1.950 Höhenmeter, 19km Wegstrecke


Die treuen (oder weniger treuen und durch Zufall auf unsere Seite gestoßenen) Blogleser von bergaufundbergab können sich mit Sicherheit erinnern: Ende Oktober konnten Hans und Ich am Großen Priel außer dem Kreuz (und das auch erst ab fünf Metern Entfernung) nur unbändiges Weiß sehen. Dieses Weiß kam nicht nur von den ergiebigen Schneefällen, sondern auch von einer geschlossenen Wolkendecke, die den Gipfel in Beschlag nahm. Weil Weiß die Farbe des Friedens ist, schlossen wir vor mehr als zwei Wochen zwar auch Frieden mit dem verkorksten Wetter, doch einmal wollte ich dieses Jahr den Gipfel noch mit so wenig Schneekontakt wie möglich erreichen. Die Wetterfrösche hüpften in ihrem Glas wie wild auf und ab und prognostizierten für die kommenden Tage einen erneuten (wenn auch nicht so starken) Wintereinbruch. Somit witterte ich an diesem Montag meine letzte Chance mit Laufschuhen den “mons altissimus totius provintzia” zu erklimmen. Dieser Name rührt von der Tatsache, dass es im Jahre 1669 zur Annahme kam, der aus Wettersteinkalk geformte Berg ,ist der Höchste des Landes. Mittlerweile wissen wir, dass der Großglockner mit seinen 3.798m den König des Toten Gebirges “ein bisschen” überragt.

Ich starte meine Tour also am Parkplatz Johannishof, wo ich laufend das Polsterstüberl passiere und mich nach etwas mehr als elf Minuten beim tatsächlichen Einstieg zum Prielschutzhaus befinde. Mein Ziel ist es heute, den Großen Priel in weniger als drei Stunden zu erlaufen. Normal bin ich der Meinung, man sollte seine Streifzüge durchs Gebirge genießen und sie nicht mit sportlichem Ehrgeiz zu einem Wettkampf umfunktionieren, der einen möglicherweise dann sogar enttäuscht. Wer aber so oft in den Bergen ist, wie meine Freunde und ich, wird verstehen: Es gibt Tage, da will man es einfach wissen. Was für mich ein einmalig schnelles Erlebnis war, schlägt sich aber auch leider auf die Bilder nieder, die ich euch mitgebracht habe: Nur etwas mehr als zwanzig Fotos konnte ich bei meinem Aufenthalt im Toten Gebirge knipsen.

Kurz vor dem Polsterstüberl zeigt sich bereits die imposante Spitzmauer

Nicht immer laufend, aber zumindest eilend, erreiche ich nach 64 Minuten und 58 Sekunden, vom Johannishof aus, das Prielschutzhaus. Ein kurzer Blick in den Winterraum genügt um zu wissen: Ich werde heute nicht alleine am Gipfel sein. Neben Schlafsäcken, Isomatten und Kleidung warten auch zahlreiche Gaskocher auf ihren Einsatz. Unsere tschechischen Nachbarn haben sich also wiedermal für einen Kurzurlaub einquartiert. Der Priel zieht die Tschechen seit Jahrzehnten in ihren Bann. Ich kann es verstehen und ich freue mich bei der Gipfelpause doch noch ein paar Worte mit jemandem wechseln zu können. Denn egal wie traumhaft eine Unternehmung allein sein kann : Erlebnisse mit jemandem zu teilen, ist noch um ein Eck besser.

Prielschutzhauss (1.420m) in Sicht

Ich laufe also dem Kühkar entgegen und bin erstaunt, wie schnell sich die Schneemassen verabschiedet haben. Langsam nähere ich mich dem Aufstieg durch die Brotfallscharte und bin etwas angespannt ob der Verhältnisse. Der schattige, seilversicherte Aufschwung, kann durchaus auch zu einem Kampf mit dem Eis werden. Und so sollte es schließlich auch kommen. Hatte ich bis ins Kühkar keinen nennenswerten Schneekontakt, so liegt hier doch noch eine beträchtliche Menge. Die völlig vereisten Schneemassen lassen mich mit den Laufschuhen kurz zögern, bevor ich in den harten Spuren meiner Vorgänger die direkte Linie zum 2.360m hohen Ausstieg wähle. Kurz vor dem Ausstieg steilt es nocheinmal gehörig auf und ohne die tiefen Tritte im Schnee hätte es hier ohne Steigeisen kein Weiterkommen gegeben. Nach 2 Stunden und 17 Minuten kann ich erstmals über das Plateau zum Rotgschirr blicken.

Das Kühkar mit der Brotfallscharte
Das Kreuz bereits in (täuschend) greifbarer Nähe
Rückblick beim Ausstieg
Blick übers Plateau zu Temelberg (2.331, links) und Rotgschirr (2.261m, rechts)

Nun ist der heikelste Teil der Tour vorbei und ich kann dem breiten Grat entgegenlaufen. Mit dem tatsächlichen Laufen ist es hier aber endgültig vorbei, denn die vereiste Schneeschicht lässt kein “Hudeln” zu. Von Weitem kann ich bereits die vier tschechischen Mitstreiter am Gipfel erkennen und nach 2:29:46 stehe ich geschlaucht, aber glücklich am Gipfel des Großen Priels. Und siehe da: Die Sicht ist formidabel!

Der breite Gipfelgrat
Blick ins Alpenvorland: Vorgelagert der Hetzaukamm, hinten der Traunstein

Am Gipfel ergeben sich mit den Alpinisten aus dem Nachbarland sehr lustige Dialoge. Weil ich mit kurzer Laufhose, kurzem Leibchen und meinen Trailrunning-Schuhen das völlige Gegenbeispiel zu ihrer Hochtourenausrüstung abgebe, gibt es vorerst ungläubige Blicke. Dazu sei aber folgendes gesagt: Um diese Jahreszeit, mit den Laufschuhen auf den Großen Priel zu steigen, ist alles andere als vernünftig. Die Kollegen mit Steigeisen und Pickel waren in der Brotfallscharte auf der sicheren Seite und konnten ihren Gipfelgang dank der tollen Ausrüstung auch vollständig genießen, während ich jeden Tritt bedächtig setzen musste. Cool bin ich also wirklich nicht. Meine Mutter würde mich übers Knie legen, hätte sie das Recht dazu.

Weil ich schließlich auch noch ein Porträtbild des Freundes meiner Schwester auspacke, glauben die Kollegen am Gipfel an vollständige geistige Umnachtung:

“Oh my God. Is he dead?
“No, he’s at home”.
“Okay. And why you are bringing a picture from him to the summit?”
“You wouldn’t understand. It’s a kind of a Game. A joke”
“Oh, i understand…”


Tatsächlich wollte ich Markus, der mich in sehr unregelmäßigen Abständen auf Gipfel begleitet, wieder einmal mitnehmen. Weil sich der aber mit Toren für seinen Arbeitgeber in der österreichischen Bezirksliga und nicht mit Aufstiegen ins Tote Gebirge, beschäftigen muss, habe ich ihn auf andere Weise auf den Großen Priel mitgenommen. Er wirds mir sicher danken. Die Erklärung klingt zwar jetzt noch mehr nach geistiger Inkontinenz, doch alles muss man schließlich nicht verstehen 🙂

Markus am Großen Priel (2.515m)

Nach kurzer Energiezufuhr geht es auf selbem Weg, zuerst recht schnell, dann sehr bedächtig durch die Brotfallscharte wieder nach unten. Hier wähle ich diesmal den Original-Ausstieg und hantle mich an den oberen Seilen nach unten, bis ich wieder in den Aufstiegsspuren lande. Ab jetzt gibt es keine Probleme mehr und ich kann im Laufschritt, mit kurzer Pause beim Prielschutzhaus, wieder ins Tal sprinten.

Blick zum Großen Pyhrgas (Mitte), wo sich Matthias und Freunde gerade austoben
Prielschutzhaus mit Ostrawitz (1.823m)
“Stör mich nicht”- Die Gams pfeift drauf.
Meine Welt: Die abschließende Umarmung des Toten Gebirges

Nach abschließenden 4 Stunden und 40 Minuten kann ich meinen Lauf auf den Großen Priel als Erfolg bezeichnen. Das nächste Mal aber gibt es wieder einen etwas genussvolleren Ausflug ins Tote Gebirge. Und während ich am Abend auf der Uni Wien alte deutsche Literatur eingetrichtert bekomme, beginnt es im Karstgebirge bereits zu schneien.  Die wenigen Fotos, die beim Lauf entstanden sind, könnt ihr euch hier nocheinmal ansehen: