3.150 Höhenmeter, 40.5 Kilometer Wegstrecke

Darf’s ein bisschen mehr sein?


Bericht von Gabriel Egger

Ein letztes Mal die Skier aus den verstaubten Ecken des dunklen Kellers hervorkramen, die Spinnweben von den Kanten kratzen, sie den Duft des Spätfrühlings riechen lassen, ihnen das Gefühl geben ihre Zeit  wäre nicht auf einige wenige Monate im Jahr begrenzt. Noch einmal die Felle aufziehen, ihren widerstandsfähigen Kleber auf den Belag  streichen, die Bindung melodisch einrasten  hören, die Augen mit der obligatorischen Brille vor den intensiven Strahlen der Sonne schützen,eine abwechslungsreiche Reise durch die Jahreszeiten  beginnen  um alle ihre faszinierenden Naturschauspiele aufzusaugen  und die Bretter und Skischuhe auf den Rucksack schnallen und sie stundenlang über Stock, Stein und aufgeweichte Schneefelder tragen, um danach einige wenige Höhenmeter im Sulz abzufahren und das Schauspiel von vorne beginnen zu lassen. Romantischer Traum zerstört? Ja, so erging es uns nach reiflichen Überlegungen auch.

Die lang ersehnte Temelberg-Ostrinne, die mit ihrer Eleganz eher auf den Catwalk, als in die Karstlandschaft des Toten Gebirges gehört, hätte durchstiegen und  abgefahren werden sollen. Doch die angekündigte Hitze und die zugegeben geringe Motivation auf den Spuren der Sherpas zu wandeln , ließ uns fluchtartig vom Plan aber nicht vom Gebirge abweichen. Statt am Verschluss der Skischuhe wurde schließlich an der Kurbel des Feline X7 gedreht.

Die Wolken hängen tief, als Moritz weißer Engel gen Hinterstoder entschwebt. Der Geruch im Innenraum des großräumigen Wagens erinnert an vergangene Tage in den Bergen. Ein Hauch von Ötztal mischt sich mit den brüchigen Felsbrocken der Haller Mauern. Ein angenehmer Duft.

Konsequent steuern wir den Alpengasthof Baumschlagerreith im Talschluss von Hinterstoder an, dessen Parkplatz wir uns heute zum eigenen 4-Sterne-Hotel umfunktionieren. Oder besser: 40.000-Sterne-Hotel. Wir verbringen die Nacht im Schlafsack neben dem Auto und werden von der Milchstraße und anderen galaktischen Autobahnen beobachtet. Alle Ampel scheinen auf Grün gestellt zu sein. Blitze zischen weit entfernt über den Horizont.Nach wenigen Stunden Schlaf, brechen wir mit den ersten Anzeichen von Dämmerung auf,um uns Richtung Salzsteig warm zu laufen. Die schöne Gestalt des Hochplanbergs beobachtet unsere müden Schritte. Der Bergmarathon rund um den Traunsee steht bevor und wir haben uns entschieden noch einmal eine größere Trainingseinheit einzulegen. Von Hinterstoder nach Vorderstoder. Aber nicht mit den ansässigen Riedler-Reisen, sondern über Hochmölbing, Warscheneck und Konsorten.

Der Hochplanberg erwacht

Wir laufen etwas umständlich an der Poppenalm vorbei und erreichen den Einstieg des Salzsteiges, der uns gleich kräfteraubend und steil nach oben bringt. Es wird heiß werden, das spüren wir schon jetzt. Unsere kleinen Rucksäcke können nicht viel Wasser beherbergen, somit wird das nasse Kontingent der Natur genutzt. Mittlerweile ist die Sonne aufgegangen und brennt uns die Müdigkeit aus dem Gesicht.

Über dem Schneeschlitzspitz verabschiedet sich der Mond…

 

….während das Rot der Felsen einen neuen Tag ankündigt
Steil geht es aufwärts

Nach knapp eineinhalb Stunden stehen wir beim Salzsteigjoch und es eröffnet sich uns ein Blick, der uns endgültig auf Wolke Sieben schweben lässt, auch wenn vorerst noch keine den Himmel bedecken. Helles Licht auf den Bergen, wunderbare Wiesenflächen, die nur darauf warten genüsslich überlaufen zu werden und eine Szenerie, die ständig zwischen idyllischer Alm und kessem Hochgebirge wechselt. Einen kurzen Erfrischungsschluck später, sind wir auch schon auf dem Weg zur Leistalm. Über sumpfiges Gelände, schöne Single-Trails und vorbei an den Wandfluchten von Almkogel und Grubstein flitzen wir in Hochstimmung dahin.

Das Salzsteigjoch auf 1.733 Metern
Typisches “Überlaufungsgelände”

Wir laufen heute nicht auf Zeit, sondern können die Umgebung beobachten, wie sie aus ihrem allnächtlichen Dornröschenschlaf erwacht. Das Profil gräbt sich ins sumpfige Gelände, das Wasser spritzt auf die strapazierten Waden und das Lächeln im Gesicht ist fast zu beneiden. Der Weg ist gut markiert und wir erreichen die Leistalmhütte, wo wir uns ohne große Pause Richtung Interhüttenalm aufmachen. Almen, wohin das Auge reicht! Immer wieder unterbrechen Single-Trails die sanften Wiesenwege und sorgen für Glück im Glück.

Leistalmhütte

Von den Leistalmhütten ist unser heutiges Frühstück offiziell noch drei Stunden und dreißig Minuten entfernt. Moritz kostet das nur ein Lachen und ein Zurechtrücken der frisch geschnittenen Mähne und schon ist der bergaufundbergab-Zug wieder in Bewegung und dampft durchs malerische Gelände.

Noch ist es ein ordentliches Stück

Kann man sich bei dieser blumigen Beschreibung vorstellen, dass es noch schöner geht? Nein? Geht aber! Wir genießen einen längeren Downhill Richtung Grimmingböden, wo uns eine vergessene Welt erwartet. Im Gegensatz zu Steven Spielbergs Dinosaurier-Horror aber erwarten uns keine menschenfressenden Giganten, sondern eine Ruhe, die man wohl sonst nur mit Ohropax im Keller des eigenen Hauses genießen kann.  Es ist beinahe volllkommen hier im tiefsten Toten Gebirge. Diese andere Seite, die nicht vom zerfressenen Karstfels dominiert wird, ist unbekannter als die Stodertaler Prominenz (Großer Priel, Spitzmauer) gegenüber und dennoch genauso lohnend. Wir können von hier aus zum ersten Mal Richtung Hochmölbingkette blicken, die gerade einen harten Kampf mit den Wolken führt.

Totes Gebirge einmal anders

 

Grimmingböden mit Blick zu den Mölbingen

Über umgestürzte Bäume, Sturmtief Niklas hat auch hier seine Spuren hinterlassen, geht es von 1400 Metern wieder rasant auf etwa 1800 Meter aufwärts, bevor ein weiterer lockerer Abstieg zur Hochmölbinghütte ansteht.

Ein letztes Mal aufwärts, bevor das Frühstück genossen werden kann

Bei Petra und Edgar auf der Hochmölbinghütte anzukommen, ist wie das Eintreffen im gallischen Dorf. Abgelegen von jeglicher Zivilisation, genügsam und doch heimelig und voll von positiver Energie. Wehren tut man sich hier nicht gegen die Römer, sondern gegen den technologischen Fortschritt. Entschleunigung ist angesagt. Dieses Motto übernehmen auch wir und können uns nach drei Stunden und dreißig Minuten bei einer Tasse Kaffee und einem Stück hausgemachtem Kuchen kurz ausruhen.

Zwei weitere Gruppen machen sich dann auf den Weg um auf der Wurzeralm zu übernachten und auch wir sollten uns sputen, sind doch am Nachmittag Gewitter angesagt und die übrige Wegstrecke ist nicht zu unterschätzen. Und wieder geht es im Laufschritt bergwärts, wo uns bald die formschöne Gestalt des Kleinmölbings begrüßt.

“Das gallische Dorf”- Die Hochmölbingütte

 

Kleinmölbing voraus

Auf halbem Weg zum Kleinmölbing, der wie auch seine weiteren Kollegen am Grat unschwierig zu erreichen ist, durchbrechen wir erstmals die 2.000-er Grenze und haben auch schon über 20 Kilometer und 2.000 Höhenmeter im Anstieg hinter uns gebracht. Der Spaß ist weiterhin groß, die Gespräche von völlig schwachsinnig bis emotional und der Blick vom 2.160 Meter hohen Gipfel ein weiteres Tüpfelchen auf dem I des Toten Gebirges.

Moritz am Gipfel des Kleinmölbings

Vom Kleinmölbing zum Hochmölbing lassen wir alle Stücke des Traillauf-Theaters spielen. Mit den Bergen in der Hauptrolle und uns in den Nebenrollen. Der angenehme Wind mimt den Souffleur. Anstrengend im Anstieg, rasant im Abstieg und die sanften Abschnitte im Panorama-Laufschritt.

Der “Panorama-Laufschritt”

Schnell stehen wir am Mittermölbing, von dem es nur mehr ein Katzensprung zum König der Mölbingkette ist. Die Wasserreserven neigen sich dem Ende zu und mit einem weiteren Energiegel steuern wir möglichen Krämpfen entgegen. Wir würden es gerne dem Salewa- Adler auf unserer Kleidung gleichtun und die restlichen Meter zum Warscheneck fliegen, aber mit dem Pyhrner Kampl wartet noch ein Berg, auf den ich schon immer einmal stehen wollte. Also laufen wir den Grat über Kreuzspitze, Kaminspitze und Schrocken entlang. Dann geht das Licht aus. Gott sei Dank nicht uns, aber meiner Fotokamera, deren Akku ein Opfer der Hitze geworden ist. Moritz Speicherkarte hat gleich gar nicht den Weg ins Gebirge angetreten und somit laufen wir bildlos der Elmscharte entgegen. Smartphone sei Dank gibt es aber doch noch einige wenige Aufnahmen!

Mittermölbing mit Blick zum Hochmölbing
Das Tagesziel Warscheneck noch weit entfernt

Über einen kurzen Grat (Steinmännern folgen!) erreichen wir in sehr einfacher Kletterei (I-II) das 2.241 Meter hohe Kampl. Einer kurzen Pause folgt der weglose Abstieg Richtung Wetterlucke. Wir merken langsam, dass die Füße schon müde werden und queren damit über steile Schneefelder und schöne Platten (I) um uns einen weiteren Anstieg zu ersparen. Somit sind die Zwischenwände erreicht und es folgt der Teil, der beinahe zu Fluchtiraden zwingt. Steile Schotterwege wechseln sich mit kurzen Kletterstellen ab. 250 Höhenmeter, die uns heute wirklich alles abverlangen. Oben angekommen aber wird darüber kein Wort verloren und bevor wir uns unserem Ziel, dem Warscheneck, zuwenden wird auch dessen Allerwertester mit dem klingenden Namen “Rossarsch” besucht, denn von drohenden Unwettern sind wir noch weiter entfernt, als das Salzsteigjoch vom Warscheneck. Weiße Flecken auf der Landkarte gehören sich nicht!

 

Nocheinmal im Laufschritt

Kurze Seilversicherungen und einige sanfte Kletterstellen charakterisieren den kurzen Übergang und wir legen uns erschöpft in die Wiese. Aus Angst dort zu verbrennen, geht es kurze Zeit später auf selbem Weg wieder zurück und vorbei am Liezener, dem neunten Gipfel des heutigen Tages, bahnen wir uns, schneefressend (man verzeihe den Ausdruck, aber bei solch kräfteraubenden Unternehmungen verfällt man schnell in animalische Handlungsstränge) und keuchend einen Weg auf das Karstjuwel.

Am Rossarsch

Das Wasser ist aus. Die Kraft neigt sich dem Ende zu. Motivation aber ist noch versteckt vorhanden und zufrieden können am 2.388 Meter hohen Gipfel einklatschen. Sieben Stunden haben wir für die 3.150 Höhenmeter und 31 Kilometer benötigt.

Trailhero am Trailende

Nachdem sich unseren Ohren folgende Dialoge präsentieren:


“Ach Hans, jetzt haben wir aber nicht den einfachsten Weg genommen. Wir müssen da auch wieder zurück. Die Seilbahn wär besser. Nehmen wir uns doch ein Taxi.” “Haste Recht Herwig, dat machen wir”.


steigen wir schmunzelnd Richtung Zellerhütte ab und lassen uns von Robert und Heidi noch mit Kuchen, Bier und Kaffee verwöhnen. Robert erklärt seinem chilenischen Arbeiter, dass heißes Wasser kostbar sei und deswegen eingefriert werden müsse und ein weiterer Gast erfreut sich lauthals an leichten russischen Damen. Die vielzitierte Hüttengaudi einmal in der praktischen Ausführung.

Bedächtig laufen wir im Anschluss zurück zur Hauptstraße nach Vorderstoder, von wo aus uns der Bus nach exakt 8 Stunden und dreißig Minuten, 40,51 Kilometern und 3.150 Höhenmetern zurück nach Hinterstoder bringt. Ob er’s gern gemacht hat, sei aufgrund unserer Ausdünstung dahingestellt.
Wir packen unsere Sachen, blicken nocheinmal hinauf ins Tote Gebirge und machen uns ausgelaugt aber völlig zufrieden auf die Heimreise. Es ist immer wieder schön zu wissen, dass mit einer gewissen Ausdauer, Willenskraft und mit einem guten Freund viele Grenzen verschwimmen können. Das anschließende Schwimmen in der Badewanne war aber auch nicht zu verachten. Im Toten Gebirge gibt es auch noch heuer einiges abzugrasen.

Falls ihr uns nachgrasen wollt, stellen wir euch den GPS-Track und ein Fotoalbum des Tages zur Verfügung: