1510 Höhenmeter, 16 Kilometer Wegstrecke


Ein Klassiker im alpinen Wohnzimmer

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Dieses undankbare Gefühl kennt ein Jeder aus dem Alltag: Man nimmt sich Jahr für Jahr etwas vor und schiebt es so lange vor sich hin, bis es im nächsten Jahr von neuen Plänen und Zielen abgelöst wird. Klassisch dafür sind die Jahresvorsätze, von denen wir vor dem Silvesterknall felsenfest überzeugt sind und die sich danach so schnell verflüchtigen, wie die Streifen der abgefeuerten Raketen am Horizont. So ein Streifen war auch das Sigistal. Schon zu Beginn unserer noch jungen alpinen Karriere ,wollten wir durch dieses beeindruckende Stodertal auf den Großen Brieglersberg gelangen. Doch mit Zielen wie dem Hochkönig oder dem Bösen Weibl in den Hohen Tauern, musste sich der Tote-Gebirgsriese wieder die Melodie in der Warteschleife anhören.

Nach unserem freitäglichen Vormittagsausflug auf den Traunstein, bei dem wir zeitgleich mit dem Lenz (Anm. Frühling) über den oberen Südwestgrat am Plateau ankamen, wollten Matthias und ich zunächst die äußerst knappe Laufhose nicht mehr mit den schweren Skischuhen tauschen. Zu schön war es leicht bepackt und leichtfüßig zu klettern und die Rast kurzärmelig in der Frühjahrssonne zu genießen. Sturmtief Niklas hatte uns jegliche Begierde nach steilen Abfahrten aus den Köpfen geweht. Doch will man in unseren Breiten noch eine ordentliche Bergtour absolvieren, muss man in den (sauren oder süßen, die Geschmacksfrage ist subjektiv) Skitourenapfel beißen. So kam ein Auflug aufs geliebte Karstplateau des Toten Gebirges, das wir gerne als unser alpines Wohnzimmer bezeichnen, gerade Recht um den Frühjahrsklassiker endlich von der Liste zu streichen.

Während also Moritz bereits in der steilen Nordrinne am Bosruck mit den Wechten kämpft, erreichen wir den Parkplatz beim Gasthof Baumschlagerreith am Talschluss von Hinterstoder und erhaschen gleich einen ersten Blick auf unseren Aufstiegsweg.

Die Sigistalhöhe (1.947m) in der Bildmitte

Während das Turmtal beinahe aper zu sein scheint, füllen das Schobertal und das Sigistal noch ordentliche Schneemassen und wir beeilen uns, um bei der Abfahrt nicht in diesen Massen stecken zu bleiben. Die Sonneneinstrahlung ist nämlich schon jetzt enorm und der Frühjahrsschnee verwandelt sich  bei diesen Temperaturen schnell von Firn zu Sulz.

Wenige Meter nach dem Gasthof Baumschlagerreith auf 720 Metern (Es lohnt sich die Parkplatzgebühren zu zahlen, außer man möchte den ansässigen Aufpassern 20 Euro schenken) können wir die Ski bereits anschnallen und wir verlassen schnell den gespurten Weg und schlagen uns etwas mühsam, aber abenteuerlich, durch den Wald. Die Poppenalm (1.054m) lassen wir dabei rechts liegen und nähern uns in südwestlicher Richtung dem Salzsteigjoch. Die Gedanken schweifen um die gelungene Stoderkammüberschreitung aus dem Vorjahr, die uns eben über diesen Steig wieder ins Tal brachte.

Bald erreichen wir die erste Steilstufe, die aber aufgrund der guten Schneebedingungen kein großes Problem darstellt.

Steilstufe überwunden

Die zweite Steilstufe ist dann schon etwas mühsamer und die Spitzkehren bedächtig zu setzen. Wir steigen mitten zwischen beeindruckenden Wandfluchten höher und dürfen wiedereinmal hautnah erleben, dass der Bergsport ein Ventil für Menschen jeglichen Alters ist. Während wir mit unseren 25 Jahren die Altersuntergrenze markieren und die alpine Windel, die sich heute nicht verfärben wird, anhaben, scheint es nach oben hin keine Grenzen zu geben. Während wir uns über sommerliche Unternehmungen unterhalten, überholen wir ein Pärchen, das in gemeinsamen Jahren noch die Erstbesteigung des Matterhorns miterlebt haben könnte. Die kühne Tat von Edward Whymper und seinen Mannen im schweizerischen Zermatt ,jährt sich heuer zum 150. Mal. Freundlich lassen sie uns passieren und wenige Minuten später werden wir von einem vermeintlichen Athleten überholt. In Windeseile prescht der enttarnte Mitvierziger die Hänge hinauf, als wolle er vor der Midlife-Crisis fliehen. Wir alle haben aber eine wichtige Sache gemeinsam: Die Freude an der unbändigen Freiheit der Berge. Jeder hat seinen eigenen Zugang: Schnell, langsam, ruhig, hastig, bedacht, übereifrig, still, laut, alleine, in der Gruppe, nörgelnd, euphorisch, besserwisserisch, verständnisvoll. Im Geiste aber sind wir alle vereint.

Durchs Sigistal
Matthias im Aufstieg

Bevor es schlussendlich der Sigistalhöhe zugeht, muss nocheinmal kurz mit den Fellen abgefahren und die letzten 200 Höhenmeter im steileren Gelände absolviert werden. Bei der Abfahrt spart man sich diesen Gegenanstieg aber durch gekonntes Fahren an der Felswand.

Die letzten 200 Höhenmeter zur Sigistalhöhe

Viele beenden die wunderbare, aber lange Skitour hier und geben sich gipfellos zufrieden. Obwohl uns auch in westlicher Richtung der Große Tragl mit seinen wunderschönen Karstformationen lockt, bleiben wir dem Plan treu und absolvieren weitere 200 Höhenmeter in flacherem Gelände um auf den Großen Brieglersberg zu gelangen.

Das Warscheneck unter blauem Himmel

Dort angekommen, lassen wir uns zuerst einmal von den Blicken ins Schobertal ablenken, die uns so einige unangenehme Dinge ins Gedächtnis rufen. Viele schlechte Erinnerungen sind eng mit diesem eindrucksvollen Tal verbunden. Rinnen, durch die es kein Absteigen gibt und Wände, durch die es kein Durchkommen gibt. Die Kletterroute “Unter den Schwingen des Adlers” ist immer wieder ein famoser Blickfang.

Die Kraxenberg-Südwand (Ganz links die schwierigste Kletterroute)

Über eine Stunde legen wir uns in die Sonne und genießen das Ambiente, bevor uns der Wind wieder in die Bindung treibt.

Ausblick zum Sengsengebirge
Der 2.148 Meter hohe Gipfel
Der Kleine Brieglersberg

Die Abfahrt ist nur mehr im oberen Bereich ein Genuss und schon die etwa 40 Grad steile Stufe wird im langsam beginnenden Sulz gefahren. Die Abfahrt nebst der eindrucksvollen Wand des Gamsspitz macht dennoch ordentlich Spaß und schnell erreichen wir wieder die Steilstufen im unteren Bereich.

Einfahrt
Wunderbares Abfahrtsgelände
Sigistal at it’s best
Bald regiert der Sulz

Wir schwingen uns auch über die Steilstufe gekonnt nach unten und lassen die Skier bis zur Poppenalm laufen. Erst ab rund 800 Metern müssen wir abschnallen und die bereits ausgeaperte Forststraße zwingt zum Tragen des fahrbaren Untersatzes.

Zufrieden steigen wir nach einer äußerst gelungenen Tour wieder ins Auto und lassen den Tag im Gastgarten des Dorfwirts in Hinterstoder ausklingen, wo uns die Blicke zur Spitzmauer wieder an offene Projekte erinnern. Nun, es ist zwar schön mit den Brettern, doch jetzt darf er dann kommen, der Bergsommer mit seinen duftenden Felsen!

Ihr könnt euch aber bis dorthin noch auf die Skier schmeißen und mit Hilfe des folgenden GPS-Tracks das Sigistal befahren. Auch die Fotos im Album sind hilfreich 🙂