Vom Hochleckenhaus etwa 420 Höhenmeter und 4,6 Kilometer Wegstrecke
Die stille Post des Franceso Petrarca


 

Die französische Provence: bekannt für ihre blühende Landwirtschaft, den Wein, der so manchen Abend verschwimmen lässt, die vorzügliche Kulinarik, die vor allem Meeresbewohnern an den Kragen geht, und für die Silhouette des Mont Ventoux. Nie gehört? Ich wahrscheinlich auch nicht, wäre da nicht der Brief vom italienischen Dichter Francesco Petrarca an seinen Freund Dionigi, der die Besteigung dieses 1912 Meter hohen Berges im Nordosten von Avignon detailliert beschreibt.

Eigentlich ist es auch nicht der Brief, sondern ein einziger mächtiger Satz, der sich in mein Gedächtnis eingebrannt hat und dort immer wieder aktiviert wird, wenn ich vom Plateau des Höllengebirges ins vordere Aurachkar absteige und meinen Blick auf die Felszacken unterhalb des Hochleckenkogels richte:

Jener Berg, weit und breit sichtbar, stund mir fast allzeit vor Augen, allmählich ward mein Verlangen ungestüm, und ich schritt zur Ausführung

Der Neukirchner Turm fristet dort ein formschönes, aber einsames Dasein. Seine abweisende Westwand wird nur sehr selten erklettert und seine Rückseite ist von einem Latschenmeer durchzogen, durch das nur die Gämse zu schwimmen vermögen. Stolz thront er über dem Wanderweg, der vom Taferlklausee zum Hochleckenhaus führt und sein Gipfel erinnert an einen luftigen Adlerhorst, der sich mit seiner augesetzten Nestposition vor Besteigern schützen möchte.

Der Neukirchner Turm, der seinen Namen nicht von der Sturm Graz- Legende geerbt hat

Nach einer Nacht im Hochleckenhaus, das wir für unsere neue Serie “Menschen” besucht haben, sollte das lange Warten endlich ein Ende haben und der sehnsüchtige Blick beim Abstieg durch ein zufriedenes Lächeln abgelöst werden. Moritz und ich verabschieden uns nach einem herzhaften Frühstück, bei dem der Blick aus dem Fenster dicke Nebelschwaden und leichten Nieselregen offenbarte und die Entscheidung zwischen warmem Kaffee und nassen Kleidern erschwerte, von den Wirtsleuten und steigen vorerst auf dem Normalweg Richtung Taferlklausee ab.

Frühstück im Hochleckenhaus

Bald taucht der Jausenstein vor unseren Augen auf und wir können uns nicht  gegen seine felsige Anziehungskraft wehren. In kurzer Kletterei erreichen wir den mit einem kleinen, silbernen Kreuz geschmückten Gipfel und blicken voller Vorfreude auf den Neukirchner Turm, der unverkennbar in greifbarer Nähe in die Höhe ragt.

Der Jausenstein

Den Jausenstein “vernascht” geht es im Laufschritt bis zu dem Schild, das den Direktweg auf den Hochleckenkogel anzeigt. Hier beginnt nun der abenteuerliche Teil des Ausflugs, bei dem wir kurzerhand von der Natur zu Botanikern umgeschult werden.

Blick zum Hochleckenhaus

Wir steigen noch etwa 200 Höhenmeter am Normalweg bergan, den Blick immer auf den latschenbewachsenen Grat gerichtet, der sich mehr oder weniger bis zum Turm der Träume zieht. Moritz juckt es schon in den Fingern und der junge Mann hält Ausschau nach einem felsigen Einstieg ins harzige Vergnügen. Durch eine kleine Gasse inmitten der ausgeprägten Bergkiefern, schlängeln wir uns zu einem Aufschwung, der uns schrofige Kletterei im II. Schwierigkeitsgrad bietet.

Einstieg in die Schrofenkletterei

Das brüchige Vergnügen ist schnell vorbei und wir finden uns inmitten der unter Wanderern allseits (un)beliebten Bergkiefern wieder. Nun gilt es Orientierungssinn und vor allem Geduld zu beweisen, denn die nächste Stunde wird uns neben ein paar Schlägen ins Gesicht und zerkratzten Beinen auch einiges an Konzentration abverlangen.  Vorerst versuchen wir direkt am Grat unser Glück, müssen aber schnell nach oben ausweichen, wo wir zwischen einzelnen steilen Schneefeldern und ausgesetzten Schrofenpassagen queren.

Typisches “Turm-Gelände”

Plötzlich treffen wir auf eine kleine Gasse, die mit Steinmännern gesäumt ist und wir freuen uns vielleicht doch einen Weg zum Ziel der Begierde gefunden zu haben. Leider verflüchtigt sich diese Freude ebenso schnell, wie die Geister in Gruselgeschichten. Es gilt bald eine Entscheidung zu treffen, denn noch sind wir etwa 100 Meter oberhalb des Gipfels: Entweder eine steile, schneebedeckte Rinne absteigen, oder eine andere steile schneebedeckte Rinne absteigen. Wir entscheiden uns für die steile, schneebedeckte Rinne.

Abstiegsgelände

Zu unserer Verwunderung kommen wir trotz Schneeauflage (oder gerade deshalb) flott voran und Stürze werden von den Latschen sanft aufgehalten. So ist der Mensch: Helfen einem Dinge, sind sie okay, braucht man sie nicht, werden sie verflucht. Und da taucht er vor uns auf: Der Turm der Neukirchner. Die etwas mehr als 1700 Einwohner umfassende Gemeinde, die zu Altmünster zählt, hat sich doch tatsächlich einen Berg gesichert- und was für einen! Herrlich ist der Blick über die schmale Felskanzel hinab zum Attersee!

Schrofen, Schnee, Gams und Wurm- Alles für den “Neikira-Turm”!

Sein Haupt will aber erst erklettert werden. In leichter, aber etwas ausgesetzter Kletterei kommt man auf den 1.460 Meter hohen Exoten im Aurachkar.

Turm und See auf einem Bild
Kurze Klettermeter (I+)

Nach etlichen Jahren, die ich mit Blicken auf den Gipfel verbracht habe und in denen mir der Wunsch gereift ist das Bild umzudrehen, wendet sich das Blatt also endlich. Die kindlichen Kulleraugen, die sich verliebt nach oben richten, werden von stolzen Tiefblicken abgelöst.

Wir blättern im Gipfelbuch, das Anfang 2014 installiert wurde und nur wenige Seiten “opfern” musste.

Six.Six.Six.Six.Six.Six.Six.Six.Six.Six.Six.Six.Six.Six.Six.Six.Six.Six.Six


Nein, die Laptop-Tastatur ist nicht hängengeblieben und auch ist es kein englischer Aufruf zu dämonischen Dingen. Es ist dies die schriftliche Wiedergabe des Gipfelbuchs, denn der Turm ist “besetzt”. Andreas Six, der sich auch im Winter gerne die Westwand vornimmt, hat sich hier sein eigenes kleines Atoll im Latschensee gemietet und klettert, schläft und grillt in luftiger Höhe.

Das Gipfelbuch, mit einem kleinen Schönheitsfehler am 04. Mai

Nach einer langen Zeit, verlassen wir die “sixtinische Kapelle” und schlagen uns zuerst auf selbigem Weg nach oben um schließlich in brutalstem Kampf durch dichtes Gestrüpp wieder auf dem Normalweg zum Hochleckenkogel zu landen. Eine Beschreibung des Weges habe ich an dieser Stelle nicht. Falls diese doch gewünscht ist: Links von der Latsche, die rechte untere Latsche weghaltend, in ein dichtes Latschengestrüpp eintauchen und keuchend und fluchend die obere rechte Latsche umgehen, während man sich bei der linken unteren Latsche die Waden zerschindet. Klingt komisch, ist aber so. 

Im Eilschritt geht es schließlich auf dem Normalweg retour zum Ausgangspunkt beim Taferlklausee und beim Abstieg kann ich die innere Zufriedenheit förmlich spüren. Jetzt darf ich getrost zurückkehren, in das Kar des Aurachtals. Jetzt aber haben wir einen Termin am Traunstein….

Wer sich auch im Tanz mit den Bergkiefern versuchen  und damit das Ticket für “Let’s Dance” lösen möchte, dem sei ein Blick auf das folgende Fotoalbum, das auch den Aufstieg über das hintere Aurachkar auf den Brunnkogel vom Vortag beeinhaltet, und auf den GPS-Track ans Herz gelegt: