Die Geschichte zweier Prinzessinnen, die voller Stolz zerbeulte Kronen tragen.
Von Gabriel Egger
Es ist vorbei. Ein Traum zerbricht. So abrupt, dass ich glaube, die Scherben hören zu können. Enttäuschung, Wut, Trauer, Angst. Die Gefühle beuteln meinen Körper, mischen sich, keines setzt sich durch. Leere im Kopf, keinen Gedanken kann ich klar fassen, bevor er mir durch die mächtigen Wände, die sich rings um mich aufbauen, davonfliegt. Dort oben, wo ich jetzt auch sein sollte. Das Adrenalin verflüchtigt sich, lässt mich die vergangenen fünf Stunden spüren. Die Sonne ist mit ihrer Machtdemonstration noch nicht am Ende, bäumt sich noch einmal auf, brennt sich durch die Kopfbedeckung. Sogar der Fels schwitzt, lechzt nach dem Tropfen auf dem heißen Stein. Links von mir der Mensch, mit dem ich all das durchstehen wollte. Aschfahl, am Boden zerstört, auf einem Felsklotz um das Bewusstsein ringend. Rechts der Grat, der uns nach oben hätte bringen sollen. Moritz hustet so intensiv, dass er sich übergeben muss. Dann ist es ruhig. Selten hat sich Ruhe so unangenehm angefühlt. Es ist die Ruhe nach dem Sturm. Dabei hätte alles so gut begonnen.
Und die Luft flimmert
“Ausschlafen. Ausschlafen. Ausschlafen”.Je öfter ich es mir vorsage, desto wehrhafter beginnt mein Körper sich für einen neuen Tag zu rüsten. Was ihn erwartet, weiß er nicht, sonst hätte er den Sandmann sofort zurückbeordert. Oder die Katze, die sich seit fünf Uhr durch energisches Kratzen an der Türe und einem Organ, das dem des Löwen um nichts nachsteht, versucht, Zutritt zum Zimmer zu verschaffen. Der erste Blick aus dem Fenster, die erste frische Luft, die ins Gehirn saust, ein müdes Lächeln. Endlich. So lange haben wir auf diesen Moment warten müssen. Es geht los. Noch vier Stunden bis zum Aufbruch in ein Wagnis, von dem wir noch keine Vorstellung haben, das uns an die Grenzen bringen soll- und darüber hinaus. Grenzen überschreiten, jawohl.25 Grad zeigt das Thermometer hier in Windischgarsten an. Um acht Uhr früh wohlgemerkt. Der Kaffee verfehlt seine Wirkung, munter und startklar bin ich schon lange. Markus und Andi sind bereit unseren Grenzgang zwischen Freud’ und Leid filmisch festzuhalten. Sie brennen genauso wie wir- und die Sonne. Das Equipment ist verstaut, im Radio wird von den Verrückten gesprochen, die bei diesen Temperaturen aufbrechen, um 24 Stunden lang Oberösterreichs Gebirgsketten abzulaufen. Die Aufmerksamkeit kurbelt die Motivation an, verstärkt aber gleichzeitig den Druck, den wir uns seit Wochen selbst aufgebaut haben. Was nur, wenn wir aufgeben müssen? Sind wir dann Versager ? Niemals, wir schaffen das. Wir haben schon einmal durchgehalten.
Der Bus, den Markus zum Start nach Hinterstoder steuert, setzt sich in Bewegung. Johannes und Martin sind dabei ,die letzten Depots einzurichten, der Plan für Tag und Nacht steht, die Verpflegung ist gesichert. Zeit für Entspannung, wenn auch nur kurz. Schritt für Schritt arbeite ich mich in Gedanken durch die Überschreitungen. Mein Fuß steigt über die Platten der Prielüberschreitung, streift an den Latschen des Sengsengebirges, umgeht geschickt die brüchigen Stellen des Pyhrgasgrates und steht stolz vor dem hölzernen Bosruckkreuz.
Als wir kurz vor Mittag beim Gemeindeamt in Hinterstoder aus dem Auto steigen, flimmert die Luft. 34,2 Grad, viel zu heiß für eine solche Unternehmung. Nur den Anstieg zum Kleinen Priel hinter uns bringen, dann wird es besser. Der gemeinsame Gedanke stärkt den Willen. Dass knapp 1.600 Höhenmeter zu überwinden sind, ignorieren wir. Vorerst. Die Kameras laufen, wenige Minuten noch bis wir uns die Anspannung aus den Beinen laufen können.
11:59:45..Wir schaffen das, ich schwör’ es dir. Einfach zusammenhalten, dann kann nichts schiefgehen.
Ein Satz, der sich auf einer ganz anderen, unerwarteten Ebene noch bewahrheiten wird.
11:59:52:..Gabriel, nicht zu schnell starten. Den dummen Fehler dürfen wir nicht wieder machen.
11:59:58:..Auf die nächsten 24 Stunden, gemma’s an!
12:00:00…LOS!
Die Asphaltstraße hinauf zum Prielergut ist die Aufwärmübung, die ersten 180 Höhenmeter bewältigen wir im Laufschritt. Das Herz pocht, obwohl es noch keinen Grund dazu hat. Zeit ist genug, um es an die Situation zu gewöhnen. Der Schweiß perlt bereits nach fünf Minuten von der Stirn, tropft in die Augen, verwandelt den Körper in ein Salzbergwerk. Schatten ist Luxus und Luxus dürfen wir uns in den Bergen nicht erwarten. Nach 45 Minuten sind 720 Höhenmeter überwunden. Wieder viel zu schnell. Kann ich das jemals lernen, frage ich mich, als ich mir das Wasser über das Gesicht laufen lasse. 1,5 Liter sind in den Rucksack gepackt, dann müssen wir uns auf das Depot auf dem Gipfel verlassen.
“Mach es alleine fertig”
Die Prielerplan, ein steiler, langer Anstieg über Wiesen, die den ganzen Tag über in der prallen Sonne vegetieren, nagt an den Kräften. Die Luft steht, sie ist beinahe mit den Fingern zu greifen. Von unten ein Hitzeschwall, von oben die Sonne, die den Kopf durcheinanderwirbelt. Musik und aufmunternde Gespräche überbrücken den grasigen Terror. Dann taucht er auf, der Gipfel, und plötzlich sind alle negativen Gedanken verflogen. Wir setzen uns kurz in den Schatten, lachen miteinander, blicken zum ersten Mal auf die Uhr. Dann, nach einer Stunde und 49 Minuten stehen wir nach 1.570 hitzigen Höhenmetern beim zierlichen Kreuz, das fast bescheiden den tollen Aussichtsberg schmückt. Veronika erwartet uns mit Wasser, Riegel und gutem Zuspruch. 15 Minuten Pause. Fliegen umschwirren uns. Giorgio Armani hätte das Weite gesucht.
Dann geht es weiter. Im Laufschritt über Platten, Grate, über Stahlseile nach unten schwingend und über knackige Kletterstellen nach oben sausend. Das ist unsere Welt. Wir fühlen uns wohl, genießen den Augenblick. Jeder für sich, dann wieder gemeinsam. Schwarzkogel und Angelmauer fliegen an uns vorbei. Kein Schritt darf daneben gehen.
Drei Stunden und 40 Minuten sind vergangen, als Moritz kurz vor der Teufelsmauer über Krämpfe und Kopfweh klagt. Eine Pause ist dringend notwendig. Das Schnaufen wird schwerer, der Atem hastiger. Mit sorgvoller Miene beobachte ich ihn, wie er sich selbst immer wieder sagt, dass es weitergehen muss. Es folgt die anspruchsvollste Stelle der Tour. Eine kurze Wand, etwa zehn Meter lang, im dritten Schwierigkeitsgrad. Ohne Probleme. Doch beim Gipfelanstieg wird Moritz körperliche Situation immer schlimmer. Er drosselt das Tempo, sein Schweiß ist kalt, das Gesicht weiß, wie der Schnee, der heuer so lange hier heroben lag.
Schon jetzt ist klar: Bessert sich die Situation nicht innerhalb der nächsten Stunde, können wir unmöglich durch die Nordwand des Großen Priels klettern. Am Gipfel der Teufelsmauer rasten wir. Drei Stunden und 58 Minuten von Hinterstoder entfernt. Moritz vergräbt sein Gesicht in den Armen. Verzweiflung macht sich breit. Ich gebe ihm mein ganzes Wasser, versuche ihn noch bis zur Arzlochscharte, wo unser Lebensmitteldepot eingerichtet ist, durchzubringen. Er rafft sich wieder auf, ich blicke ihm in die Augen, spüre den innerlichen Schmerz. Er kämpft weiter. “Vielleicht wird es ja wieder”.
Die Dummheit des Ehrgeizlers
Achja, weil wir schon bei Floskeln sind: Berge stehen ja bekanntlich noch länger. DIE VIER mit Sicherheit auch.
Wie bitte? Jetzt habe ich beinahe geglaubt, da hätte jemand September gesagt. Komisch.
Wir sind am Freitag NM den Zierlersteig gegangen, haben Steigbucheinträge von euch gefunden und uns gefragt, wie es euch wohl bei diese Hitze gehen mag.
Und grad weil ihr bei dieser Hitze die Arzlochscharte in der kurzen Zeit erreicht habt, trau ich euch jetzt (im September…) das Projket zu. Vorher tat ich das nicht. 😉
Viel Glück und Alles Gute! Tom
Warum macht ihr das Projekt nicht einfach dann, wenn das Wetter passt? Vorher einen Termin festlegen und dann bei 35 Grad Celsius loslegen erscheint mir unlogisch. Ausserdem setzt ihr euch mit so einem Rummel ganz schön unter Druck. Das Ding unauffällig durchziehen und hinterher berichten geht doch auch. Oder seid ihr unter Sponsoren-Druck geraten?
Große Worte! Macht weiter so! Moritz, Alles Gute! Bin mir sicher, dass dadurch die Story noch cooler wird, wenn ihr wieder einen "Angriff" startet. Und … ich hätte es auch versucht bei diesem Wetter: Richtige Entscheidung! WAY TO GO!!!
… bei solchen Zielen gehört das Scheitern auch mal dazu, was solls 😉 Interessieren würden mich die Gesamt-km und Gesamt-hm dieser Unternehmung, könnt ihr mir hier Auskunft geben?
Das wirklich Spannende an eurem Projekt liegt meiner Meinung nach genau darin, dass es möglicherweise tatsächlich nicht machbar ist. (Ich selbst tendiere sogar fast zu dieser Vermutung.)
Wäre der erste Versuch sofort gelungen, dann hätte sich die Frage der Machbarkeit dabei sehr starkt relativiert.
JETZT, nach eurem gescheiterten Anlauf, werden alle weiteren noch viel, viel spannender sein.
Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man sogar perfekte Dramaturgie hinter eurem Scheitern vermuten… 😉
Alles Gute beim nächten Mal!
Wolfgang Drexler
Gratuliere, Burschen.
Bei der Hitz auf den Kleinen Priel.
Als nächstes Projekt empfehle ich Euch die weglose Überschreitung des Toten-Gebirge-Plateaus.
Mit Fixtermin.
Wenns dann regnet, windet und nebelt, ist die Dramaturgie perfekt 🙂
Wünsche Euch weiterhin viel Glück, Ihr werdets es brauchen.
Helwin Hinke