Der höchste Berg, der längste Weg
 
 
 
2. Großglockner-Ultratrail (GGUT) 2016
 
 
110 Kilometer Wegstrecke, 6500 Höhenmeter
 
 
 
Gastbeitrag von Robert Riesinger
 
 
 
 
 
 
 
Eigentlich
hätt´s ja der CCC in Chamonix werden sollen, doch die Losentscheidung fiel
wieder einmal nicht zu meinen Gunsten aus. Mein Freund Dominik Aichinger tröstete mich
über meinen Ärger in der Form hinweg, dass er meinte, der GGUT sei ohnehin viel
würdiger für mich – er kannte ihn bereits von seiner Premiere im Vorjahr. Und
so sollte es dann auch kommen.

 
Die
Basisdaten dieses Ultratrails sind beeindruckend: 110 km Distanz – 6500
Höhenmeter
Eine
von meiner Seite vorab gehegte,  gewisse
Respektlosigkeit gegenüber diesen Basisdaten
– ich hatte doch schon andere Kaliber in den Beinen – sollte mir dieses
Rennen sehr erschweren.   Der Traunseemarathon (70km, 4500hm) drei Wochen vorher müsste
doch ausreichend „long distance“ – Training gewesen sein, und basta – also
keine besonderen Vorbereitungen.
 
Die beeindruckenden Daten des Laufes
 
 
Freitag
der 22. Juli, an welchem um genau Mitternacht der Startschuss fällt, gestaltet
sich noch als ganz normaler Tag: 06:00 Tagwache, 07:00 Arbeitsbeginn, 13:30
Arbeitsende, Heimfahrt, Spaghetti „Aglio con olio“ zubereitet, Sachen zusammengesucht
und schließlich um 15:00 Abfahrt nach Kaprun. Ankunft 18:00, Startnummern
ausfassen, Pflichtausrüstung vorweisen. 
Ich treffe eine Menge
bekannter Gesichter – Oberösterreich ist wirklich stark vertreten.
 

 

Dominik
und Lois, die schon ein paar Stunden früher angekommen waren,  hatten ein nettes Plätzchen bei einer Schule
gefunden. Wir stellten uns Campingliegen unter einem regengeschützten Vordach
auf, um noch ein paar Stunden zu relaxen. Das Wetter war gewittrig, aber
tendenziell sich beruhigend. Ich konnte nicht wirklich einschlafen – es war
nicht mehr als ein Dahindösen, welches um 22:30  sein Ende nahm und in konkrete
Vorbereitungen überging: Probeanpassen des Laufrucksackes – sind alle Sachen
drinnen…; welches Gewand zieh´ ich an, welches kommt in den Rucksack, welches
in den Dropbag…
.; Lois lies mir dann noch ein paar seiner mitgebrachten  Salben probieren – „Pferdebalsam“ hatte
verlockend geklungen – in der Hoffnung, dass dieser mich vielleicht  wie ein Rennpferd galoppieren lässt, strich
ich mir damit kräftig die Beine ein. 
Um 23:30 ist Aufbruch zum nahen Start ins
Zentrum von Kaprun – Läuferbriefing – noch ein Espresso vor dem Start, eine
jener kleinen, angenehmen Dinge, auf dessen Geschmack mich Dominik gebracht
hatte. Und Sigrid Huber, die Chefredakteurin vom Trailrunning Szene-Magazin,
die auch schon startfertig ist, macht noch ein Foto von uns – die Freude ist
uns allen ins Gesicht geschrieben – auch das Wetter lässt berechtigten
Optimismus zu, dass es halten wird.
 
Robert Riesinger (l.) mit Kollegen Dominik (m.) und Alois
 
Knapp
200 begeisterter Sportler stehen am Start. Der Startschuss fällt
punktgenau – alle sind offenbar erleichtert – die Anspannung verwandelt sich
schlagartig in Umsetzung. Die Beleuchtung von Kaprun hilft nur ein paar
Minuten, gleich werden die Stirnlampen eingeschaltet. Hinauf geht’s den ersten
Hang  – um dann ins nächste Tal, dem
Eingang zur Glockner-Hochalpenstraße,  wieder runterzulaufen – zurück bis Ferleiten.
Dort ist der erste Checkpoint; das Piepsen der Zeitnehmungssensoren erleichtert
– nun wissen jene, die das Rennen mitverfolgen zumindest mal, das der Start und
die erste Phase des Trails planmäßig gelungen ist. Aber wer wär´ so verrückt
und zu dieser Zeit wach und vor dem PC…..also war´s ja eigentlich egal.
 
Nun
folgt der gnadenlose 1500 Höhenmeter-Anstieg hinauf bis zur Unteren
Pfandlscharte. Ich fühle mich zwar stark, bin aber zeitweise  extrem müde und hab´ Konzentrationsstörungen –
ich erzähl´ das dem Christian Stöttinger, den ich erst beim Traunseemarathon
kennengelernt hatte und er gibt mir ein Wunderding: 2 Stück knallrote BCCA
Tabletten, die angeblich in solch einer Situation helfen. Nach einer Viertelstunde
merke ich, dass es hilft – ich kann wieder konzentriert hochgehen und die
Untere Pfandlscharte ist früher erreicht, als ich erwartet hätte.

 

Der
Großglockner steht gut einsichtbar drüben: die Pasterze, der Johannisberg…so
wie ich es von meinen 6 bisherigen Glockner-Gipfelbesteigungen kenne – und weit
unten der Speicher Margaritze, viele Schafe am Hang;  die Glockner-Hochalpenstrasse schlängelt sich
hoch zur Franz-Josefshöhe – und überall ziehen die weiß aufleuchtenden Linien
vom Berg runter: die unzähligen Wasserfälle; der viele Regen der letzten Tage hat
uns diesen Wassereichtum beschert. Das Tosen der Wildbäche begleitet uns von
Beginn an und dauert bis hin zur Heimfahrt.
Ein Teil der Großglockner-Hochalpenstraße
Beim
Glocknerhaus gibt’s wieder eine Stärkung. Dann geht´s noch ein Stück runter, über
die Margaritzen-Staumauer auf die andere Talseite und in der noch recht
angenehmen Morgensonne wieder hoch. Diese Strecke zieht sich; ein Bergretter
auf der Strecke gibt mir einen Motivationsschub: er ruft mir zu, dass er mich
bewundere und noch überhaupt keiner  in
meinem Alter vorbeigelaufen wäre. Er meinte, ein Stockerlplatz wäre garantiert,
wenn nicht der Altersklassensieg. 
 
Ich dachte, der Kerl meint es gut, aber diesen
Lauf muss man erst mal durchstehen, denn die Fußsohlen brennen schon von den
ewig nassen Füssen, da  immer wieder
Sumpfwiesen zu queren sind und auf dem Weg teils das Wasser geronnen ist. Bald
passiere ich die Salmhütte; danach noch ein paar Höhenmeter – mittlerweile ist
die Sonne schon recht kräftig – und ich komme um 08:32 ins dritte Bundesland: nach
Salzburg und Kärnten geht’s nun auf Osttiroler Territorium. 
 
Der Anblick auf den
Großglockner von der Südseite ist mir sehr vertraut, bin  ich doch schon einige Male über das
Ködnitzkees aufgestiegen. Weiter geht es dem höchsten Punkt der gesamten
Strecke entgegen: der Pfortscharte auf 2822 m; die dünnere Luft macht sich
schon bemerkbar, sagt man doch, dass sich alle 5500 m das O2-Angebot
halbiere…..; nun geht’s wieder etwa 250
Höhenmeter runter- recht angenehm für mich, denn  ich hab´ Schotterriesen gerne – und die kann
ich mir hier für einen schnellen Abstieg zunutze machen. Der Aufstieg zur
Stüdlhütte ist hart – und bei 2801 m ist diese futuristisch anmutende
Ausgangsbasis zum Stüdlgrat  endlich da.
 
Kleinglockner, Großglockner, Glocknerleitl
 
Von
da an geht’s 1500 m fast immer bergab nach Kals; die Hälfte dieser Strecke
teile ich mir mit dem US-Tschechen Stephan Dicara , communicating all the time
in english – what we had done in the last years and what will be our targets in
future…
 
Kals
sieht man seit einiger Zeit, aber es mag nicht wirklich daherkommen; denn der
Weg macht einen weiten Linksbogen, bevor es wirklich ins Zentrum reingeht. Nach
Kals zu kommen, tut wirklich der Psyche gut. Ich laufe knapp vor Mittag in der
Labestelle und dem Drop-off Platz ein und freue mich auf neue, trockene Socken
und Schuhe…und auf eine Suppe – von der  ich
schon seit der Stüdlhütte träume. Ich gönne mir etwa 20 Minuten Rast, obwohl ich
Lust hätte, mit den gerade raus startenden zwei Bekannten (Daniela Karigl und
Gregor Hain) mitzulaufen; aber eine Kals-Rast ist nicht nur notwendig, sondern
gehört auch zelebriert. 
 
Mir gehen Gedanken durch den Kopf, wie ich die noch vor
mir liegende Distanz von etwa 50 Kilometern mit 2200 Höhenmetern packen soll.
Das Konzept ist einfach: nicht überdrehen, Zeit lassen. Das war gerade in
diesem Moment nicht nur taktisch richtig. Ich empfinde das nun kommende Dorfertal
als den allerschönsten Abschnitt der Strecke, welches ich bei dem langsamer
eingestellten Tempo wirklich auch genießen kann: der tosende Dorferbach, an dem
man durch die Daba-Klamm über Holzstege flußaufwärts geht – vorbei an der
Bergeralm und weiter zum Kalser Tauerhaus , bis es ruhiger wird – ehe ich am Rande
des grünen Dorfersees – schon wieder auf einer Höhe von fast 2000 Metern –
vorbeilaufe. 
 
Die letzten Meter zur Stüdlhütte
 
Das obere Ende des Dorfersees
 
Weiter
ging´s ins Tal rein und dann nach rechts hinauf – der Pass über den Kalser
Tauern war das Ziel – um wieder ins Ausgangs-Bundesland Salzburg über
Schneefelder auf 2500 Meter  Höhe in Richtung Rudolfshütte zu laufen. Knapp vor
diesem  Checkpoint musste ich die
Regenjacke anziehen; der einsetzende Regen war stärker geworden. In der
Rudolfshütte gab es herrliche Spaghetti – und so wie an jeder Labe zog ich mit
einige Stücke Wassermelone rein – war doch der ständige Durst eher das Übel –
und nicht der Hunger. 
 
Ein Selfie zur Entspannung
 
 
Das nächste Teilstück war ein etwa 200 Meter -Abstieg; dieser
war sehr unangenehm: von vorne herein recht rutschig und der Regen tat sein weiteres.  Dann war ein wild reißender Zufluss zum
Tauernmoossee zu queren, bevor es die letzten 700 Höhenmeter auf das Kapruner Törl
langgezogen hochging. Um etwa 16:00 war die Durststrecke geschafft – im
wahrsten Sinne des Wortes, hatte sich der Regen in der Zwischenzeit wieder
gelegt und die Sonne brannte runter. Mit dem Kapruner Törl war der letzte
Anstieg geschafft und zumindest im Kopfe glaubte ich mich schon so viel wie im
Ziel – nicht ahnend, wie sich die kommenden 25 km noch hinziehen werden.
 
 Vorest
war´s ja recht angenehm, die Schneefelder runterzurutschen und die folgenden
Grashänge hinunter zum Speicher Mooserboden zu nehmen. Dann ein Ausrutscher,
mit der rechten Hand abgestützt, dabei den kleinen Finger gestaucht, so dass
das letzte Glied etwa 15° nach oben stand. Offenbar war er aus dem Gelenk
gesprungen. Im Laufen drückte ich dagegen und hatte Glück: das Fingerglied war
wieder in sein Gelenk gesprungen – etwas blau angelaufen, aber die Vorstellung
ins Spital zu müssen, anstatt nach dem Zieleinlauf faul rumzuliegen und zu
genießen,  war gebannt.
 
 Der weitere
Abschnitt war recht mühsam – die zu querende Mooserboden-Sperrmauer wollte einfach
nicht näher kommen – waagrecht ging es ihr entgegen; einer, dem es genauso ging
wie mir, war der junge Slowene Rok Bratuša; er lief , ging wieder ein paar
Schritte, lief…..auf diese Weise hatten wir uns kennengelernt und verbündet.
Gemeinsam ging es leichter: endlich die Sperrmauer-Querung, der letzte
Checkpoint auf der Mauerkrone und dann runter in Richtung Kaprun; aber auch
diese 16 km lange Strecke wollte niemals enden, obwohl es fast nur mehr bergab
ging. Es wurde immer dunkler und um 21:15 mussten wir wieder unsere Stirnlampen
aufsetzen; die Lichter von Kaprun kamen einfach nicht daher; mittlerweile war
es schon 22:00 geworden – lange sollte es nicht mehr dauern.   
 
 Na endlich, jetzt war es bald so
weit: die begeisterten Leute auf der Straße riefen uns zu, dass es noch 1 ½ km
wären, … Die Einheimischen und die zahlreichen, ihren abendlichen Spaziergang
machenden arabischen Touristen in Kaprun riefen und zu – „Congratulation..“ . „Shukran“
شكرا – Dankeschön“…. rief ich mehrmals zurück.
    
Robert Riesinger und sein Verbündeter Rok Bratusa
 
 
Nun
rannten wir bei 22 h 26 min mit gehobenen Händen über die seit langem ersehnte
 Ziellinie – Slovenija und Austria ! Ein kurzes
Interview, viele glückliche Gesichter, ein Erdinger Alkoholfrei stabilisierte
mir den von den vielen Getränken etwas irritierten Magen schnell
 wieder und nach der wunderbaren Dusche in der
Ortsschule wurde gemeinsam mit einigen Bekannten noch ein vegetarisches Chili
con Carne, welches der Veranstalter bereitgestellt hatte,
 verspeist.
Vor dem Verkriechen in den Schlafsack hinein – in einer örtlichen
Turnhalle – war es schon wieder nach Mitternacht geworden. Ein sehr intensiver
Tag, dieser 23. Juli 2016.
 
Ich
machte diesen Ultratrail  in einer Zeit
von 22 h 26 min 43 sec – das war der 52. Platz unter 196 Startern/-innen, von
welchen wiederum 129 unter dem erforderlichen Zeitlimit von 29 Stunden
gefinisht hatten. Meine Altersgruppe gewann
ich überlegen –  von den sechs
Angemeldeten starteten aber nur vier. Aber auch in der „50-er“ hätt´s für den
2. Platz gereicht, in welcher immerhin 32 gestartet waren.
 

Die Siegerehrung am Sonntag Vormittag war ein
wahres Volksfest. Nicht nur die Sieger und Finisher wurden geehrt – auch die
vielen Freiwilligen dieses großartig organisierten Bewerbes. Solche Momente
erlebt man nicht so oft.