Einsam. Ruhig. Atemberaubend. Magische Momente und verrückte Ideen im Herzen Oberösterreichs

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Endlich Ferien! 
Ein Ausruf, der uns allen schon einmal über die Lippen gekommen ist und den man bis heute mit einem unbändigen Glücksgefühl assoziert.  Während es früher mit den Eltern in den Skiurlaub ging, wo man unbedacht und ohne finanzielle Buße die Pisten der Region unsicher machte und sich danach mit einer heißen Tasse Schokolade belohnte, deren Schlagsahne im kindlichen Mondgesicht das zarte Alter bestätigte , sind es heute andere Dinge, die das (immer noch junge) Herz höher schlagen lassen. Die Konstante blieb aber die Natur. Besonders im Winter, wenn sich die Massen  (Achtung wertfrei!) bei den Schleppliften anstellen und sich danach auf der überfüllten Hütte das wirtschaftskrisengebeutelte Weizenbier schmecken lassen, ist das Tor zum alpinen Raum oft mit der Pforte zum Himmel gleichzusetzen. Glitzernder Schnee, im Abendlicht lodernde Bergspitzen und die endlose Ruhe, durchbrochen nur vom eigenen Atem, als Gesamtkunstwerk. Großer Priel, Spitzmauer und Brotfall stehen Modell. Der Maler selbst ist bekannter als Pablo je sein hätte können: Mutter Erde. Die Kalkhochalpen des Toten Gebirges dienen der naturell erschaffenen Kunst schließlich als Museum. Mit dem Prielschutzhaus ist auch der Nachtwächter kein Unbekannter. Und mit “Nachts im Museum” wär im Endeffekt auch der Titel unserer Unternehmung nicht schlecht gewählt. Aber spulen wir doch lieber wieder etwas zurück….Ferien! Achja genau, das war der Anfang.

Weil Schulbankdrücker Moritz mit vergangenem Freitag in seine wohlverdienten Semesterferien startete und sich auch das schlechte Wetter scheinbar mit den oberösterreich-steirischen Schulkindern einen Waffenstillstand ausgehandelt hatte, wurde zwischen Linz und Ried wieder heftigst über verlängerte Skitourentage diskutiert. Geeinigt wurde sich schließlich dann auf 2 1/2 Tage im Toten Gebirge, das Moritz und mir im vergangenen Sommer so einige großartige Momente beschert hatte.
Der Montag war schnell für eine Audienz beim dort herrschenden König reserviert. Der Große Priel sollte nach einer Nacht im Prielschutzhaus über die Brotfallscharte erklommen werden. Der Dienstag sollte sich dann spontan ergeben.  Weil dieses Gebiet eher als Frühjahrs-El-Dorado bekannt ist, erwarteten wir keine außergewöhnlichen Bedingungen. Genügsamkeit als Stichwort, Einsamkeit als Motivation.
Weil Moritz am Sonntag noch den Rieder Schulball mit der Mistgabel aufmischte (Achtung, wertfrei!) und ich die Geburtstagsfeier meiner geliebten Freundin nicht verpassen durfte (Brennend interessant, ich weiß) starten wir am Sonntag Abend erst gegen 20.30 Uhr vom verwaisten Parkplatz bei der Polsterlucke. Die Ski kommen auf den Rucksack, sowie gefühlte andere zwanzig Gegenstände, und mit den Laufschuhen und Sherpa-Mentalität geht es zum Einstieg bei der Materialseilbahn. Ein kleiner Fehler. Durch die Eisauflage wär ein Anschallend der Skier schon beim Parkplatz sinnvoll und zeitsparend gewesen. Anfellen hätte man sich auch sparen können. Christian Hoffmann statt Tenzing Norgay.
Schwer bepackt zum Prielschutzhaus
Wenige Meter nach dem Einstieg schnallen wir schließlich doch die Skier an und kämpfen uns über den zwar gespurten, aber pickelharten Weg nach oben. Harscheisen sind hier nicht nur notwendig, sondern auch nervenschonend. Haben wir natürlich nicht mitgenommen. Weil auch ein Schneeschuhgeher aufs Schutzhaus watscheln wollte, ist die Spur zudem oft tief und unterbrochen. Immer wieder rutschen wir weg und die eisigen Stellen machen uns zu schaffen. Nach drei Stunden ist aber auch diese Qual zu Ende und wir erreichen den großartigen Winterraum des Prielschutzhauses. Sauber, aufgeräumt, befüllt mit Getränken und durch einen Ofen auch resistent gegen Kälte. Ein Dank an dieser Stelle an Harry Höll, Hüttenwirt des alpinen Stützpunktes, für diese Möglichkeit.
Moritz bezieht das Lager im Prielschutzhaus

Nach einigen erheiternden Gesprächen geht es dann in den Schlafsack, bevor uns Moritz mitgebrachter Wecker aus dem Schlummer reißt. Gefrühstückt, ungepflegt, aber hochmotiviert steigen wir in unsere Skischuhe und pünktlich um 08.30 Uhr geht es Richtung Brotfallscharte. Hab ich schon erwähnt, dass die Spitzmauer im Morgenlicht noch schöner ist?

Der morgendliche Blick aus der Haustüre

Über pickelharten Schnee geht es in zarten Vorgängerspuren am Sommerweg, später auf direkterer Linie, aufwärts. Die Sonne heizt uns ein und bald präsentieren wir den Wänden rund um uns (denn Menschen sind noch keine unterwegs) unsere Adonis-Körper.  (Achtung, wertend!).

Auf zum Priel!
Moritz bereits kurz vor dem Kühkar

Ohne nennenswerte Probleme erreichen wir schließlich das Kühkar, wo wir beim ersten Blick in die Brotfallscharte gleich automatisch ein nettes Depot errichten. An eine Abfahrt durch die schneearme Steilstufe ist nicht zu denken und über die Klinserschlucht wollen wir heute noch nicht abfahren. Zuerst stapfen wir in gutem Trittschnee in direkter Linie bergauf und lassen die Seilversicherungen im wahrsten Sinne des Wortes links liegen.

Anfangs guter Trittschnee

Schnell aber ändert sich das Gelände und der Schnee wird härter und zudem von seinem Stiefkind, dem Blankeis unterstützt. Während Moritz über die Mixed-Stellen turnt, entschließe ich mich meine Steigeisen anzulegen um nicht aus dem Brot zu fallen. Ein ungemein unlustiger Wortwitz steigert die Aufmerksamkeit! Zu der harten Auflage, die mit Eisen traumhaft zu begehen ist, gesellt sich schnell Lockerschnee, der immer wieder unter den Füßen wegrutscht. Schon oft bin ich mit unterschiedlichstem Schuhwerk diese Scharte empor”geklettert”, soviel Konzentration wie heute brauchte ich dabei aber noch nie. Wir nehmen heute nicht den direkten Ausstieg (nächster kleiner Fehler), sondern bleiben in etwa am Sommerweg, dessen Seilversicherungen aber nicht mehr aus dem Schnee ragen. Eine unangenehme Querung und einige Akrobatikeinlagen später, steigen wir aber aus und erfreuen uns an der traumhaften Sicht über das Plateau. Immer wieder ein “Aha-Effekt”.

Noch im unteren Teil der Brotfallscharte
Schon etwas oberhalb des Ausstieges

Nun geht es ohne Probleme dem Grat zu, der heute auch sehr angenehm zu begehen ist. Das rote Kreuz rückt näher und die Freude steigt uns ins Hirn. Ich liebe diesen Berg einfach. Für Moritz alpine Gelassenheit finde ich ohnehin schon länger keine Worte mehr.

Der Priel-Grat als Leiter zum Himmel

 

Gelassen und genüsslich betreten wir unsere persönliche Leiter zum Himmel und nach wenigen Minuten können wir uns am Gipfel beglückwünschen. Laut Gipfelbuch war seit dem 01. Februar niemand mehr auf dem höchsten Punkt auf ganzheitlich oberösterreichischem Territorium. Ganz glauben wir das nicht, sind doch noch deutlich Steigspuren ersichtlich. Das Buch jedenfalls ist vereist und vollgeschrieben und so findet es nicht mehr den Weg in die deckellose Schatulle (Gratulation an die Großhirne, die es schaffen auf 2.515 Meter etwas zu ruinieren) sondern landet in meinem Rucksack.

Am Weg von der Brotfallscharte zum Grat

 

Am Grat
Moritz am Gipfel des Großen Priels

 

Bedingt durch einen kalten Wind verlegen wir die Pause oberhalb der Brotfallscharte und steigen die umliegenden Gipfeln musternd wieder zurück. Für morgen steht der Plan nun fest. Schermberg oder Sauzahn, auf beiden Bergen standen wir schon gemeinsam, sollen es werden.

Schermberg (2.396m)
Unvergleichliches Panorama
Magnifique!

Nach einem erfolgreichen Sonnenbad (Erfolgreich=Sonnenbrand) nehmen wir diesmal den Direktausstieg und stapfen oberhalb zuerst durch Trittschnee, später mit Eisen und Pickeleinsatz über Blankeis wieder zu den ersten Seilversicherungen. Von dort geht es im Laufschritt zum Skidepot und wir können endlich die verdiente Abfahrt zum Schutzhaus in Angriff nehmen. Leider hat es im oberen Bereich nicht wirklich aufgefirnt und über eine harte Unterlage geht es schnell wieder in die Latschenzone. Schlecht ist es aber nicht zu fahren und der Firn im unteren Bereich entschädigt auch schnell wieder.

Abfahrt zum Prielschutzhaus

Ein kurzes Bier und einige Beratschlagungen später, arbeiten unsere Hirne schon wieder auf Hochdruck. Das ist das, was ich an Moritz so schätze. Mag es das junge Alter sein oder die ähnliche Mentalität, aber ein Zweifel an offensichtlich hirnrissigen Ideen ist meinem jungen Freund noch nie gekommen. Vielleicht danach, ja. Vorher aber nie. Und weil wir eh nicht genug Proviant mithaben, ein gutes Essen nicht verkehrt wäre und es auch erst 16.00 Uhr ist, stecken wir schon wieder in den Laufschuhen und machen uns auf dem (leider noch aufgefirnten) Weg zurück ins Tal, wo ein anschließender Lauf beim Dorfwirt in Hinterstoder endet. Ein Wiener Schnitzel und Käsespätzle entschädigen für die Sulzerei (ja, teilweise auch Suderei) und um 20.00 Uhr eilen wir im Laufschritt wieder zurück zum Prielschutzhaus, das wir um 21.40 Uhr erreichen. Nicht sinnvoll, nicht empfehlenswert, aber wirklich lustig!

Traillauf zum Dorfwirt nach Hinterstoder

Als wir die Hütte wieder erreichen, duftet es schon nach verbranntem Holz und vier tschechische Freunde machen uns mit einem brennenden Ofen die nassen Füße erträglicher. Nach einer langen angenehmen Nacht , hält uns die Wärme des Schlafsacks noch lange zurück, bevor wir sie erst gegen 09.30 Uhr mit der Wärme der Sonne tauschen.

Der einsame steile Zahn

Nach Mundhygiene, Anfellen und der berühmten Egger-Mayer Trödelei gehen wir zuerst in unseren gestrigen Spuren Richtung Kühkar, bevor wir eine lange Querung in die Klinserschlucht anstreben. Moritz findet eine elegante Linie und über einen Steilhang spitzkehren wir uns in die beeindruckende Schlucht. Wir kommen aber zu weit nach oben und blicken zum Klinserkreuz, das etwa fünfzig Meter unter uns sein Dasein fristet. Also kurz abklettern und auf den Fellen gen Tal rutschen. Währenddessen landet nur wenige Meter von uns entfernt ein Bundesheer-Hubschrauber, der einen Schneesturm verursacht und uns die Eiskristalle in die Augen treibt. Zumindest ist nun der Sandstaub der vergangenen Nacht endgültig verschwunden.

Zähneputzen auf der Terrasse
Einstieg in die Klinserschlucht
Leider etwas zu hoch

Was jetzt kommt, kann man in Worten nur sehr schwer beschreiben. In den unendlichen Weiten des Toten Gebirges, begleitet von strahlendem Sonnenschein, blauem Himmel und völlig alleine und eigenständig unterwegs zu sein, ist ein Gefühl, das so großartig ist, dass man es am liebsten konservieren würde. Das können wir leider nicht. Aber wir können es genießen.

Unterwegs in der Klinserschlucht

 

Links der mächtige Temelberg mit seiner grandiosen Ostrinne

Als wir in ständigem Auf-und-Ab den Temelberg erreichen halten wir kurz inne. Zu gerne würden wir in die traumhafte Ostrinne einsteigen. Leider erreicht unser Lieblingsplanet diese noch nicht ausreichend und so wäre eine Abfahrt alles andere als lohnend. Schweren Herzens ziehen wir an diesem Prachtexemplar vorbei und befinden uns nun am Temelbergsattel, von wo aus wir heute für den Sauzahn entscheiden. Aus dem Bauch heraus. Und weil er nicht zu den Allzeit-Klassikern zählt. Genau das macht ihn besonders reizvoll.

Temelberg-Ostrinne
Rückblick Richtung Klinserschlucht
Der Sauzahn (rechts der Gipfel)

Im Eiltempo wird sich nun dem “Außenseiter” zugewendet. Der Anstiegsweg folgt einfach nach Gefühl.

Vom Temelbergsattel geht es  weiter über das mächtige Plateau in nördlicher Richtung zum Fuße des Sauzahns. Unter Beobachtung von Temelberg, Rotgschirr, Schermberg und natürlich dem Sauzahn selbst, schlängeln wir uns mit Hilfe von Spitzkehren die steile Südflanke empor. Firn und teils pickelharte Eisstellen wechseln einander ab. Nach etwa 30 Minuten wird die „Sauzahn-Scharte“ erreicht, wo wir ein Skidepot errichten. Danach geht es noch über leichtes Mixed-Gelände zum höchsten Punkt des Sauzahnes, der mit einem großen Steinmann markiert ist. Nach kurzem Gipfelaufenthalt wird auch gleich wieder zum Skidepot abgeklettert und die Skier stehen zur Abfahrt bereit.  Die Abfahrt selbst ein Traum. Im oberen Teil zwar noch ein bisschen hart aber dennoch gut zu fahren. Die Steilheit der Sauzahn-Südflanke ließ an manchen Stellen kurz etwas Adrenalin durch unsere Adern zischen, ehe wir wieder das Plateau erreichen und uns mit einem mitgebrachten Radler über die seltene Tour freuen.

Am Sauzahn (2.260m)
Blick übers Plateau

Und wer sagt in der Klinserschlucht kann man nicht Skifahren, der irrt! Zweimal müssen wir die Skier über apere Stellen tragen, während der Abfahrtsgenuss überwiegt! Beim Ausstieg der Klinserschlucht folgt eine ewig lange Querung, bis es im mittlerweile aufgefirnten Latschenhang zurück zum Prielschutzhaus geht.

 


Leuchtende Tage. Nicht weinen, dass sie vorüber. Lächeln, dass sie gewesen.


Noch waren sie aber nicht vorbei und auch wir sollten noch ein bisschen zum Konfuzius werden. Wir packen unsere sieben Sachen, informieren Harry, dass das alte Priel-Gipfelbuch im Schutzhaus bereit liegt und steigen dann, passend zum Fasching, als Packesel verkleidet wieder rund 100 Höhenmeter zum Bloßkogel an, den wir heute auch noch mitnehmen.

Am Bloßkogel
Ein letzter Blick zum Priel

Wir haben uns heute für die Abfahrt ins Goldkar entschieden und bereuen diese Variante, trotz eher mäßigen Bedingungen nicht. Über steile Waldhänge geht es direkt vom Bloßkogel eher rutschend wieder zurück Richtung Polsterlucke. Nach etlichen komplizierten Schwüngen erreichen wir die Forststraße, die uns mit ein paar Unterbrechungsstellen zügig wieder auf den Zustiegsweg zum Prielschutzhaus bringt.

Die Forststraße am Ende des Goldkars

In Langlauf-Manier rutschen wir die lange Straße zurück zum Parkplatz, wo wir mit brennnenden Gesichtern und schier unendlichen Eindrücken wieder die Heimreise antreten.

Ein letztes Mal schweift der Blick zurück zum Großen Priel und der eindrucksvollen Spitzmauer. Wir freuen uns wahnsinnig diese Touren unternommen zu haben, auch wenn die Bedingungen fürs Skifahren alles andere als optimal waren. Genau zu dieser Jahreszeit haben wir das erlebt, nachdem wir immerwährend suchen: Abenteuer und Freiheit. Das “Independent”-Wochenende in den Ostalpen ist vorbei. Ihr aber könnt euch noch das große Fotoalbum zur Tour ansehen.

Und an meine Freunden aus Stein,die die Probleme des Alltags einfach abschütteln, als wären sie die lästige Fliege an einem schnaufenden Ross, kann ich nur folgende Worte en francais richten:

 

Au Revoir mes amis, a bientot!