch immer ein bisschen stolz. So ein hoher Berg im Herzen Oberösterreichs und da waren nur eine handvoll Menschen vor dir. Darum lieben wir unseren Sport so. Darum ist unser Hobby auch unsere Leidenschaft. Entdeckungen, Entbehrungen, Erlebnisse. Die Drei E’s in meinem Leben. Dass es Bergsteiger gibt, die sich in diesen 32 Jahren nicht eingeschrieben haben, wird zu Gunsten des eigenen Selbstbewusstseins gerne ignoriert.

Umständlich und sinnlos: der Weg zum unbenamten Gipfel
Und was darf nicht fehlen? Richtig! Die zitierte schwachsinnige Pose

Vom Hebenkas folgt ein langer, schneebedeckter Abstieg in eine Scharte, von der es sehr steil auf die “andere Seite” des Stoderkammes geht. Hier könnte man den Hochplanberg, der vom Tal fast anmutig aussieht, links liegen lassen. Und was tut man, wenn die Zeit schon drängt und der Weg dorthin über zerfressenen Fels und schneegefüllte Mulden führt? Richtig! Man nimmt ihn mit.

Matthias kommt wie das Gesamtprojekt am Grat zum Hochplanberg ins Wanken

Den Gipfel erreicht, geht es über denselben Weg zurück und…Ja gut, ich zeige euch auch hier unser schwachsinniges Foto. Einmal mit Selbstauslöser die Wand hinunterstarrren, bitte!

Danke!

Die Füße werden langsam schwer. Der Magen rumort ganz ohne Hunger. Es kommt das Gefühl auf, heute nicht die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Der Mitterberg als sechster Gipfel ist erreicht, das halbe Dutzend ist voll. Wir beglückwunschen uns und beratschlagen über die weitere Vorgehensweise. Wir gehen weiter. Die Uhr tickt erbarmungslos.

Das Ende der Kräfte naht

Neben nacktem Fels kann man am Stoderkamm aber durchaus auch auf Vegetation treffen. Einige Blümlein verschönern das Landschaftsbild. Auch Schnecken versuchen sich heute an der Überschreitung. Und damit sind nicht wir gemeint. Beim Anstieg zum 2.183m hohen Mitterberg haben auch  die Probleme mit den vom Schnee zugedeckten Felsspalten begonnen schlimmer zu werden. Teilweise hüpfen wir nun von herausragendem Stein zu herausragendem Stein um uns in Sicherheit zu wiegen.

Beim etwa 200 Höhenmeter umfassenden Wiederanstieg zum Kleinen Kraxenberg kommen die ersten Zweifel auf. Können wir das wirklich noch schaffen? Die Stirnlampen sind eingepackt, aber der Weg ist noch so weit. Die Füße teilen das Stimmungsbild, das die Gedanken zu malen beginnen. Verdammt, das geht sich heute nicht mehr aus. Wir müssen absteigen. Aber wo? Matthias beginnt mit der Suche auf der virtuellen Karte. Da geht’s nicht, das ist zu weit, da ist es zu schwierig.  Ja wo denn jetzt?  Da! Vom Großen Kraxenberg führt ein Weg ins Schobertal und zur Poppenalm. “Ist aber T5 ” sagt Matthias. “Was bedeutet das?” frage ich verunsichert. “Also das dürfte schon schwierig sein, aber der Ostgrat am Traunstein ist auch T5”. “Ach gut, den würd ich schon noch absteigen” denke ich und seufze erleichtert. Also nur mehr da runter. Dann müssen noch ein paar Kilometer zum Gasthof Baumschlagerreith gehen und vielleicht nimmt uns ja von dort jemand mit. Sonst kramen wir in der Geldbörse, ein paar Münzen für ein Taxi werden schon noch drinnen sein. Klingt nach einem Plan! Ein Plan, der zum Scheitern verurteilt ist.

 

Der Weg zum letzten Gipfel des Tages: Großer Kraxenberg (2.198m)

Und der Albtraum beginnt

Obwohl die Wanderer auch für eine Biwak-Nacht am Berg ausgerüstet gewesen wären, alarmierten sie die Einsatzkräfte. 14 Mann der Bergrettung stiegen zu ihnen auf und geleiteten sie sicher ins Tal.

– ORF Oberösterreich vom 20. Oktober 2013



Vom Großen Kraxenberg steigen wir weglos der langen Rinne entgegen, die wir als Abstiegsweg ins Auge gefasst haben. Immer wieder müssen wir abklettern, die Schwierigkeiten halten sich aber noch in Grenzen. Der rauhe Fels zerkratz die Finger, die Nervosität beginnt zu steigen. Wenige Meter vor dem vermeintlich leichten Gelände wird es plötzlich anspruchsvoll. Nun stehen wir vor Steilabbrüchen, die nicht umklettert werden können. Bis zum III. Schwierigskeitsgrad müssen wir hier unser Klettergeschick unter Beweis stellen. Immer wieder ängstliche Blicke. Ein langer Schritt. Geschafft. Und schon wartet die nächste heikle Passage. Hält der Stein? Er hält. Wir stehen unter der Wand. Ab hier finden wir Gehgelände vor.

Matthias steigt dem Schobertal entgegen
Das Gehgelände ist erreicht
Wir atmen durch. Die frische Luft saust durch die Lungen, das Gehirn erholt sich. Wir tasten uns weiter voran. Hier muss es doch irgendwo runter gehen. Wir bleiben in einer langen Schuttrinne. Es ist 18.00 Uhr. Matthias steigt vor und bleibt wie angewurzelt stehen. “Was ist los?” schreie ich mehr fordernd als fragend aus sicherer Entfernung. Matthias braucht nicht zu antworten. Es geht hier nicht weiter. Rien ne va plus.
Das letzte Foto des Tages. Ein Abbruch versperrt den Weiterweg. Ohne Seil geht nichts mehr. 

Die Rinne hört abrupt auf und eine Steilwand bäumt sich vor uns auf. Später erfahren wir, dass wir über eine anspruchsvolle Skitourenroute abgestiegen sind. Ohne 60- Meter- Seil kann man hier nicht weiter. Das wissen wir aber nicht. Nun beginnt das Blut in unseren Adern zu gefrieren. Schlagartig wird es kalt im Schobertal. Nicht nur die Temperaturen fallen, auch wir scheinen in ein tiefes Loch zu fallen. Angst kommt auf. Wir probieren es an der linken Begrenzung der Wand. Hier sind noch ein paar Latschen. Ich hantle mich an ihnen und über unzählige Bänder nach unten. Dann ist es aus. Auch hier wartet ein Abbruch, mit Kletterschwierigkeiten, die vielleicht machbar wären, in unserem Zustand wäre ein IV. Grad im Abstieg ungesichert aber nicht zu verantworten.Ich probiere es über ein ausgesetztes Band. Die Felsen sind nass, der Weg ist schmal. Die Nervosität schmälert die Trittfläche noch um ein weiteres Stück. Keine Chance. Nocheinmal durch die Latschen. Ja, da könnt es rüber gehen! Die Bänder sehen gut aus, nur noch da rüber! Die sind ja auch nass. Verdammt, das sind diesselben. Wir bewegen uns im Kreis. Unser Hirn spielt uns die ersten Streiche. Wir setzten uns ins Gras und schauen uns an. Es ist mittlerweile 18.30 Uhr. Nun wird es schlagartig dunkel.

Es folgt ein Akt, vor dem es jeden Bergsteiger graut. Wir sind ein stolzes Volk, muss man wissen. Wir nehmen uns die Freiheit uns anarchisch in die wilde Welt zu begeben und kommen da auch wieder raus. Ohne Hilfe. Wenn dann  etwas passiert und die ausssichtslose Situation uns in die Knie zwingt, ist der Griff zum Hörer gegen jegliche Vernunft beschämend. Doch er ist die einzig richtige Option. 140. Es läutet.

“Grüß Gott, Sefciuk (Anm. Matthias) spricht. Wir sitzen zwischen Kraxenberg und Brieglersberg fest. Da ist ein Abbruch, wir kommen da nicht runter”

“Ah, ihr seids im Schobertal. Habt’s a Seil mit?”

“Nein, gar nix”.

“Da Heli kann nimma fliegen. Es ist zu dunkel. Wir kommen und seilen euch ab”

“Nein, das ist absolut nicht nötig. Sagt uns nur, wie wir da wieder raus kommen. Wir haben noch genug Kraft, wir können irgendwo absteigen. ”

“Geht in Richtung Sigistal. Da gibt es einen Weg runter. Wir bleiben in Kontakt”

Nach einer ausführlichen Erklärung legt Matthias dankbar auf. Wir steigen wieder 300 Höhenmeter auf. Dann folgt der längste Gang meines Lebens. Der Gang nach Canossa. Der Gang zur Sigistalhöhe. Geführt von Matthias Handy-GPS bahnen wir uns über Dolinenschächte in ständigem Auf-und Ab und ohne Ortskenntnisse einen Weg über das Plateau. Es ist Nacht. Außer den Schein der Stirnlampen sieht man nichts. Der Akku neigt sich dem Ende zu. Zum Glück haben wir dasselbe Handy. Der Akku wird getauscht. Es kann weitergehen.

Wir knipsen unsere Stirnlampen wieder ein, ziehen uns warmes Gewand über und taumeln weiter. Falls wir den Weg nicht finden würden, rechnen wir bereits mit einer Biwaknacht im Toten Gebirge. Das verkarstete Plateau bereitet uns einige Schwierigkeiten, immer wieder stehen wir vor Felsabbrüchen oder Dolinen und müssen uns eine Alternativroute suchen. Der Mond bricht durch die Wolken und leuchtet nun zusätzlich zu unseren Lampen und so haben wir zumindest mit der Sicht keine Probleme mehr.

Müde, ausgelaugt, nervös, ängstlich. Es sind keine schönen Stunden, die hier vergehen. 21.00 Uhr. Nichts. 22.00 Uhr. Nichts. 22.30 Uhr. Da vorne ist was! Eine Art Stange, das könnt es doch sein, oder? Das Herz pocht, der Puls schnellt in die Höhe. Was steht da? Sigistalhöhe! Geschafft! Hier geht es runter. Wir wanken nach unten. Plötzlich erhellen Lichter den Weg. Sie sind doch gekommen um uns nach unten zu bringen. Energiegels und Wasser wechseln den Besitzer. Aufopferungsvoll kümmern sich die Bergretter von Hinterstoder um uns und geleiten uns zum bereitgestellten Auto. Nocheinmal bekommen wir etwas zu trinken. Wir entschuldigen uns mehrmals. Die Retter winken ab. “Fehler macht jeder. Die Rettung spät oder gar nicht zu rufen, das ist der einzige Fehler, den man machen kann”. Wir nicken geknickt.

Es ist Mitternacht, als wir  nach der “Vernehmung” durch die Alpinpolizei wieder im Auto sitzen. Vor 21 Stunden und 30 Minuten sind wir von Linz aus aufgebrochen. Mann, war das ein Reinfall.

Fatale Zeiteinteilung und Selbstüberschätzung haben uns in eine Situation gebracht, in der wohl kein ambitionierter Bergsteiger je sein will.Es hätte auch schlimmer ausgehen können. Der Berg ist kein Spielplatz und schon gar nicht ein Ort der Überheblichkeit.

Die Jahre danach und ihre Lehren

Beinahe drei Jahre danach, würde ich diesen Tag als einen der wichtigsten in unserer alpinen Karriere bezeichnen. Ohne diesen “Schlag auf den Hinterkopf” wären wir viel zu spät aufgewacht und hätten uns an andere Projekte gewagt, die unsere Grenzen nicht überschritten, sondern gesprengt hätten. Mit fatalen Folgen.
Aus Fehlern lernt man. Die Floskeln gehen weiter. Doch auch hier ist sie beabsichtigt, denn sie stimmt. Soviel Demut und Respekt hätte mir kein Erfolg in der Bergwelt geschenkt. Es war ein Ausrutscher aus Gold. Er hat mir auch gezeigt, wie wichtig es ist, Menschen zu haben, auf die man sich im Notfall verlassen kann. Sei es ein guter Freund, der im richtigen Moment das Richtige tut,  oder sei es die ambitionierte Bergrettung, die für das Wohl der Bergsteiger vieles riskiert und nichts verlangt, außer Respekt. Meinen wird die Bergrettung auf ewig haben.

Die Eskapaden des 20. Oktober 2013 haben uns einiges an Schweiß, Nerven und womöglich auch Lebensjahre gekostet, doch haben sie uns viel mehr gebracht. Unsere Einstellung den Bergen gegenüber wurde ernsthafter, unser Zugang zu diversen Großprojekten überlegter. Eines jedoch blieb: der ungebrochene Teamgeist, der Wille immer wieder konditionelle wie auch mentale Grenzen auszuloten und vor allem die große Liebe zu jeglicher Felsformation.

Der Stoderkamm aber, hing immer noch wie ein Damoklesschwert über uns. Schon wenige Tage nach unserem Scheitern fassten wir den Entschluss uns zu revanchieren. Eine Revanche, die nicht dem Berg, sondern uns selbst gelten sollte. Im Juli 2014 haben wir die Tour wiederholt und letztendlich auch ohne Probleme geschafft.

An Fehlern und Niederlagen darf man nicht zerbrechen. Man muss sich damit auseinandersetzen, sie irgendwann abhaken und einen Neuanfang wagen. Steh auf, wenn du am Boden bist. Jedes Ende ist ein neuer Anfang. Das doppelte Lottchen wäre stolz auf die doppelte Floskel zum Schluss.

 

 


“Und als wir nach neun Monaten Schaffenspause vom letzten Gipfel auf “unseren” Stoderkamm zurückblicken, lassen wir uns vor Freude strotzend ins Gras fallen.”