Ein Abenteuer für die Nerven




Von Gabriel Egger

Notlügen sind in unserer Gesellschaft akzeptiert. Seltsamer Einstieg für einen Bericht über eine extravagante Überschreitung? Nicht ganz. Der Titel dieses Beitrags ist so eine Notlüge. Ganz gelungen ist uns unser Vorhaben, die Haller Mauern von Ost nach West zu überschreiten nämlich nicht, aber es war dennoch ein Erlebnis, von dem es zu berichten lohnt. Hätte ich als Titel “Die nicht ganz gelungene Überschreitung der Haller Mauern gewählt” wäre es zudem ein stilistischer Griff ins Klo geworden. Obwohl möglicherweise und ohne das Vertrauen in die Menschheit zu verlieren, sicherlich viele auf den Zug der Schadenfreude aufgesprungen und mit ihm in den Bahnhof der eigenen Zufriedenheit gereist wären. Immer diese hochgestochenen Metaphern. Sei’s drum:

Schon lange geistert mir diese kühne Überschreitung im Kopf herum. Viele haben mir davon abgeraten . Es wäre “nicht lohnend” und “koste nur unnötig Nerven”. Doch ein Bericht im Forum Gipfeltreffen und eine Bildstrecke des “Genussbruchs” (übrigens ein grandioser Ausdruck) von Eddie haben mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Pünktlich zu seinem 18. Geburtstag habe ich also Moritz  vorgeschlagen, einen Versuch zu starten. Der entschloss sich ohne Zögern seine gewonnene “erwachsene Reife” gleich wieder aufs Spiel zu setzen und so konnten wir Sonntag Nachmittag die Reise nach Admont starten.

Beim Aufstieg zum Admonter Haus, unserem heutigen Quartier, bessert sich das Wetter und wir freuen uns auch am heutigen Abend noch auf den ein oder anderen Gipfel hüpfen zu können. Zum Aufwärmen für den kommenden Gewalthatscher, besuchen wir den Grabnerstein und erklettern über den teils doch recht brüchigen Grat (Ja, sie stehen wohl nicht mehr lange, die geliebten Mauern) die Admonter Warte, wo uns ein super Sonnenuntergang noch einmal den Abend verschönert.

Es ist schön ausgesetzt und Luftig – Jaaaaa Maannnnnn! 
Gerhard Sulzbacher vom Outdoor-Team 4 Seasons über die Haller-Mauern Überschreitung
Start beim Buchauer Sattel oberhalb von Admont
Tierische Idylle in der Nähe der Grabneralm
Blick zum heutigen Tagesziel, dem 1.847m hohen Grabnerstein
Auch der Blick von dessen Gipfel weiß zu überzeugen
Der Grat auf die Admonter Warte, brüchig- aber einfach (I-II)

Wir gesellen uns schließlich zu den spärlich anwesenden Hüttengästen ins wirklich äußerst liebenswerte Admonterhaus um ein deftiges Abendmahl zu genießen und auf Moritz Geburtstag anzustoßen. Nach einem kurzen Gespräch mit Hüttenwirt Daniel, der sich selbst in naher Zukunft an der Überschreitung in West-Ost Richtung versuchen möchte, beziehen wir unser eigenes Lager, sodass der Weckerton um 03:20 Uhr niemanden verstört. Wir dürften nach Daniels Auskunft die ersten sein, die sich heuer an der Überschreitung versuchen. Pro Jahr spricht er von 1-2 Partien oder Einzelgängern und wünscht uns noch einmal viel Glück.

Wenn du kurz vor Sonnenaufgang am Hexenturm stehst und nach unten blickst, dann bekommst du schon ein mulmiges Gefühl.
Daniel Zimmermann, Hüttenwirt des Admonter Hauses über die Haller Mauern Überschreitung

Nach Genuss des am Vorabend bereitgestellten Frühstücks starten wir um 04:10 Uhr in den jungfräulichen Tag und steigen in der Dunkelheit zum Mittagskogel bergan. Die Wegstrecke ist schnell abgespult und langsam, aber sicher, kündigt sich der Sonnenaufgang an.

Lasset die Spiele beginnen

Über den Hexensteig (B/C) stehen wir in knapp eineinhalb Stunden am Hexenturm und genießen kurz den Aufgang der Sonne, bevor wir zum Westgipfel hinüberklettern und die Überschreitung beginnen.

Sonnenaufgang am Hexenturm 

Wir wenden uns von dem mit einer Gipfelschatulle geschmückten Westgipfel nach links und klettern behutsam die Spindelfeldrinne ab (II). Wo es zu steileren, deutlich schwierigeren Stellen kommt, kann man in eine Rasenflanke ausweichen, um später wieder in die Rinne zu wechseln. Dort leiten die roten Punkte uns bald zur nächsten Scharte wo uns eine kurze Kletterstelle (III) zum Beginn des Grates auf die Ennstalerspitze bringt. Der direkte Weg (also Abklettern bzw Abseilen vom Hexenturm) ist deutlich schwieriger.

In der Spindelfeldrinne
Rote Punkte leiten uns zur nächsten Kletterstelle (III), die auf den Grat zur Ennstalerspitze führt

Der Grat ist recht anregend, Kletterstellen im II. Schwierigskeitsgrad wechseln sich mit exponiertem Gehgelände ab. Zur Beschaffenheit brauch ich nichts zu sagen. Man muss wirklich überall dagegen klopfen, um sicher sein zu können, dass sich der nächste Fels nicht mit einem ins Tal verabschiedet.

Am Grat zur Ennstalerspitze

Wir freuen uns über einen sehr selten besuchten Gipfel und blicken erstmals zurück auf den Hexenturm, der doch recht unnahbar aussieht. Nach der Ennstalerspitze (2.029m) folgt ein kurzes Abklettern, bis sich Gehgelände, Latschen und Klettermeter wieder abwechseln und uns Richtung Kesselkargrat bringen.

Eine recht fordernde Tour, diese Überschreitung. Fällt unter Abenteueralpinismus.
Paul Rammelmüller, oberösterreichischer Alpinist, über die Haller Mauern Überschreitung
Moritz am Weg Richtung Kesselkargrat

Der Kessselkargrat bäumt sich bald vor uns auf und wir pausieren kurz, um uns an der Schönheit des Tages zu erfreuen, bevor es wieder konzentriert ans Werk geht. Diese Erhebung erklettert man meist im II. Schwierigskeitsgrad recht steil und luftig. Zweimal haben sich auch IIIer Stellen ins Gelände geschmuggelt. Vorsicht ist aber ohnehin oberstes Gebot!

Allgemein ist es nicht schlecht, entweder direkt nacheinander hochzuklettern oder zu warten, bis der Vorkletterer hinter dem nächsten Aufschwung verschwunden ist. Steinschlag ist nicht zu erwarten, sondern fast die Regel.

Der Kesselkargrat erlaubt uns erste Blicke zur Schlüsselstelle der Tour. Eigentlich kann man ja sogar Schlüsselberg sagen. Der Hochturm, ein selten schönes und zerborstenes Gebilde, rückt näher und die Vorfreude auf den einsamsten Gipfel der Haller Mauern steigt.

Der Kesselkargrat
Unterwegs am Kesselkargrat (II-III)
Unscheinbar in der Bildmitte: Der Hochturm, gefährlichster Gipfel der Haller Mauern

Nach einigen unschwierigen Abkletterpassagen folgt der erneute Anstieg über den Ostgrat des Hochturms. (II und sehr sehr brüchig, macht aber dennoch großen Spaß). Laut Hüttenwirt gibt es auch eine Möglichkeit den Hochturm ganz zu umgehen (Wo, dürft ihr mich nicht fragen). Das würde aber wohl sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Über die Hochturmscharte könnte man aber (eher) unschwierig südlich ins Tal steigen. Das wollen wir aber freilich nicht.

Unterwegs am Hochturm-Ostgrat

Gerlinde Kaltenbrunner hat hier immer für ihre 8.000er Besteigungen trainiert. Sie ist die Haller-Mauern Überschreitung in acht Stunden geklettert. Alleine. Im Winter.
Daniel Zimmermann, Hüttenwirt des Admonter Hauses über die Bedeutung der Überschreitung
Schon etwas müde am Ende des Ostgrats

Am Hochturm angekommen, genießen wir erstmal das Durchblättern des Gipfelbuchs von 1977. Neben “Skyrunner” Stangl haben sich auch Bert Rinesch und natürlich Paul R. und Gerhard S. verewigt. Ein tolles Gefühl auf diesem abseits gelegenen Berg zu sitzen. Nach kurzer Pause klettern wir den Westgrat (zuerst II, später III) ab, bevor wir uns zum Abseilen entschließen. Wir finden einen schönen Stand, dessen (doch recht alten) Haken wir vertrauen und schon geht es dreißig Meter bergab.

Nicht oft besucht, dafür umso schöner: Der Hochturm
Abseilen vom Hochturm, zuerst an einem Felsköpfl, später an (alten) Haken

Hochturm-Westgrat (mit abseilendem Moritz rechts der Bildmitte)

Nach kurzem Durchschnaufen, geht es erstmal wieder kurz hoch, bevor wir recht abschüssig abklettern und uns in die Liebscharte abseilen- und zwar von Haken zu Haken. Zuerst quer durch die Wand zu einem Stand mit drei recht stabil wirkenden Lebensversicherern, dann in direkter Talfahrt in die Scharte. Das Seil, das sich dort einmal befand, liegt recht vermodert am Boden und taugt wohl zu nichts mehr, außer einer “Wegmarkierung”.

Abseilen in die Lieblscharte

Beim Abseilen brechen immer wieder große Steine aus, einer davon, in Größe eines Esstisches, landet auf meinem Oberschenkel und lässt mich kurz aufjaulen. Zumindest war es nicht der geliebte Schädel. Moritz kommt ohne Probleme nach und wir können “in Ruhe” knapp neben einem völlig brüchigen Hahnenkamm im völlig steilen Schrofengelände queren. Das Abseilen in die Scharte würde ich als unangenehmste Stelle der Überschreitung bezeichnen.

Querungen im Schrofengelände

Nach der Querung klettern wir wieder auf den Grat und können unsere Nerven in feinem I-IIer Gelände beim Anstieg auf die Kreuzmauer wieder beruhigen.

Der Grat zur Kreuzmauer
Meist im einfachen IIer Gelände, aber kontinuierlich brüchig, geht es aufwärts

Auf der Kreuzmauer legen wir uns kurz ins Gras, genießen die Sonnenstrahlen und blicken frohen Mutes zum Scheiblingstein. Ab dort ist der Weg wieder bekannt und die Etappe zum Pyrhgas kann in vollen Zügen genossen werden. Noch ist es aber ein Stück…

Wir machen uns wieder auf den Weg und klettern Richtung Westgipfel der Kreuzmauer ab. Hier kommen einige Stellen vor, die sich gewaschen haben. Vielleicht auch, weil wir nicht die richtige Route gewählt haben (Gibt es die bei dieser Überschreitung überhaupt? ) Abklettern im zumindest III. Schwierigkeitsgrad kostet noch einmal Nerven und wir sind froh als wir eher gemütlich in den Mühlauer Sattel runtersteigen. (Mittlerweile wissen wir, dass wir den direkten Grat genommen haben, der deutlich schwieriger ist, als die Variante durch die nördliche Wand) Hier ein ziemlich großer Ausbruch ,den man umklettern muss, dann geht es unschwierig Richtung Scheiblingstein-Ostgrat.

Eine 10 Kilometer lange Gratüberschreitung, in nicht immer festem Fels, die selten durchgeführt wird. Sehr schön. 
Gerhard Sulzbacher, Outdoor-Team 4 Seasons, über den Charakter der Überschreitung

“Chill-Out” auf der Kreuzmauer
Blick zum Scheiblingstein-Ostgrat

Wir machen den Fehler und queren viel zu lange in der Nordseite, um schließlich wieder völlig unangenehm auf den Grat aufzusteigen. Zu früh, wie es erscheint, denn bei einem steilen Abbruch gibt es kein Weiterkommen. Also wieder ganz nach unten. Nach weiteren Versuchen uns dem Einstieg zu nähern, entschließen wir uns ein bisschen entnervt es für Heute gut sein zu lassen. Beim Abstieg in die Schafplan blicken wir nocheinmal wehmütig zum Scheiblingstein, dessen Ostgrat die letzte wirkliche Hürde für die Gesamtüberschreitung dargestellt hätte.

Unser Matthias, der extra auf den Pyhrgas gestiegen war und dort so einige Stunden verbracht hatte, um uns zu empfangen, wurde nach langem Empfangsloch kontakiert und erklärte sich bereit uns vom Hengstpaß abzuholen. Dorthin führte uns der spärlich mit Steinmännern markierte “Weg” durch die Schafplan. Bei der Laglalm treffen wir neben Wiederkäuern auch wieder auf Markierungen und wir können die letzten Meter gemütlich absteigen.

Tja, leider hat’s nicht ganz geklappt mit der Ost-West Überschreitung. Zeitlich wär sich auch diese verlängerte Bergfahrt wohl noch ausgegangen, doch recht intelligent wär es wohl nicht mehr gewesen!  Man muss wissen, wann es genug ist. Jedenfalls eine sehr mühsame Unternehmung, die einen ständig fordert aber gleichzeitig so spannend ist, dass man den Felsen nicht böse sein kann, wenn sie sich wieder einmal unter den Fingern verabschieden.

Was bleibt noch zu sagen? Für Moritz wohl eine würdige Geburtstagstour und man kann nur hoffen
 die Haller Mauern stehen noch ein Jährchen, denn es gibt da noch was zu erledigen……

Auch für euch gibt es noch was zu erledigen- ein Blick ins Fotoalbum sollte riskiert werden!
Ich würde die Unternehmung an eurer Stelle als Erfolg verbuchen, zumal ihr die Hauptschwierigkeiten gemeistert habt, und auf jenen Gipfeln der Haller Mauern gestanden seid, die den meisten für immer vorenthalten bleiben.
Martin Lang, oberösterreichischer Alpinist, über den Ausgang der Überschreitung