1.100 Höhenmeter, 13 Kilometer Wegstrecke

Das Wetter ist Nebensache, wenn die Leidenschaft zur Hauptsache wird



Von Gabriel Egger








Wenn du deine Triebe nicht mehr zügeln kannst, dich sehnst nach Berührungen und Zärtlichkeiten, die in unbändiger Leidenschaft gipfeln. Wenn du blind vor Verlangen wirst, du vermeintliche Kontrahenten mit aller Gewalt zurückdrängst und wenn du deine Lust in die Nacht hineinbrüllst, dann hast du offensichtlich ein Problem und solltest besser nicht mehr aus dem Haus gehen. Oder du bist ein Hirsch in der Brunftzeit.

Die tiefen Töne der Rothirsche, die durch Mark und Bein dringen, erhallen wieder in den heimischen Wäldern. Die Paarsuche hat begonnen! Was für die Hirsche eine leidvolle Zeit der Begierde ist, ist für das wandernde Volk oft ein sagenhaftes Naturschauspiel. Besonders wenn die Nebelschwaden um die Baumkronen ziehen und der Wind den Einpeitscher mimt, dann ist das herbstliche Treiben des Wildes besonders schön zu beobachten.

Um dem fallenden Laub entgegenzuschreiten, haben sich Hans und ich an einem recht bescheidenen Freitagnachmittag entschlossen, frische Luft zu schnappen. Bescheiden, weil er uns außer Wolken und Nebel nicht sonderlich viel offenbaren will. Genau richtig, um kleinere Brote zu backen.  Der Seespitz soll es werden, der ist so eine alpine Knabberei.

Der Seespitz  aber hat es schwer: direkt am See gelegen, leicht zu erreichen und doch im Schatten des Warschenecks und seiner Labstelle, der idyllisch in die Landschaft gepflanzten Dümlerhütte. Auf halbem Weg dorthin, müsste man abzweigen, aber ganz ehrlich: Wer entscheidet sich zwischen einem kalten Bier auf der Hüttenbank und der Aussicht auf das Stofferkar, für den Seespitz?Armer Teufel! Obwohl er doch wahrlich einen Besuch wert ist.

Vom Parkplatz beim Gleinkersee wollen wir ihm aber heute mit grünem Hut und Schießgewehr an den Pelz rücken. Irgendwo soll sich ein Jägersteig östlich auf den Gipfel ziehen. Das ist genug Information, um dem Normalweg auszuweichen.

 

Seespitz mit Gleinkersee, Foto: Manfred’s Berge

Südöstlich geht es zuerst einen guten Kilometer auf einer Forststraße entlang, bevor die Waden zu brennen beginnen und die nächsten 700 Höhenmeter auch nicht mehr aufhören. Ein steiler, aber sehr gut ausgetretener Steig führt hier in den Wald hinein. Umsichtige Begeher können ihn auch nicht mehr verlieren. Das sind wir aber nicht. Schnell finden wir uns zwischen Unkraut, nassen Schrofen und Reisig wieder. Durch Hans digitalen Helfer, gelingt uns nach einigen Lianenschwüngen die Rückkehr auf den Steig. Der gestaltet sich recht abwechslungsreich und ist im oberen Bereich sogar mit einem Stoffseil entschärft (I). Kleinere Felsen mahnen den Tempomacher zur Vorsicht, die Ausblicke entschädigen den Trödler für die langen Strapazen. Der Ausstieg aus dem Jagdsteig erfolgt über schöne Wiesen, bevor das große Kreuz auftaucht und die verdiente Pause einläutet. Wir lassen die Pausenglocken aber gleich wieder verstummen, wollen wir doch schell zur Dümlerhütte weiter, bevor das Tageslicht endgültig schwindet.

Wir steigen am Normalweg, dem Michael- Kniewasser- Weg (Ob der so heißt, weil Michael so oft hier abgestiegen ist, dass er schon Wasser in den Knien hatte ?- Nein, es ist der ehemalige Chef des Bergrettungsdienstes Windischgarsten) an der Weierbauernalm vorbei bis auf etwa 1430 Meter ab, um auf einem mit Steinmännern markierten Weg Richtung Süden zur Stubwiesalm zu gelangen. Schon jetzt sind die Brunftschreie der Hirsche zu hören. Einmal weit weg, einmal so nah, dass wir hoffen, nicht mit dem Kahlwildrudel verwechselt zu werden. Die Dunkelheit bricht schließlich über uns herein und der Anstieg zum Halssattel (1.604 Meter) ist von akrobatischen Rutscheinlagen geprägt. Die kecke Form des Stubwieswipfels ist auch in der Nacht noch auszumachen. Kaum zu glauben, dass hier eine Kletterroute im III. Schwierigkeitsgrad durch die steile Wand führt. Gut, bei Gisbert Rabeders Alpenvereinsführer über das Tote Gebirge ist vieles nicht zu glauben.

Seespitz-Gipfel (1.574m)
Der Steig zum “Hals”

Der Weg zur Dümlerhütte zieht sich noch ordentlich. Erst nach einem Stirnlampen-Ritt über Stock, Stein und nasses Gras erstrahlen die Lichter der Hütte. Weil es doch schon knapp vor 20.00 Uhr ist, entscheiden wir uns trotz dieses Umweges nicht einzukehren und schießen über den Präwald wieder zurück zum Ausgangspunkt. Eine wunderbare Runde findet seinen lukullischen Abschluss bei einer Leberkassemmel in der Klauser Tankstelle. Richtig oberösterreichisch!

Richtig oberösterreichisch ist auch diese feine Runde im Warscheneckgebiet. Wer sich auch eine Leberkassemmel verdienen möchte, dem sei ein detaillierter Blick auf die Strecke ans Herz gelegt: