1.900 Höhenmeter, 21 Kilometer Wegstrecke
Manchmal reicht ein Blick aus dem Fenster


Die Sonne blinzelt durch die geschlossenen Jalousien und ihr warmes Licht bahnt sich seinen Weg durch das gesamte Zimmer, um mich schließlich beinahe entschuldigend aus dem Schlaf zu reißen. Es ist schön, ja sogar romantisch, nicht mehr vom leidigen Weckerton des Smartphones geweckt zu werden, der bereits zum fünften Mal ertönt, weil man im schlaftrunkenen Zustand immer wieder weiter “schlummern” möchte. Die Luft ist frisch und die Vögel zwitschern, als würden sie sich gegenseitig übertönen wollen. Der Blick aus dem Fenster sagt mir, dass ich den heutigen freien Tag nicht in der Stadt verbringen darf und die ohnehin schon überfressene und viel zu verwöhnte Muskelkatze ein weiteres Mal füttern muss.

Ich schleppe mich mit schweren Füßen aus dem Bett, denn der Schoberstein ist eifersüchtig und will noch nicht vergessen werden.  Ein Blick aufs Mobiltelefon ändert meine Sekunden zuvor gefassten Pläne, denn auch Matthias hat heute überraschend frei bekommen und ist gewillt sich einer ordentlichen Bergtour zu unterziehen.

Matthias startet sein neues Gefährt, das mich unweigerlich an die Upper-Class Heroes von O.C, California erinnert, und wir brettern gegen 10.30 Uhr unserem geliebten Toten Gebirge entgegen.

 

Ich gebe zu, den amerikanischen Highschool-Touch verliert der Song, wenn man California durch Hinterstoder ersetzt, aber das wunderbare Gefühl eines Aufbruchs bleibt. Und jetzt mal ganz ehrlich: Die Kalkriesen stehlen den unendlich langen Sandstränden doch mit Sicherheit die Schau! Und auch Josef’s Dorfstube kann sich im Vergleich mit den Fischrestaurants am pazifischen Ozean  sehen lassen! So ironisch, wie es klingt, ist es gar nicht gemeint.
Der Ostrawitz soll es heute werden, kombiniert mit einem Sonnenuntergang am Kleinen Priel. Viel Höhenmeter, wenig Zeit. Mit dem Ostrawitz verbindet uns eine ganz persönliche Geschichte, die ich euch (hoffentlich) bald erzählen darf. Noch aber ist es nicht so weit. Noch will er die präpotenten Jungs von bergaufundbergab nicht.

Doch je näher wir Hinterstoder kommen, desto mehr wackelt der Stuhl auf dem der Ostrawitz Platz genommen hat. Schließlich verliert er die Reise nach Jerusalem, weil  die Verlockung eine Audienz beim König zu ergattern, zu groß wird. Wir entschließen uns einen Versuch zu wagen und dem offensichtlich noch recht verschneiten Großen Priel die Ehre zu erweisen. Bewaffnet mit Laufschuhen, einem kleinen Rucksack und dem Wissen, dass es möglicherweise eine ordentliche Portion Durchhaltvermögen braucht, ziehen wir vom Parkplatz bei der Polsterlucke los (625m).

Der Weg ist allseits bekannt und nach einer kurzen Pause am wunderschönen Klinserfall, der bei den vorherrschenden Temperaturen kurzerhand zur Badewanne umfunktioniert wird, geht es auch unbeirrt zum heute (vermeintlich) geschlossenen Prielschutzhaus weiter (1.420m).

Der Klinserfall

In gemütlichem Tempo erreichen wir das Prielschutzhaus und setzen uns erstmal auf die herrliche Terrasse, wo wir den weiteren Weg unter die Lupe nehmen. Wie erwartet liegt im Kühkar noch eine ordentliche Menge an Schnee und ich bin stolz auf meine geniale Idee, meine Schuhe nach dem Marathon nicht zu waschen, weil ich ohnehin wieder durch irgendeine seltsam anmutende Aktion im Schnee lande und der mir die ungeliebte Handarbeit abnimmt. Gedacht, getan!

Blick zum “Big Boss”
Pause beim Prielschutzhaus 

Nach kurzem Anbraten des Sitzfleisches und den obligatorischen dämlichen Witzen, ziehen wir weiter und treffen auf etwa 1.650 Metern auf die ersten Schneefelder. Schnell merken wir, dass es sich hierbei um sehr gutmütige Landschaftsentfärber handelt und wir nehmen ohne einzubrechen die direkte Linie Richtung Brotfallscharte.

 

Zuerst auf Wiese, dann auf einer durchgehenden Schneedecke
Bild der Kontraste: Sommerliche Kleidung, winterliche Auflage. Nur das Weiß von Körper und Untergrund ist ident

Die Temperatur ist mittlerweile bis auf 25 Grad Celsius geklettert und wir tun es ihr gleich und klettern, nach der unschwierigen Querung, die Brotfallscharte hoch. Hier ragen alle Seile aus dem Schnee und der “Originalweg” ist problemlos zu begehen. Mittlerweile zeigen wir dem Priel unsere nackten Oberkörper. Ob es ihm gefallen hat, ist fraglich, in die Tiefe befördert hat er uns nicht. Also dürfte er zumindest tolerant sein, der alte Herr.

Die Brotfallscharte

Der “Aha”-Effekt beim Ausstieg auf 2340 Metern ist immer noch großartig und die verschneite, von der Sonne in herrliches Licht getauchte, Landschaft rundum Temelberg, Rotgschirr und Schermberg lässt das Herz in alle Richtungen hüpfen.

Immer wieder fantastisch: Der Blick beim Ausstieg

Musste man beim Ausstieg noch die obere Variante der Versicherungen wählen um nicht in den ewigen Jagdgründen der Brotfallscharte zu landen, präsentiert sich der restliche Anstieg zum Grat völlig schneefrei. Der Grat selbst ist wie immer ein Hochgenuss, daran kann auch die etwas diesige Sicht nicht rütteln.

Priel voraus!

Am Gipfel angekommen, setzen wir uns für über eine Stunde in die Sonne und genießen das herrliche Panorama. Die fehlende Gipfelbuchschatulle regt zur Diskussion über die Dummheit der Menschheit an und ein Segelflieger grüßt uns bei seinem Flug über die Bergriesen.

Ein besonders großer Vogel zieht seine Kreise

 

Am Großen Priel

Nach Klatsch, Tratsch und Liebesbekundungen für die wunderbare Gegend, lassen wir dem Priel wieder seine vorsaisonale Ruhe und steigen über denselben Weg wieder zurück ins Kühkar. Die Wetterprognose für die kommende Woche dürfte wohl nicht viele Menschen an den Hofe des Königs einladen und wir freuen uns als Hofnarren noch einmal gedient zu haben.

Blick Richtung Kleiner Priel und Sengsengebirge
Abstieg in der Brotfallscharte

Den weiteren Abstieg könnte ich zwar wortakrobatisch wiedergeben, doch das folgende Video  bringt den Spaß wohl besser zur Geltung:

Leider versuchen wir Rinne für Rinne auszunutzen und landen in den Latschen, von wo aus wir uns schimpfend wieder zurück auf den Normalweg schlagen. Auch auf bekannten Bergen können noch Fehler passieren, ein Umstand, der uns immer wieder vor Augen geführt wird.

Nach einem kurzen Bier bei Hüttenwirt Harry Höll, der seine Hütte eigentlich geschlossen hat, und uns freundlicherweise ohne mitgebrachte Geldbörse einen hopfig-malzigen Vorschuss gibt, geht es im Laufschritt zurück zum Ausgangspunkt, wo ein letzter Blick auf den Großen Priel für allgemeine Zufriedenheit sorgt.

Die Sonne taucht die Hochmölbing-Kette in rotes Licht

Ein Tag wie damals, als wir noch junge, unerfahrene aber bis in die Zehenspitzen begeisterte Berg-Greenhorns waren, geht zu Ende. (Ein Schelm, der uns jetzt immer noch ähnliche Eigenschaften zuschreibt). Die gelebte Spontanität und die ungezwungene Freiheit sind zwei Dinge, die mir immer wieder zeigen, wie schön unser aller Hobby eigentlich ist.

Wer uns auf den Priel folgen möchte, dem sei der GPS-Track empfohlen!

Und: Wer mehr über die Arbeit von Harry Höll auf dem Prielschutzhaus erfahren möchte, der soll achtsam unseren Blog verfolgen, denn in Kürze Kinder wird’s was geben! 🙂