Text und Bilder von Gabriel Egger

















Die Sonne über den Hügeln der Stadt ist längst untergegangen und lässt neben orangefarbenen Kondensstreifen am Himmel auch eine klirrende Kälte zurück, die sich unsanft gegen die Fensterscheiben drückt. Der 1. Februar ist zwar schon beinahe 20 Stunden alt, doch die wichtigste Entscheidung ist noch nicht gefallen. Der Raum ist aufgeladen, die Hände schwitzig, das Kribbeln in den Fingern wird immer stärker. Sitzen kann man nicht mehr und wenn, dann wie auf Nadeln. Spannung liegt in der Luft. Noch zehn Minuten. Der Computer läuft auf Hochtouren, das Ladekabel hängt an der Steckdose und der Akkustand wird ein letztes Mal überprüft. Noch acht Minuten. Hastig wird ein Schluck Kaffee gegen die gesteigerte Nervosität getrunken, obwohl man ohnehin hellwach und aufmerksam wie Sherlock Holmes ist. Vielleicht würde Schnaps das Nervensystem beruhigen, aber man ist ja schließlich Sportler.

Noch fünf Minuten. Nichts darf mehr ablenken. Überflüssige Internetseiten werden geschlossen, die Unterhaltungen mit Gleichgesinnten stumm geschalten. In Gedanken werden Glückwünsche verteilt. Alle wollen dasselbe. Noch drei Minuten. Das linke Bein tippelt unaufhörlich auf dem Boden und lässt auch die Nachbarn unterhalb ein kleines Stück vom Kuchen der Anspannung probieren. Er schmeckt bittersüß. Noch eine Minute. Kurz vor 20.00 Uhr ist es fünf Minuten vor Zwölf. Die Internerverbindung muss halten, die Finger müssen den “Anmelde-Button” genauso schnell treffen, wie Lucky Luke seinen Schatten. Der Countdown läuft. Kurz kommt das Gefühl einer Silvesternacht auf, nur dass hier nicht jeder erfolgreich über die “Ziellinie” rutscht. Die Anmeldung für den 27. Traunsee- Bergmarathon ist geöffnet. Das Formular geht auf! Name, Vorname, Anschrift. Schnell. Schnell. Schnell. Dass man sich jetzt Zeit lassen könnte, wird professionell ignoriert. Ist auch genügend Geld am Konto? Es sind zwar nur 45 Euro, aber der Wille einen Startplatz zu ergattern ist so groß, dass sich auch hinter stramme Hauptsätze ein Fragezeichen schummelt. Nur noch abschicken, ein paar letzte Klicks auf die überstrapazierten Maustasten. Geschafft.

Wenige Worte- viel Freude

Was sich liest, wie die verzweifelten Minuten vor einer Entscheidung, die das ganze Leben nachhaltig beeinflussen könnte, ist nur die jährliche Anmeldephase vor dem “schönsten Erlebnislauf Europas”, wie sich der traditionelle Bergmarathon rund um den Traunsee nennen darf. Nur ist aber definitiv das falsche Wort, denn schon bei den bangen Momenten vor der Veranstaltung wird klar, dass es sich hier um weit mehr als nur einen weiteren simplen Berglaufbewerb handelt. Alleine die Zahlen wissen zu beeindrucken: 70 Kilometer. 4500 Höhenmeter. 555 Verwegene. 1 Mal rund um den Traunsee.  Und weil das ohne Schiff nur über Umwege möglich ist, dürfen sich die Teilnehmer gleich auf alle prominenten Gipfel der blühenden Region inmitten des Salzkammergutes schleppen.

Vom Rathausplatz der Keramikstadt Gmunden geht es am 4. Juli von Schwänen beobachtet zum Grünberg, dessen Gondeln für manche schon verlockend wirken könnten. Vom Nordufer in Gmunden erreicht man schließlich das Ostufer des Sees und muss beim König der Region um eine Audienz ansuchen. Falls dieser sie gewährt, steht man beim Naturfreundehaus am Traunstein und sieht sich dem steilen Abstieg zur Mairalm gegenüber. Wo sonst idyllische Ruhe herrscht, laufen und wandern Anfang Juli die Teilnehmer dem Abenteuer “Daxnersteig” entgegen. Auf Forststraßen nach Karbach gelangt, geht es über den alpinen Steig zur Spitzelsteinalm, wo sich dann nicht nur die schottischen Hochlandrinder, die dort im Almsommer grasen, gerne niederlegen würden. Wer im Anschluss Ebensee erreicht, hat bereits die Hälfte der Strecke hinter sich. Die Hütten am Feuerkogel sind der nächste Anhaltspunkt für die bereits ausgelaugten Teilnehmer.

Am anderen Ende der Anmeldung, Foto: Bergmarathon

Mit dem Höllengebirge vor Augen lässt es sich dann schnell ins Langbathtal absteigen. Für die sonst so pittoreske Hochsteinalm werden die Teilnehmer dann wohl keine Augen mehr haben, bevor es über den Grasberg und den Gmundnerberg auf die malerische Esplanade geht und man sich schließlich wieder im Ziel am Rathausplatz einfindet. So lang die Beschreibung ist, so lang ist auch die Strecke. Nur noch viel länger. Wer sich dieser großen Herausforderung (noch) nicht gewachsen fühlt, kann es auch mit einer der  beiden Halbdistanzen probieren. Für die Kleinsten gibt es schon zum achten Mal den Kinderlauf. Muskelkater, Anstrengung und Endorphine sind bei allen Bewerben garantiert. Die Schweißperlen standen dem willigen Teilnehmer auch im Jahr 2015 schon ein halbes Jahr vor der Veranstaltung nicht umsonst im Gesicht: Nach zwei Minuten, das sind 120 Sekunden, war die Gesamtstrecke restlos ausgebucht. 270 Plätze gab es dafür. Wer meint, das wäre ein Rekord, liegt falsch. Bei den beiden Teilstrecken ging es nämlich noch schneller: Von Gmunden nach Ebensee liefen die 115 Teilnehmer bei der Anmeldung in 20 Sekunden, von Ebensee nach Gmunden benötigten 170 “Marathonis”, wie sie liebevoll genannt werden, flotte 5 Sekunden. Und die Teilnehmer kommen dabei aus allen sportlichen Ecken der Welt: Deutschland, Tschechien, Rumänien, Niederlande und Hongkong. Wenn sich mehr als 1.000 Sportler die Finger wund klicken und die Flutwelle an Anmeldungen hereinbricht, versucht auf der anderen Seite das Organisationsteam die Fairness hochzuhalten. Allen voran ein Mann, der vor zwei Jahren mit dem Bergmarathon nicht nur große Verantwortung, sondern eine ganz persönliche Herzensangelegenheit übernommen hat.

Eine emotionale Aufgabe: Wie der Vater so der Sohn

 

Harald Buchinger


Die vorsommerliche Hitzewelle hat für einen Tag ihre schweißtreibende Arbeit niedergelegt und der Wind treibt die Wolken in niedrige Gefilde, wo sie die Gipfel rund um den Traunsee einhüllen, als ich den Rathausplatz in Gmunden betrete. In drei Wochen werden hier erschöpfte, aber auch glückliche Gesichter zu sehen sein. Ein freundliches begrüßt mich schon jetzt:  “Tut mir leid für die Verspätung, aber momentan ist es noch ein ordentlicher Stress” Harald Buchinger organisiert zum zweiten Mal den Bergmarathon rund um den Traunsee und leitet gerade die finale Phase der Vorbereitung ein. Er wirkt angespannt, aber dennoch voller Vorfreude. Kein Wunder, ist für ihn die Veranstaltung das sportliche und emotionale Highlight des Jahres. Schon lange ist der Bergmarathon in den Händen der Buchingers. “Willi” Buchinger, Haralds Vater, hat die Veranstaltung im Jahre 1989, also genau vor 26 Jahren, ins Leben gerufen. “Mein Vater war in einer sportlichen Hochform, hat Expeditionen gemacht, viele lange und anstrengende  Touren und wollte unbedingt auch in seiner Heimat etwas Derartiges ins Leben rufen” erzählt Harald. Am Traunstein, seinem Haus-und Lieblingsberg, habe er dann die Idee einer Umrundung des gesamten Sees gehabt. Die Frage ob das überhaupt zu schaffen sei, trieb den Sportler schließlich zur ersten Austragung. Und die Erfolgsgeschichte nahm seinen Lauf.

Jahr für Jahr gab es neue Teilnehmerrekorde, Wetterkapriolen, Hitzeschlachten, schnellere Zeiten und größere Emotionen. Von einem Wettkampf aber war man in den Anfangsjahren  noch weit entfernt. “Da war jeder froh, wenn er überhaupt ins Ziel kam” sagt Buchinger. Aus der Wanderung rund um den malerischen See wurde aber schnell ein rasanter Bewerb. Eine Entwicklung, die Buchinger gelassen sieht: “Es wäre blöd und unehrlich zu sagen, dass es hier nicht auch um Zeit geht. Das ist eine ganz natürliche Entwicklung” sagt er. Den olympischen Gedanken “Dabei sein ist alles” wolle er aber weiterhin an die vorderste Stelle rücken. “Es soll hier nie ein reiner Wettkampf entstehen. Jeder, der sich gewachsen fühlt, soll ohne Druck teilnehmen können. Das ist mir sehr wichtig” erklärt der Veranstalter und fügt hinzu: “Wenn alle eine Freude haben, dann bin auch ich glücklich”. Bevor Buchinger aber glücklich sein darf, gibt es eine Menge zu erledigen.

Die ehrenamtlichen Helfer , Foto: Philipp Freund

Seit er den von den Naturfreunden unterstützten Bergmarathon von Langzeit-Veranstalter Manfred Spitzbart übernommen hat, kümmert er sich mit seinem achtköpfigen Organisationsteam um sämtliche Angelegenheiten. Schon vor der heiß umkämpften Anmeldung gilt es Sponsoren aufzutreiben, mit Gemeinden und Behörden zu sprechen und auch mit den Grundstücksbesitzern zu diskutieren, durch deren Privatgründe, die Teilnehmer am 4. Juli flitzen. Begonnen wird damit bereits drei Wochen nach dem letzten Marathon. Intensiv wird es drei Monate vor der Veranstaltung.  130 helfende Hände stehen dem gebürtigen Pinsdorfer zur Verfügung. Ehrenamtlich, versteht sich. “Die Latte meines Vorgängers lag sehr hoch, aber ich glaube ich bin drübergekommen” sagt der 44-Jährige. Von der Stadt Gmunden erhält der Marathon seit jeher große Unterstützung. “Das Ambiente ist einfach etwas Besonderes. Von der Stadt mitten in die Berge und wieder zurück. So ein Erlebnis hast du nicht oft” kann Buchinger die Faszination am Bergmarathon verstehen. Selbst ist er bereits sechs Mal an den Start gegangen, aber eher als Wanderer, wie er sagt. Nun muss er 1200 Liter Energiegetränke, 500 Dosen Red Bull, 800 Dosen Cola, 2 Paletten Mineral, 1.000 Müsliriegel, 2.000 Magnesiumportionen, 16 Kartons Bananen und 500 Wurstsemmeln auf die verschiedensten Labestationen aufteilen. In Ebensee gibt es sogar frischgebackenen Kuchen.

Hauptsache: Spaß dabei! Foto: BM

Bevor um 03.00 Früh der Startschuss ertönt, muss Buchinger am Vorabend die Startnummernausgabe koordinieren und das Zelt im Zielbereich adequat gestalten. Dann darf sich der hauptberufliche Lokführer kurz ausruhen, bevor er um 02.00 Uhr Früh wieder am Rathausplatz eintrifft. Nachdem um 05.00 Uhr auch die Starter des Halbmarathons die Stadt verlassen, setzt sich Buchinger ins Auto und besucht seine Helfer bei den Labestationen. Mit dem Schiff setzt er schließlich nach Ebensee über, wo um 08.00 Uhr der Start für den zweiten Halbmarathon angesetzt ist. “Dann darf ich in Gmunden kurz
frühstücken und mit Kaffee nachhelfen” erzählt Buchinger und lacht. Der Stress ist schon beim Zuhören akut. Harald aber hat Spaß an der Organisation und freut sich, wenn die ersten Läufer gegen 10.30 Uhr ins Ziel kommen. “Die Freude in den Gesichtern ist für mich jedesmal wieder eine Erfüllung” sagt er. Dann muss der Organisator auch noch die zweite Strecke abfahren, bevor er um 15.00 Uhr wieder am Rathausplatz für Schwung sorgt.

Auf die Frage, warum er sich das alles antue, weiß Buchinger sofort eine Antwort. Seine Stimme wird zittrig und man merkt, dass es für ihn ein sehr emotionaler Moment ist: “Ich will die Arbeit meines Vaters fortführen. Der Papa hätte es so gewollt und ich will seine Idee und die Begeisterung weiterleben lassen. Für mich war es eine Herzensangelegenheit diesen wunderbaren Lauf zu übernehmen” erzählt Buchinger. Einen Moment wird er beim Marathon nie vergessen: “Wie ich am Traunstein bei der Hütte angekommen bin, haben’s gesagt, dass der Papa sich gefreut hätte, wenn er das noch erlebt hätt’. Das hat mir sehr viel bedeutet” sagt der engagierte Sportler. Seine Freizeit richtet Buchinger immer nach dem Marathon. Auch seine Freundin hilft tatkräftigt mit. Die Berge rund um den Traunsee bedeuten ihm sehr viel, auch weil er mit dem Traunstein aufgewachsen ist. “Ich richte meine sportlichen Aktivitäten ganz nach der Planung des Events. Ich geh auf die Hütten und frage, ob wir eh wieder laufen dürfen und geh die Wege ab, um Schäden zu begutachten” erzählt Buchinger.

Der Schirmherr und seine “Arena” rund um den Traunsee

 

“Schau, die Verrückten kommen”

Dass dieser Gewaltmarsch nicht überall verstanden wird, weiß der Veranstalter: “Auch ich hab immer gesagt, schau die Verrückten kommen wieder” gesteht Buchinger und fügt hinzu: “Dann war ich plötzlich selbst einer”. Bei seinen Teilnahmen habe er viele interessante Persönlichkeiten und Lebensgeschichten kennengelernt. Verrückt seien sie gewesen, manchmal ruhig, manchmal aufbrausend, aber immer fair. “Ich weiß es klingt seltsam für eine derart große Veranstaltung, aber wir sind hier alle eine Famile geblieben” erklärt der Pinsdorfer. Die Teilnehmer dürfe man sich nicht als verrückte Sonderlinge vorstellen, sondern als lebensfrohe Menschen, die die Herausforderung suchen.  Viele Sportler sind Wiederholungstäter, bis zu 23 mal haben sie schon teilgenommen. Dass nicht jeder einen Startplatz bekommen kann, tut Buchinger leid: “Am Liebsten würde ich alle anmelden, aber die Qualität soll hoch bleiben und die Sicherheit muss gewährleisten werden” erklärt der Veranstalter. Manche Aufregung nach der Anmeldung könne er verstehen, doch “niemand wird bevorzugt, alle haben die gleichen Chancen”. Passiert sei in den 26 Jahren noch nie etwas Grobes, auch weil die Teilnehmer gut aufpassen. Knochenbrüche und Kreislaufprobleme habe es aber schon gegeben. Auch das Wetter hat es nicht immer gut gemeint: “Einmal hatten wir 26 Grad um 03.00 Früh, ein anderes Mal hat’s im Juli am Feuerkogel geschneit” sagt Harald. Abgesagt wurde die Veranstaltung erst ein einziges Mal.

Abstieg vom Spitzelstein, Foto: Bergmarathon

Für den diesjährigen Bewerb hat der Organisationschef keinen Favoriten: “Auf 70 Kilometern kann soviel passieren, da wage ich keine Prognose” sagt er. Dass nichts Unsportliches passiert, dafür hat Buchinger aber gesorgt. Drei Kontrollstellen wurden verschoben um mögliche Abkürzungen zu unterbinden. Für ihn sei der Anstieg zum Spitzlstein der Knackpunkt. “Wer da gut drüber kommt, hat einen mentalen Vorteil” erklärt der Traunviertler. Einen Tipp hat er für die, die sich zum ersten Mal am Bergmarathon versuchen: “Auch wenn der Ehrgeiz groß ist, den ersten Marathon sollte man so laufen, dass es noch Spaß macht. Erst dann kommt man zum wahren Erlebnis”. Für jeden Teilnehmer gibt es vom Hauptsponsor Dynafit ein Stirnband und das berühmte Finisher-Shirt. Zusätzlich gibt es im Zielsackerl ein paar Kleinigkeiten um den Erfolg noch zu versüßen.

Der Wind hat mittlerweile aufgefrischt und auch Haralds Handy hat es dem lauten Tosen gleichgetan. Er steht zwar schon auf festen Beinen, der Bergmarathon, doch will man ihm noch den letzten Schliff verleihen. “Es gibt immer Verbesserungsmöglichkeiten” schmunzelt Buchinger. Jeder, wirklich jeder der ins Ziel läuft, solle sich als Sieger fühlen. Das sei dem Veranstalter das Allerwichtigste. Von Schwach oder Stark wolle er nichts wissen. Um 22.00 Uhr , lange nach der Siegerehrung, darf sich dann auch Buchinger langsam der After-Party hingeben. “Wenn ich dann von den Leuten höre, dass es ihnen gefallen hat und dass sie wieder kommen, dann ist das der allergrößte Dank” erzählt Harald.

Der geschäftige Organisator verabschiedet sich mit den Worten: “Ich muss aufpassen, irgendetwas Unvorhergesehenes passsiert immer” und lacht. Während er den Gmundener Rathausplatz und damit die imaginäre Ziellinie überquert, wird klar, wer die ersten Sieger des 27. Bergmarathons rund um den Traunsee sind: Harald Buchinger und seine freiwilligen Helfer.

 

27. BERGMARATHON RUND UM DEN TRAUNSEE

 

  • 04. Juli 2015, Start 03.00 Uhr, Gmunden Rathausplatz
  • 70 Kilometer, 4.500 Höhenmeter
  • 555 Starter insgesamt
  • Powered by Dynafit
  • Sieger 2014: Dißlbacher Josef
  • Mehr Informationen unter www.bergmarathon.at

Auch wir werden uns dem Traunsee-Bergmarathon stellen. Einen ausführlichen Erlebnisbericht finden Sie ab 05. Juli 2015 auf  www.bergaufundbergab.at