1.500 Höhenmeter, 17 Kilometer Wegstrecke




Wenn der Sommer weiß beginnt






Von Gabriel Egger










Lange, laue Abende in luftiger Kleidung. Ein Glas Wein auf der Terrasse oder dem Balkon, wo man barfuß noch die Wärme der aufgeheizten Steine spüren kann. Abkühlung in den umliegenden Badeseen, Eis aus der Tüte und eine positive Einstellung zu allen Dingen, die das Leben betreffen. So in etwa stellt man sich den Sommerbeginn vor. In den Bergen braucht man zur Sommersonnenwende oft nur die Tüte mitbringen, das Eis liegt schon bereit.

Nach einer angenehmen Nacht auf dem Traunstein, auf der Gmundner Hütte bei Gerald und Max, beschließen Hans und ich bei einem Blick aus dem Fenster, der nach zwei Metern in einer dicken Nebeldecke hängenbleibt, für den übrigen Sonntag bekannte Gebiete aufzusuchen. Der Abstieg über den Naturfreundesteig ist von kurzen Regenschauern durchzogen und als wir beim Auto ankommen, haben sich die Wolken weitgehend verzogen. Aprilwetter Ende Juni, und das zu Sommerbeginn.

Hans steuert schließlich das Almtalerhaus am Talende von Grünau an, wo wir unsere leeren Energiespeicher nach der spontanen Klettertour über die Nordkante auf den Kleinen Schönberg, wieder füllen. Der Blick über die hölzernen Tische und die vergilbten Speisekarten hinweg aus den beschlagenen Fenstern offenbart nichts Neues: graue Farben und feuchte Luft. Wir starten dennoch in den angebrochenen Nachmittag und absolvieren vorerst die drei Kilometer Forststraße, die mit 220 Höhenmetern doch sanft bergauf führt. Immer vor Augen die mächtige Nordwand des Schermbergs – immerhin zweithöchste Wand der Ostalpen- und der formschöne Hetzaukamm. Auch unser heutiges Tagesziel, das Kreuz, ist bald auszumachen und vergnügt bahnen wir uns über das Hans-Pumberger Band unseren Weg ins Tote Gebirge.

In Bildmitte lacht die Welser-Hütte auf den Begeher herab

Steil ziehen sich die feinen Waldwege nach oben, bevor ein großes Schotterfeld nocheinmal nervliches Durchhaltevermögen verlangt. Die Welser-Hütte rückt immer näher und auch die Nordwand des Großen Priels ist zwischen den Nebelfetzen einzusehen. Ordentlich weiß lacht es von da oben herab. Einige Läufer begegnen uns mit guter Laune und noch besserer Ausrüstung. Luxus in den Bergen. Der Blick schweift von hier aus unausweichlich zur Kreuzkante, einer Kletterroute im sechsten Schwierigkeitsgrad, die genauso zu klettern ist, wie sie aussieht: schwer und luftig.

Blickfang Kreuzkante

Wir überholen zwei ältere Damen, die sich mit schwerem Gepäck zur Hütte mühen. 76 Jahre sind sie alt, haben sich eine Auszeit vom Alltag genommen und wollen auf den Großen Priel. Das werden sie aufgrund der üppigen Neuschneemengen wohl doch nicht machen. Ich nehme ihnen ihre Rucksäcke ab und trage sie die restlichen 150 Höhenmeter zum Schlafgemach. Sie danken es mit Gugelhupf, Kaffee und spannenden Lebensgeschichten. Eine Freude, solch vitale Menschen zu sehen. Besonders, weil man weiß, dass man das auch packen kann, sofern nicht Krankheit oder Alkohol und Nikotin einen Strich durch die alpine Rechnung machen. Das Wetter hat sich nicht sonderlich gebessert, die Wolken vereinnahmen die Gipfel und lassen nur vereinzelt das Flair der Umgebung spüren. Hüttenwirt Leo begrüßt eine Gruppe tschechischer Schüler. Zwischen zwölf und 17 Jahre sind sie alt. Trotz Schnee, Kälte und Wind wollen sie sich in den nächsten Tagen an der Überschreitung zur Pühringer-Hütte versuchen. Was habe ich in diesem Alter gemacht? Die Barbie meiner Schwester zur Seite gelegt oder das erste Bier getrunken? Irgendwas dazwischen. Ja, die Tschechen sind wahrlich ein alpines Volk- auch wenn sie sich manchmal etwas überschätzen. Aber irren ist menschlich.

Von der Hütte aus sind es nur wenige Meter auf dem markierten Normalweg zurück Richtung Almtalerhaus, die wir zurücklegen, bevor es auf Steigspuren Richtung Kreuz geht. Diesen folgen wir, bis zu einem kurzen Schotterfeld, an dessen linker Begrenzung ein Katzenauge auf uns herabschielt. Kein wirklicher Vierbeiner, sondern eine äußerst gelungene Wegmarkierung, die den Einstieg zu einem langen Band darstellt und uns vorbei an zahlreichen Bohrhaken Richtung Grat bringt.

 

Blick vom Einstieg zur Welserhütte

 

Im Band

Den Grat erreicht, folgt man auf dem meist recht breiten Rücken, begleitet von imposanten Tiefblicken und leichten Kletterstellen (I) den zahlreichen Steinmännern. Im Sommer ein wunderbares Wiesengelände mit Seelenbaumler-Qualitäten, präsentiert sich das Gebiet heute kalt und unwirtlich. Wind pfeift mir durchs Haar und lässt auch die Behaarung auf den Händen zu Berge stehen. Zu Berge stehen auch wir schon fast, als nocheinmal eine etwas kniffligere Stelle wartet (II), die im Schnee, der sich mittlerweile ins Landschaftsbild gequetscht hat, unangenehm zu klettern ist.

Kurze einfache Kletterstellen

 

Der Große Priel versteckt sich in den Wolken
Auf der linken Seite die schwierigere Stelle

Kurz vor dem Gipfel tauchen wir schließlich in eine dicke Nebelschicht ein, die auch für einen ordentlichen Temperatursturz sorgt. Wenn sich so der Sommer anfühlt, habe ich schon Angst vor dem Winter.

 

Endgültig im Winter angelangt
Gipfelfreuden

 

Der Aufenthalt am höchsten Punkt auf 2.174 Metern fällt nicht lange aus. Ein paar Beweisfotos später, finden wir uns auch schon wieder beim Abstieg zur Arzlochscharte wieder. Über dicke Felsbrocken, die durchzogen mit gefährlichen Löchern für erhöhte Aufmerksamkeit sorgen, bahnen wir uns unseren Weg Richtung Schotterrinne. Viel Unterschied zum Winter ist nicht zu erkennen. Außer der Jahreszeit.

Unangenehmer Abstieg zur Arzlochscharte
Schon im unteren Bereich

Die unangenehmen Stellen enden mit Erreichen des Schrofengeländes und bald stehen wir bei der Arzlochscharte, die bei guten Bedingungen den Einstieg zum Priel-Nordgrat markiert. So geht es aber über die Schotterrinne im Eiltempo nach unten, denn die Welser-Hütte ruft schon mit verführerischem Duft und wohliger Wärme.

In der Rinne

Wir meistern einen kurzen Gegenanstieg und schon sind wir zurück auf dem Normalweg, der uns ein zweites Mal in Leo Bammer’s heilige Hallen führt. Die tschechischen Schulkinder musizieren, während sich die älteren Damen mit einem Schnapserl für die Aufstiegsmühen entschädigen. Wir frönen dem netten Treiben bis kurz nach 19.00 Uhr und tapsen mit aufgestellten Nackenhaaren zurück in die Kälte. Im Eilschritt sausen wir schließlich wieder zurück zur Forststraße, die zum gemütlichen Ausgehen einlädt und mit einem kleinen Regenschauer noch einmal für eine einen abendlichen Dusch-Vorgeschmack sorgt.

Auch das Almtaler Köpfl und der Schermberg bleiben verhüllt

Der Sommer halt also begonnen. Nicht warm, nicht einladend und schon gar nicht mit Sonne. Was sagt uns das? Es kann nur besser werden …

Zurück in den Sommer? Gerne! Das Fotoalbum und der GPS-Track helfen dabei: