Foto: Jürgen Manfred Pröll

Er kam als Gast und blieb als Freund. Max Verwagner hat auf dem Traunstein Wurzeln geschlagen.

Auf der Gmundner Hütte bewirtet er müde Bergsteiger. Mit Herz, Humor und einem freundlichen Lächeln.

Doch der 39-Jährige stand nicht immer über den Dingen.

Ein Porträt von Gabriel Egger 






Noch ein langer Schritt über den Abgrund, dann ist es geschafft. Der Berg wirft keinen Schatten mehr, die Lichter der Stadt Gmunden schimmern über den klaren See. Die abweisende Ostseite des Traunsteins wirkt in der anbrechenden Dunkelheit noch unnahbarer. Das warme Orange des Horizonts beruhigt, das geschäftige Treiben im Tal fliegt mit jedem Meter aufwärts davon, bis es in der Nacht verschwindet. Der Berg spielt seine Melodie.

Der Sonnenuntergang ist ein Ende, er schließt ab. Nicht nur mit dem Tag, sondern auch mit der geplagten Seele. Oben ist sie frei von allem. Nur nicht von der Sehnsucht.

 

Sonnenuntergang auf dem Traunstein

Der bärtige Mann mit der Wollhaube, der den Hüttenabend schuftend im Technikraum verbringt, kennt dieses Gefühl. Es hat ihn 14 Jahre lang begleitet. “Ich gebe dir nicht die Hand, ich rieche wie ein Schweindl”, sagt er. Nicht ohne zu lächeln, wie er es immer tut. Wer mit dem Urintank hantiert und danach noch lachen kann, muss ein fröhlicher Mensch sein.

Max Verwagner arbeitet seit zwei Jahren von Mai bis Oktober in der Gmundner Hütte in 1666 Meter Seehöhe auf dem Traunstein. Nach Eigendefinition als “Mädchen für alles”. Für viele Besucher ist er aber viel mehr als das. Er ist ein Freund geworden. Bei Sonnenschein, wenn der Regen gegen die Schindeln prasselt ,und wenn das Bierglas mal wieder leer ist.

In der warmen Stube wird gerade gewischt. Ein Pärchen nippt verliebt an einem Glas,  zwei ältere Herren tauschen Geschichten von damals aus. “Momentan ist es stressig, der Gerald ist auf Urlaub. Chef sein ist ganz schön hart”, erzählt Max von den vergangenen Tagen. Hüttenwirt Gerald Auinger  war es auch, der den gebürtigen Ischler vor mehr als einem Jahrzehnt auf dem Traunstein begrüßte.

 

Hüttenwirt sucht Musikant

Damals war er ein Gast, wie jeder andere. Abgemüht, aber glücklich es geschafft zu haben. “Du hast mich gesucht, jetzt bin ich da”, begrüßte er den verdutzten Wirt. Der hatte mittels Aushang nach einem Musikanten Ausschau gehalten. Es dauerte nicht lange und die Töne der Ziehharmonika erhellten die Gemüter der abgekämpften Bergsteiger. “Wir haben den ganzen Vormittag gespielt und gesungen”, erinnert sich Max an seine ersten Erfahrungen mit dem “Traunstoa-Hoamweh”.  Denn das spürte er, als er am Nachmittag zurück in den Schichtbetrieb nach Bad Goisern musste. Nicht ohne zu versprechen, dass er bald wieder kommen würde. Doch so schnell ging es nicht.

Max (r.) hat auf dem Traunstein schnell Freunde gefunden. Foto: Philipp Freund



Wir sitzen mittlerweile in der Küche der Gmundner Hütte, umgeben von Erinnerungsbildern, leiser Musik aus den kleinen Boxen und einem strahlenden Goiserer, der eigentlich keiner ist. “Ich trau es mir gar nicht zu sagen, aber ich bin ein Zugereister”. Wenn Max von seinem Arbeitsleben erzählt, ist es schwer den Überblick zu behalten. Ein bunter Vogel war er bereits bevor er sein Nestchen auf dem Traunstein machte. Aufgewachsen in Sulzbach bei Bad Ischl, begann er in Volksschulzeiten mit dem Musizieren ,in Rettenbach trug er sich in die Schützenliste beim Armbrustschießen ein. Nach oben hat es ihn immer schon gezogen, das zeigte sich besonders bei seinem ersten Berufswunsch. “Ich wollte immer Dachdecker werden”, erzählt er und grinst.

Ganz normal sei seine Jugend gelaufen, Partynächte aber haben ihn nie sonderlich interessiert. Da saß er lieber bei der Oma, die mittlerweile ihren 94. Geburtstag gefeiert hat. “Ich mag es, wenn Leute etwas zu erzählen haben. Meiner Oma höre ich immer noch stundenlang zu, ihre Geschichten faszinieren mich”. Auf dem Traunstein bekommt der gelernte Mechaniker auch einiges zu hören. Von Krankheiten, Beziehungsdramen und dem Seitensprung von gestern Nacht. “Zuhören ist auf einer Hütte auf gewisse Art dein Job”, erklärt Max.

Lange rotblonde Haare, zusammengebunden zu einem dicken Zopf, ein ebenso langer Ziegenbart, Tätowierungen und einen Ring im linken Ohr. Wild sieht er aus, der Max. Dabei ist gerade Gutmütigkeit sein großes Laster. “Der Chef weiß, wann es genug ist. Ich tu mir da noch sehr schwer, jemanden zurechtzuweisen, wenn es an der Zeit ist”, gesteht er. Seine beste Eigenschaft? “Ich denke meine Vielseitigkeit”

 

Harte Schale, weicher Kern:  Max auf der Terasse der Hütte, Foto: Jürgen Manfred Pröll

 

Eine Nacht, die sein Leben veränderte

Die hat er auch nach Ende seiner Mechaniker-Lehre unter Beweis gestellt. Begonnen im Verkaufslager einer Brauerei, fand er sich plötzlich als Holzknecht im Wienerwald wieder. Allerdings nur drei Tage. “Das war dann doch nicht das, wonach ich gesucht habe”. In einer Kohleproduktionsfirma in seinem auserwählten Heimatort Bad Goisern wurde Max schließlich fündig. 15 Jahre lang schuftete er im Schichtbetrieb, begleitet von der Monotonie. Bis er eines Tages ein Kaffeehaus betrat. “Der Bäcker hat mich gefragt, ob ich nicht für ihn ausliefern möchte”. Max wollte. Noch heute weiß er genau, welche Familie welches Brot bestellt hat. Gefallen habe es ihm, bis zu jenem Tag im März, der sein Leben veränderte.
04.00 Früh in Bad Goisern. Alles schläft- fast alles. Als Max die Backwaren aus der Filiale holen will, huscht in der Auslage des benachbarten Sportgeschäfts ein Schatten vorbei. Der Goiserer bleibt wie angewurzelt stehen. Bei genauem Hinsehen gefriert ihm das Blut in den Adern. Mitten im Geschäft steht jemand. Schwarze Hose, schwarze Jacke, schwarze Sturmhaube. Erst jetzt erkennt Max die Plastiksäcke vor der Eingangstüre. Darin Waren im Wert von 30.000 Euro. Er denkt keine Sekunde nach, brüllt aus vollem Halse und läuft dem Einbrecher entgegen. Was er noch nicht weiß: Die Diebe sind zu zweit. Eine wilde Verfolgungsjagd beginnt. Über Straßen, Felder und Zäune hetzt Max den Eindringlingen hinterher. Immer wenn er sie fast hat, nimmt er wieder Abstand. “Du weißt ja nicht, ob die nicht doch eine Waffe dabei haben”. Dann zwingt ihn der schwere Atem zur Aufgabe. Er zittert am ganzen Leib. “Es war wie ein Horrorfilm, den du selbst durchlebst”.
Monatelang begleiten ihn diese Erlebnisse- bis heute. Vergangenes Jahr hütete Max einen Tag alleine die Gmundner Hütte. Es war nebelig und regnete, kein Tag also für einen Bergausflug. Max schrubbte gerade die Küche, war in Gedanken bei der Arbeit. Als er vom Boden aufsah, stand plötzlich ein junger Mann vor ihm. Der Schrecken fuhr ihm in die Glieder. “Das war ein so prägendes Erlebnis, dass du dich auch bei solch alltäglichen Situationen schreckst”. 
 
 

Endlich in der Höhe

In der Zeit bei der Bäckerei stand Max immer öfter auf dem Traunstein. Probleme, Sorgen und Kummer ließ er bei Gesprächen in der Gmunder Hütte hinter sich, verzwickte Situationen lösten sich auf, neue Lebensgeister erwachten. Der Berg war zu seinem Rückzugsort geworden, zu seiner Energiequelle. Mit dem Hüttenwirt entstand eine innige Freundschaft. “Wenn er einen Mitarbeiter gesucht hätte, ich hätte es jederzeit gemacht”, erinnert sich Max. Er wollte sich verändern, seinem Drang nach der Natur auch im Arbeitsleben nachgeben. Die Chance dazu gab ihm Wolfang Peböck. Der Hüttenwirt der Dümler Hütte im Toten Gebirge stellte den arbeitsfreudigen Goiserer ein- und er blühte auf.
Max Verwagner (m.) auf der Dümler Hütte

“Ich bin meinen Freunden auf der Dümler Hütte unendlich dankbar. Dort habe ich gelernt, was es heißt, auf einer Hütte zu arbeiten”, erzählt Max. Und was heißt das? Arbeitstage, die 16 Stunden dauern, kaum Pausen, Mittagessen um 22.00 Uhr und mit zwei offenen Ohren durch die Gasträume zu wandeln. Und trotzdem: Max hatte endlich das gefunden, wonach er immer gesucht hatte. Ein Leben in der Höhe, auch wenn er kein Dachdecker wurde. “Das ganz normale Leben wollte ich nicht mehr. Ich habe gewusst, dass es sich lohnt darauf zu warten”. 


Einer der schönsten Plätze, an denen Max Verwagner je gegessen hat, war wohl die McDonalds Filiale in Gmunden. Nicht weil er Junk-Food liebt, sondern weil ihm Gerald Auinger dort einen Job auf der Gmundner Hütte anbot. Das war 2014. Seitdem hat sich viel verändert. Nicht nur im Leben des Goiserers, sondern auch auf dem Berg. Mit dem 39-Jährigen weht auf dem Traunstein frischer Wind. Die Stammgäste haben ihn ins Herz geschlossen, viele kommen nur wegen eines kurzen Plausches mit dem “Ziegenbart” vorbei.

Und am Ende steht immer der Traunstein

Für den 39-Jährigen ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Arbeiten am Lieblingsplatz, das wünschen sich viele. Die Gefühle, die er mit dem Berg verbindet, seien jetzt noch intensiver. Viele schöne Momente habe er bereits erlebt. Wie an jenem Sommertag, an dem er einem Mann, der in der Dunkelheit auf dem Hernlersteig nicht mehr weiter konnte, den Weg leuchtete, ihn sicher zur Hütte geleitete. Ein einfaches Danke, dass sei für ihn der größte Lohn. Großartige Menschen habe er kennengelernt. Arme, reiche, dicke, dünne, Bankenchefs und Aussteiger. Hier oben sind sie alle gleich. Und so will er sie auch behandeln. Nur dass die Gmunnder Hütte seit Neuestem eine Pokemonstation ist, stößt ihm sauer auf . “Bei uns sollen die Leute reden und nicht ins Kastl schauen”.

Max unterbricht das Gespräch, er müsse noch einmal den morgigen Tagesablauf durchgehen. “Wenn du Chef bist, dann denkst du auch noch im Bett über die Arbeit nach”, erzählt der Stellvertreter. Viel Zeit zum Quatschen bleibe da nicht mehr, als Mitarbeiter habe er da eine befreitere Rolle. “Wie der Gerald das macht, das ist schon sehr toll”. Gemeinsam mit ihm wird Max nach der Saison einen Monat nach Nepal reisen, den Kopf freibekommen, den Traunstein hinter sich lassen.  Obwohl er das eigentlich gar nicht müsste. “Ich weiß das klingt komisch, aber ich freue mich sofort, wenn ich von Goisern mit dem Auto herfahre und den Berg zum ersten Mal sehe”. Auch nach sechs Monaten auf dessen Haupt. Sogar an seinen zwei freien Tagen, die er pro Woche hat, wurde Verwagner bereits auf dem Traunstein gesichtet. “Die Oma sagt dann immer, dass ich einen Vogel habe, wenn ich frei habe und trotzdem zur Arbeit gehe”, erzählt der 39-Jährige. Doch egal wie er es dreht und wendet, am Ende steht immer der Traunstein.

Und wenn Max sich abends mit der Ziehharmonika auf die Terrasse setzt, seinen Blick über den glühenden Horizont schweifen lässt und beginnt zu spielen, dann meint man sie wieder zu hören. Die Melodie des Traunsteins.