2.280 Höhenmeter, 28 Kilometer Wegstrecke




Schlafen im Kofferraum- Träumen im Himmel.

 

ALLES GUTE ZUM GEBURTSTAG!

Girlanden, Partyhüte und ein großes Stück vom Kuchen: Geburtstage waren schon im Kindesalter das Highlight des Jahres. Am Abend zuvor ließ man sich von den Eltern kaum ins Bett zwingen, die Vorfreude auf die neue Playmobilburg durchbrach die Stille der Nacht und die Augen wollten der
Müdigkeit nicht nachgeben. Nach einer Flut an Geschenken in aller Frühe, sodass auch in der Schule schon das ein oder andere Juwel präsentiert werden konnte,  kam auch am  Nachmittag noch nicht die Ebbe. Nach dem obligatorischen Besuch der Verwandten, durften sich die Freunde an den neuen Heiligtümern ergötzen und selbst, von der Mama eingewickelte, Geschenke mitbringen.

Wiederum einige Jahre später, ging es darum die “besonderen” Ehrentage ausgiebig zu feiern  und sich im Veranstalten der flüssigsten Feiern zu messen. Man wird ja schließlich nur einmal 16 oder 18 oder 21. Rauchen! Vodka! Vodka in Amerika! Irgendwann gehen dann aber doch die neuen Möglichkeiten  aus und aus dem eigenen Geburtstag wird alljährliche Monotonie.

Was aber bleibt ist der Wunsch, genau an diesem einen Tag im Jahr etwas Besonderes zu erleben.

“Großglockner! Wildspitze! Großvenediger!” Die Diskussion um die würdigste Geburtstagstour war entfacht und wurde von Sadist Petrus zusätzlich angeheizt. Nur ein Tag am Wochenende sollte im Süden nach unserem Geschmack werden: Sonne, azurblauer Himmel und kaum Wind. Die leichten Böen, die blieben, trieben unsere Entscheidung immer mehr nach Osttirol. Damit war die Nordtiroler Wildspitze ausgeschieden und zwei Monarchen sagten der Demokratie den Kampf an.

Österreichs höchster Berg, der Großglockner oder die weltalte Majestät, der Großvenediger? Wahrlich keine leichte Entscheidung. Der Bauch und die Tatsache, dass wir unsere Anreise erst um 22.00 Uhr von Linz aus beginnen konnten, entschieden für den 3.666 Meter hohen Großvenediger. Technisch unschwierig, aber sehr lange sollte der südliche Anstieg auch an einem Tag ohne Probleme zu meistern sein. Den Beinamen erhielt der Berg vom Initator der Erstbesteigung, Ignaz von Kürsinger, der das vergletscherte Dach des Venedigers schon bald in den Adel hob.

Nach einem erfolgreichen Basketballspiel, dass eine gewisse Huhn-Korn- Metapher verdient hätte, holt mich Matthias also vergnügt um etwa 22.00 Uhr ab und wir starten vom subozeanischen Linzer Keferfeld unsere Odysee nach Prägraten am Großvenediger.

Die Zeit wird gekonnt totgeblödelt, sodass Matthias sogar seinen eigenen Geburtstag vergisst und erst bei einer Facebook-Benachrichtigung hellhörig wird. Und da fragt sich einer noch, warum wir den weißen Daumen auf blauem Hintergrund benötigen! Weil wir aber nicht auf den Zuckerberg wollen und doch noch einige Minuten Schlaf abgreifen sollten, sputen wir uns und erreichen um etwa 01.30 Uhr Früh den Parkplatz am Steinbruch auf rund 1480 Metern Seehöhe.

Matthias hat uns bereits ein wohlig-warmes Schlaflager im Kofferraum vorbereitet und während wir unsere Schlafsäcke ausbreiten, werden wir von zahlreichen Augen beobachtet: Ein Sternenhimmel, der seinesgleichen sucht, lenkt uns kurz vor dem bevorstehenden Powernapping ab und gemischt mit unserem Atem, den wir in die eiskalte Luft blasen, ergibt sich fast ein romantisches Bild. Romantisch verlaufen dann auch die folgenden drei Stunden. Im Stile eines Mastschweintransports versuchen wir die Zeit mit Dösen und kurzem Einnicken totzuschlagen, bevor es endlich losgehen kann.

Das Schlaflager

Als um 04.30 der Wecker klingelt, hat es die Motivation den Temperaturen gleichgetan: Sie ist unter den Nullpunkt gefallen. Darum gibt es einen saloppen Dreh zur Seite und erst um 05.30 Uhr können wir uns aus den Schlafsäcken “befreien”. So schnell sie der Wärme des Schlafsacks zum Opfer gefallen war, so schnell war sie auch wieder da und offenbarte sich als unbändiger Willen endlich in die Sonne und in unseren geliebte Welt zu schreiten.

Motiviert knackt auch die Bindung und wir machen uns über die lange Forststraße auf den Weg zu unserer ersten Zwischendestination: Der Johannishütte (2.121m). Nach wenigen Metern müssen wir aber erkennnen, dass Frau Holle ihre Bettwäsche vorrangig im Norden augeschüttelt hat. Immer wieder müssen wir die Skier abschnallen und als wir über einen kurzen Steilaufschwung das Gimbachkreuz erreichen (1.901m), wird es uns zu bunt. Nicht nur die Umgebung, die durch die bereits florierende Flora (Die Stilmittel der deutschen Sprache gekonnt ausgenützt), schon im Frühlingskleid steckt, sondern auch die Tatsache, dass wir für wenige Meter immer wieder unsere Bretter tragen sollen. Darum wird ab nun das landwirtschaftliche Grünland genutzt! Die Sonne beleuchtet währenddessen die umliegenden Felsriesen und wir spüren das Endorphin in uns hochschießen.

Sonnenaufgang beim Aufstieg
Die Wiesen werden gekonnt ausgenutzt

Dann erstrahlt auch schon der Großvenediger, mit seiner prächtigen Südwestwand im Sonnenlicht und motiviert uns die letzten 100 Höhenmeter zur Hütte im Eilschritt zu absolvieren. Ein warmer Kaffee, der Geist und Körper wieder ins Gleichgewicht bringen soll, und ein Lokalaugenschein bei der wunderschön gelegenen Hütte, sind der Arbeit Lohn.

Nach einer kurzen Rast machen wir uns um Punkt 08.00 Uhr wieder auf den Weg um den noch sanften Hängen Richtung Defreggerhaus (2.962m) zu folgen. Weil wir beide keine Lust auf Harscheisen haben, werden später manche Steilpassagen etwas interessanter. Noch sind die schattigen Abschnitte mit einer ordentlichen Eisschicht  überzogen und wir rutschen uns für den Gletscher warm. Wir überholen einige Gruppen, die eine Nacht auf der Hütte verbracht hatten, und werden dadurch ein weiteres Mal mit der Motivationsspritze gepiekst. Die Injektion einer Überdosis, würde ich meinen. Schließlich erreichen wir die Sonne und lösen die gedanklichen Fesseln der Talprobleme. Das Hier und Jetzt , der für Sekunden starrgewordene Augenblick ,springt uns ins Gesicht und ein kurzer Augenkontakt genügt um die aufkommende Freude zu teilen.

Der Weg zum Defreggerhaus

 

Kein freches Urinieren- ein Genuss der ersten Sonnenstrahlen des Tages
Noch sind es einige Höhenmeter

Wir kürzen, ohne es eigentlich zu wissen, den Normalweg ordentlich ab und können erstmals die prächtigen Holzfassaden des Defreggerhauses sehen. Bevor wir uns aber dort in der Sonne unsere zweite Pause gönnen und den anderen Gruppen beim Anlegen des Klettergurtes zusehen, ist noch eine lange Querung und ein (noch) vereister Steilaufschwung zu meistern.

Das Defreggerhaus über dem Packesel

Mittlerweile ist es in der Sonne richtig warm geworden und wir funktionieren uns selbst zu Packeseln um. Der Rücken trägt den Rucksack. Der Rucksack trägt die Jacke. Die Jacke trägt die Haube. Die Haube trägt die Handschuhe.

Kurz vorm Defreggerhaus

Trotz der schier unglaublichen Verhältnisse tun sich auf unseren schweißgebadeten Gesichtern die ersten Sorgenfalten auf. Eine tiefliegende Wolkenfront versucht sich über die gegenüberliegenden Berge zu drücken und macht sich beinahe der Majestätsbeleidigung schuldig. Um es nicht zu einem Gerichtsverfahren kommen zu lassen, sputen wir uns ein weiteres Mal und begrenzen die Pause auf der Sonnen”terrasse” der Hütte auf ein Minimum. Nach Energie in Riegelform und einem großen Schluck aus der Pulle knackt erneut die Bindung.

Nach weiteren 150 Höhenmetern ist das sogenannte Mullwitzaderl erreicht und damit auch das Gebiet, das der Tour ihren ernsthaften Charakter verleiht.
Das innere Mullwitzkees, auch Rainerkees genannt, ist ein sehr spaltenreicher Gletscher und darf vor allem im Frühjahr nicht unterschätzt werden. Erst im vergangenen Jahr kam es hier zu einem schweren Unfall, bei dem ein erfahrener Bergsteiger aus einer dieser naturgeformten Spalten in der Gletscheroberfläche gerettet werden musste.

Umso intensiver überdenken wir am Anseilplatz auf etwa 3.100 Metern Seehöhe unser weiteres Handeln. Weil uns die Verhältnisse aber nahezu perfekt erscheinen, verzichten wir darauf auch in der Praxis an einem Strang zu ziehen und machen uns über das eingeschneite Rainerkees auf den Weg zum schon nahe erscheinenden Firngrat.

Der Beginn des Gletschers am Mullwitzaderl
Unterwegs am Gletscher

Langsam aber sicher stellt sich in den Knochen eine gewisse Müdigkeit ein, sind wir nun auch  schon knapp fünf Stunden unterwegs. Wir verlangsamen auf rund 3.450 Metern unser Tempo und genießen den Blick zum nahen Wiesbachhorn, dem “Hörnli” der Hohen Tauern. Hier treffen wir auch auf Gruppen, die sich den Venediger von der Kürsingerhütte aus zum Ziel gesetzt haben.

Auch am Wiesbachhorn durften wir schon stehen

Wir erreichen die letzte Spitzkehre vor dem Grat und halten kurz inne, Die Gipfelspalte ist geöffnet und offenbart uns Einblicke in das Innerste des Berges. Ein kleiner Hupfer und schon ist auch das letzte Hindernis überwunden. Wir errichten ein Skidepot und machen uns auf , die letzten großartigen Schritte zu tun. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl. Ganz als würde man eine lange Aufgabe endlich erfüllt haben. Es ist anstrengend, aber keine Arbeit. Es erfüllt und ist doch völlig nutzlos.

Matthias am Grat

Kurz vor dem Gipfel herrscht Hochbetrieb. Es scheint so, als würde nicht jedem eine Audienz bei seiner Majestät gewährt werden. Der direkte Zugang zum Thronsaal des Himmels wird durch eine kurze ausgesetzte Stelle erschwert.  Die übrigen Alpinisten montieren an dieser Stelle ihre Steigeisen um nicht doch noch zu Hofnarren degradiert zu werden. Durch die vorhandene, zugegeben etwas harte, Spur ist der Übergang für uns aber kein Problem und wir können uns gegenseitig zu unserem höchsten Gipfel gratulieren.

“Also ich kann mich nicht erinnern, jemals einen schöneren Geburtstag gefeiert zu haben”

Matthias Worte beweisen, dass es bei Geburtstagen längst nicht mehr um materielle Dinge geht. Kein Geld der Welt kann ein solches Gefühl ersetzen. Es kann es aber durchaus begünstigen, um wieder den Sprung in die Realität zu wagen. Ohne Geld für Benzin könnten wir schließlich nur auf den Linzer Froschberg marschieren. Das wär mit Skiern zwar sicherlich eine Erstbegehung, doch der Abfahrtsspaß würde sich wohl in Grenzen halten. Um nicht den Faden zu verlieren: Geld kann seinen Wert verlieren. Handys und Laptops können kaputt werden. Erlebnisse sind standhaft. Nahezu unzerstörbar. Niemand vermag uns aus dem Paradies der Erinnerung zu vertreiben. Außer eine große Flasche billiger Fusel und die Altersdemenz.

Die letzten Meter zum Gipfel
Am Großvenediger (3.666m)

Wir sehen zwar vom Gipfel nicht die Gondoliere in den Lagungen von Venedig, wie die frühen Besteiger einst annahmen, aber auch beinahe die gesamte österreichische Bergwelt weiß zu begeistern. Bei etlichen Minusgraden fällt die Rast aber dennoch recht kurz aus und nach dem Gipfelfoto geht es zurück zu den Brettern. War der Aufstieg schon abwechslungsreich und lustig, so kommt jetzt eigentlich erst der beste Part: Die Abfahrt!

Traumhafte Aussicht, wohin das Auge reicht

Wir fahren in etwa der Aufstiegsspur folgend ab und können all unseren Sinnen kaum trauen. Nach den Windverfrachtungen am Gletscher erwartet uns feinster Pulverschnee. Schwung für Schwung erleben wir neue Glücksmomente! Ein wahrhafter Traum, aus dem man über 2.000 Höhenmeter nicht mehr aufwacht.

Die Abfahrt kann beginnen

Am Defreggerhaus wird kurz abgeschwungen und der immer noch wütenden Sonne gefrönt. Wir setzen uns auf die hauseigenen Bänke und beraten wie es weitergehen soll. Weitergehen? Ja, wir haben ja schließlich noch den halben Samstag und den ganzen Sonntag vor uns. Ein Ausflug in den Norden wird fixiert. Davon könnt ihr bald im nachfolgenden Bericht lesen.

Zuerst aber geht es zurück zur Johannishütte, wo verdientermaßen auf ein viertel Jahrhundert Matthias “Sef” Sefciuk angestoßen wird.

Abfahrt zur Johannishütte

Bei Gesprächen mit Einheimischen erfahren wir noch interessante Tourenmöglichkeiten in der Umgebung. Und würde das Wetter den Süden am nächsten Tag nicht einnebeln, würde  wohl jetzt der Große Geiger in unserem Tourenbuch aufscheinen. Es hilft alles nichts!

Zurück bei der Johannishütte

Gestärkt und belustigt machen wir uns auf ,die letzten 800 Höhenmeter über die Forststraße abzufahren. Und siehe da: Nach zwei Osttiroler Hopfengetränken kommt uns diese gar nicht mehr so aper vor! Nur einmal schnallen wir kurz ab und können unser Versprechen, auch über die Wiesen zu brettern ,nicht einlösen. Ein letzter Blick zur Majestät ist uns vergönnt, bevor wir um 16.00 Uhr wieder unseren fahrbaren Untersatz erreichen. Was für ein unglaublich toller Tag geht zu Ende!

Auf diesem Wege möchte ich Matthias noch einmal Alles Gute zum  26. Geburtstag  (Update 2016) und mich für die mittlerweile fast 20-jährige Freundschaft bedanken, die uns nicht nur im alpinen Raum verbindet. Möge es noch viele Jahre so weitergehen! Gipfel um Gipfel.

Und merk dir, was Klaus Klages schon 1938 gewusst hat:

 

Geburtstag ist noch lange kein Grund, älter zu werden.


Für euch geht es auch weiter, und zwar mit den wunderschönen Bildern, zusammengefasst in einem knackigen Album: