Die Männer am Berg, die Frauen im Tal. Oben die Freude und unten die Qual.

Oft verwendet, oft widerlegt. Längst sind schroffe Felsen und harte Stahlseile auch unter den Fingern der Frauen. Bergsteigen hat weder Geschlecht, noch Grenzen.

Michaela Mandlbauer (25), Volksschullehrerin aus Micheldorf, ist so eine Frau mit Grip(s).

Gabriel Egger stieg mit ihr auf den Bosruck.

Der Weg ist schmal und unübersichtlich. Die Steigspuren liegen unter einer dicken Schneedecke verborgen. Links fällt die Nordwand des Bosrucks hunderte Meter bis zum Autobahntunnel ab. Jeder Schritt muss sitzen. Das Profil der Berglaufschuhe versinkt krächzend im Bruchharsch. Wenige Meter danach lässt das Eis keinen Abdruck zu. Der strahlende Sonnenschein wird von den Wandfluchten abgeschirmt. Das Nebelmeer im Tal ähnelt Zuckerwatte. Hier oben ist es für kurze Zeit dunkel und kalt. Das lässt den Dezembertag doch noch authentisch wirken. Die letzte Querung, ein Gefühl wie auf hoher See. Jetzt nur nicht vor dem Bergpartner blamieren. Der steile Aufschwung zum Gipfel, die klammen Finger greifen nach dem kalten, nassen Fels. Nur noch den Tritten folgen. Das alte, abgenutzte Holzkreuz glänzt in der Sonne. 1992 Meter über der Adria, Temperaturen wie an ihren Stränden.

Der Vorsteiger dreht sich um. Ein lauer Wind pfeift durchs lange, braune Haar. Ein Strahlen von den weißen Zähnen bis zu den lila Schuhen.“War ja gar nicht so schlimm, oder?”, sagt Michaela Mandlbauer. Seelenruhig lässt sie sich auf das winzige Plateau fallen. Lieber nicht widersprechen, lieber den mutigen Mann spielen. “Wir könnten ja  dann über den Nordgrat absteigen, schaut halbwegs gut aus”. Viel Schnee, viel Eis, viel Hemmung. “Klar” sagen, “Bitte nicht “ denken. Doch gerade bei der 25-jährigen Micheldorferin müsste man sich für nichts schämen. Jeder Moment im Gebirge ist für sie wertvoll. Egal ob hoch oder Hügel, ob gefährlich oder Graswanderung. Michaela wurden die Berge in die Wiege gelegt. Oder besser: Sie wurde mit der Wiege in die Berge gelegt.

Dezember auf der Nordseite des Bosrucks

Papa Peter hat seine Tochter schon in der Babykraxe auf die heimischen Gipfel mitgenommen. Dabei musste der Lehrer und ehrenamtliche Kirchdorfer Bergretter schwer tragen. Nicht, weil die kleine Michaela gut genährt war, sondern weil er gleich mit einer ganzen Windel-Wandergruppe hoch hinausstieg. Auch die Schwestern Barbara und Christina krabbelten als Knirpse über den Dingen.

 

Die Mandlbauer-Schwestern in jungen…





“Ich hab’ schon als Kind  lieber die gute Bergluft eingeatmet”, erzählt Michaela. Seitdem sie auf eigenen Füßen stehen konnte, war sie Gipfelstürmerin. Auch, weil die Jugendgruppe des Kirchdorfer Alpenvereins diesen Namen trug. Gemeinsam erkundeten, erwanderten und erliefen sie die Gipfel der Umgebung. Darüber führte das junge Mäderl penibel Buch. Vier vollgeschriebene Gipfelbücher liegen bei Michaela zu Hause im Schrank. Eine heitere Mischung aus Freundschaftsbuch und Tagebuch. Hauptakteure: die Berge in der Pyhrn-Priel-Region.

 

….und in älteren Jahren. Drei Engel für Peter: Barbara, Christina, Michaela (v.l.n.r)

Was für andere Volksschüler der Zirkus war, war für die aufgeweckte “Michi” die Kremsmauer. Wenn sie heute aus dem Fenster ihrer Wohnung sieht, blickt sie auf die schroffe Nordseite des Berges. Beim großen Kreuz packte sie schon mit Schuhgröße 30 die Gipfeljause aus.“Ohne den Papa hätt’ ich mich sicher nicht so schnell zurechtgefunden, aber gewollt hab’ ich es immer selbst“, sagt sie. Peter Mandlbauer nahm sie ans Seil, brachte ihr das Klettern bei und plante die Familienurlaube, die Michaela schon mit sieben Jahren nach Südtirol brachten. Der Große Priel stand da schon längst im Tourenbuch.

 

Staatsmeisterin auf Tuchfühlung mit der Weltspitze

Die Sonne scheint in die Südwestwand des nahen Pyhrgas. Die Dohlen haben zum Kampf um Futter gekräht. Für die Stückchen vom Müsliriegel wird heftigst in die Flügel geschlagen.
Mittlerweile hat sich Michaela mit dem Rückweg über die Aufstiegsroute angefreundet. Ganz aufgeben möchte sie heute aber noch nicht. Ein Sonnenuntergang wäre schön – freilich von einem anderen Gipfel. Die Natur gebe  ihr alles, was sie zur Bewältigung des Alltags braucht. Oft sei sie dabei alleine unterwegs. Als Volksschullehrerin habe sie zwar  Ferien, aber auch gänzlich andere Arbeitszeiten als potentielle Bergpartner.

  “Ich finde nicht, dass man unbedingt immer die selben Interessen haben muss für eine ausgewogene Partnerschaft, aber diese Momente zu teilen, schweißt einen ganz sicher eng zusammen”. Vorstellungen von der Zukunft hat die Micheldorferin schon ziemlich konkrete. Sie wünscht sich eine kleine Familie mit Kindern und ein Haus, möglichst im Grünen. Im Fels traut sie sich dann doch nicht sagen. “Kinder sind Herausforderung und Bereicherung zugleich. Das merke ich in der Schule jeden Tag aufs Neue”. Dass auf der Tafel oft Bergspitzen aufgemalt sind, freut die Sportlerin. Die Schüler wissen genau, was Frau Lehrerin in ihrer Freizeit macht – auch weil sie selbst oft zu kleinen Wanderungen in der Natur verdonnert werden. “Mittlerweile gefällt es ihnen”, lacht die Pädagogin.

Die eigene Schulzeit im Gymnasium in Kirchdorf begann mit einer Drei. Nicht im Zeugnis, sondern auf der Wanderkarte. Mit zehn Jahren stand Michaela auf dem 3.287 Meter hohen Hasenöhrl in den Ortler- Alpen und war in Sachen Erfahrung schon ein alter Hase. Die Erinnerung daran ist noch nicht verblasst: “Es war für mich ein unglaublich aufregendes Gefühl. Irgendwie hab’ ich es als Ehre empfunden, das alles live zu erleben”.

Michaela wurde nicht nur älter, sie wurde auch schneller. Bei Ortsläufen lachte die Sportlerin mit dem großen Laufschuhrepertoire immer öfter vom Siegertreppchen. Mit zwölf Jahren hat  der Autor dieser Zeilen seine Eltern zu einem neuerlichen Abo der Micky-Maus-Hefte überredet. Michi lief in diesem Alter 35 Kilometer von Gmunden nach Ebensee. Über den Grünberg, den Traunstein und den Spitzelstein.
Auf eine einzelne Sache wollte sie sich aber nie beschränken.Im Reichraminger Hintergebirge unterstrich Michaela ihre Vielseitigkeit mit einem Sieg bei einem Mountainbike-Rennen.

 

Am Mountainbike….

 

..und auch zu Fuß erfolgreich

Ihr größter Erfolg? “Ganz sicher der Staatsmeistertitel im Berglauf. Ich hab’ soviel Spaß dabei gehabt. Das war mir immer wichtig. Sich zu etwas zwingen zu müssen, kann nie Sinn der Sache sein”, sagt sie.  Die Junioren-Weltmeisterschaft in der Türkei war wie die Europameisterschaft in Tirol eine “wunderschöne” Draufgabe.

Mit 18 Jahren entdeckte Michaela auch das Rennrad für sich. Seither sind der drahtige Esel und die flinke Micheldorferin ziemlich beste Freunde. Ihr Weg führt sie durch ganz Österreich – und auch auf die Podeste des Landes. Später entpuppte sie sich als erfolgreiche Kombiniererin und krönte sich auch im Duathlon zur Landesmeisterin.

Durchhänger gab es bei den Mandlbauers kaum. Kirchdorfer Nächte sind zwar lang, der Kater aber weilte nur kurz. Die Ausbildung auf der Linzer Pädak (Pädagogische Hochschule) wurde mit Läufen auf den Lichtenberg (927m) und den Pöstlingberg sportlich garniert.

Der Wechsel von der Landeshauptstadt zurück ins Tal unter ihren Heimatbergen war ein wichtiger Schritt. “Die Natur,aber vor allem die Berge geben mir wahnsinnig viel Kraft. Das hab’ ich schon gemerkt, als ich wieder hierher gezogen bin”. 

Und dann ist da natürlich noch das Rennrad

Der Nebel hat sich gelichtet, der Sonntag zeigt sich von seiner friedlichen Seite. Zurück beim Parkplatz am Pyhrnpass, lässt sich Michaela nicht mehr von ihrer Idee abbringen. Das Auto wird nach Rosenau bei Windischgarsten manövriert. Sie fährt- warum auch nicht? Von Klischees hält das Energiebündel nicht viel: “Natürlich fühlt man sich in Begleitung im Gebirge sicherer. Aber da will ich zwischen Mann und Frau gar nicht unterscheiden.” Frauen seien vielleicht ein bisschen vor- dafür aber auch umsichtiger. “Bergsteigen hat nicht nur mit gefährlichen Unternehmungen zu tun, da geht es vor allem um das Zusammenspiel von Geist und Körper. Ein maskuliner Sport ist das ganz sicher nicht”.  Ihre Bergpartner seien zwar vorrangig Männer. “Aber nur, weil sich das eben so ergibt.” Was eigentlich, wenn die Forststraßen verschneit und die Bergtrails vereist sind? Dann steigt die 25-Jährige einfach auf die Skier um – und das ziemlich erfolgreich. Erst vergangene Woche konnte sie den Bosruckhüttenlauf in Spital am Pyhrn für sich entscheiden.

Wintersport ist ein ganz großes Thema 

 

Alpenüberquerung und Mont Blanc

Die Sonne steht schon tief, als wir am Gipfel des Wasserklotz ankommen. Der Himmel ist klar. Die Nadeln der Bäume glänzen im Licht. Es sind jene Momente, die dafür verantwortlich sind, dass sich Michaela nicht überwinden muss, um in die Berge zu gehen. Das Beiseiteziehen des Vorhangs reicht.
Auch für das heurige Jahr hat sich die Volksschullehrern viel vorgenommen. Vom Mont Blanc, dem höchsten Berg der Alpen, möchte sie lachen. Fremde Welten und neue Freunde kennenlernen. Die Alpen werden auch im Juli zum kräfteraubenden Spielplatz. Mit dem Mountainbike geht es im Zweier-Team beim “Transalp 2016” 520 Kilometer und 17.750 Höhenmeter von Imst (Tirol) nach Arco (Italien).
Zeit für die kleinen Hügel soll auch bleiben. “Es ist einfach schön, wenn man mit den Bergen in der Heimat eng verbunden ist. Das ist so, als hätt’ ich zwei Wohnungen”.
Die Familie ist einer der wichtigsten Eckpfeiler in ihrem jungen Leben. Ihre Schwestern sieht sie wegen der unterschiedlichen Berufswege nicht mehr so oft. Ähnlich sind sie sich aber weiterhin, denn das Leben bleibt in Bewegung: Barbara ist erfolgreiche Physiotherapeutin in Kirchdorf, Christina beendet nächstes Jahr ihr Lehramts-Studium in Wien. Sie wird, wie kann es anders sein, Sport – und Englischlehrerin.
Bei den Großeltern in Steyrling fühlt sich die ganze Familie geborgen. Dort, wo der Opa noch immer seine Streifzüge durch die Voralpen unternimmt. Wo dem kleinen Ebenwieselstein durch die Mandlbauers ein Kreuz verpasst wurde und wo ortskundige Wanderer am “Mandlbauer-Stoa” vorbeimarschieren und ihren müden Beinen am “Michaela-Bankerl” eine Rast gönnen.
Die Sonne verabschiedet sich aus der Pyhrn-Priel-Region
Eine klare Nacht ist über das Windischgarstener-Becken hereingebrochen. Die Klimaanlage wärmt die zitternden Hände. “Ich hoff’ morgen Nachmittag gibt es noch ein paar sonnige Stunden. Ich will unbedingt raus”, sagt Michaela. Von Müdigkeit keine Spur. Die Frauen-Power einer Powerfrau.


Die Bergwelt wäre ohne Frauen nicht nur karger,  unwirtlicher und langweiliger, sondern auch ein Stück weit ärmer. Einseitigkeit ist nie gut, Einfältigkeit und Überheblichkeit auch nicht. Es braucht keinen Weltfrauentag um zu erkennen, dass wir ohne ihnen ganz schön arm dran wären. Der 9. März tut es auch.