Pädagogik und Natur im Einklang

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Wandern als Kindheitstrauma

“Kommt Kinder, packt eure Sachen, wir gehen wandern!”. Nicht weniger schlimm als ein Zahnarztbesuch mutet vielen Kindern ein Ausflug mit der Familie in die Berge zu. Großmutters großer Strohhut, der ihre ohnehin schon alte Haut vor den Sonnenstrahlen schützen soll. Großvaters Flachmann, der ihn wiederum vor Großmutters langen Monologen über die Zeit als Otto Wagner noch von den Geldscheinen lachte, schützen soll. Des Vaters schlechter Umgang mit Himmelsrichtungen, der ihn vom warmen Norden sprechen lässt. Und die Mutter, die sich trotz eigener Unlust zu einem lächelnden “Mein Bub, ist das nicht schön?” quält und dabei den Vater mit einem Blick ansieht, der auch die sommerlichen Almwiesen noch mit einer dünnen Eisschicht zu überziehen vermag.
Ein Wanderurlaub kann für Kinder schnell zu einer schlechten Erinnerung werden. Was den jungen Menschen eigentlich die Schönheit und Ungezwungenheit der Natur präsentieren sollte, wird oft zu einer lebenslangen Abneigung gegen jegliche Erhebung. Eine schlechte Erfahrung als Kind darf nicht unterschätzt werden. Ein bellender Hund oder ein böser, großer Affe in der Geisterbahn sorgen schnell für Assoziationen, die auch in der Jugend und oft auch im Erwachsenenalter noch beständig sind. So kann auch ein viel zu langer Anstieg, eine unerbittlich heiße Sonne oder eine missmutige Stimmung schnell für ein Trauma im Bereich der sportlichen Bewegung in der alpinen Zone sorgen.

Tiere, Seen und Sonnenschein

Mein erster Ausflug mit der Familie führte mich aufs Albert Appel Haus im Toten Gebirge. Ich war sieben Jahre alt, lästig und ein Energiebündel. Also ungefähr so wie heute, nur jünger. Körperlich jünger. Meine Zwillingsschwester, mit ähnlichen Charaktereigenschaften, und die Söhne eines Cousins meiner Mutter, die noch viel konsequenter waren wenn es um die vollständige Zersägung der erwachsenen Nerven ging, waren ebenfalls mehr oder weniger bereit ihre erste Bergtour zu absolvieren. Vom malerischen Offensee starteten wir in einen wunderbaren Tag. Mehrere Stunden waren hier angeschrieben. Meine Mutter war davon weniger begeistert. Ihr Cousin hatte die Hütte für die Übernachtung ausgesucht und war der festen Überzeugung auch die gerade den Windeln entfleuchten Wonneproppen nicht zu überfordern.
Mein Vater, der mit einem riesigen Rucksack und sämtlichen Utensilien, die wir für die beiden Tage brauchten, ausgestattet war, trug sich quasi selbst auf dem Rücken. So konnte sich die seltsam anmutende Kolonne in Bewegung setzen. Über sechs Stunden später sollte sie am Appel Haus ankommen. Doch, meine Eltern hatten trotz der etwas überzogenen Gehzeit doch an eines gedacht: An Abwechslung. Wir kamen an Herden von Kühen vorbei, die 1997 noch nicht auf ein Duell mit den Menschen aus waren. Fröhlich über die neue Bekanntschaft mit den riesigen Wiederkäuern vergaßen wir auch schon wieder die Anstrengung für unsere kleinen Füße. Als sie sich wieder lautstark bemerkbar machte, war auch schon die nächste Destination erreicht, die für strahlende Kinderaugen sorgte. Der herrlich gelegene Wildensee mit der steil abfallenden Wand des Rinnerkogels und der klaren Oberfläche wusste schon im Kindesalter schwer zu begeistern. Begleitet wurden wir von angenehmen Temperaturen und strahlendem Sonnenschein, so dass auch die Umgebung gut auf uns wirken konnte.
Das Albert-Appel Haus, das Juwel des Toten Gebirges, eingebettet zwischen saftigen Wiesen und sanfmütigen Bergflanken war zwar völlig ausgebucht, doch dennoch gab es noch warme Mahlzeiten und einen Platz im Bettchen neben Papa und Mama. Mein Vater sorgte dann auch noch mit einem Gratis-Konzert für mehr Platz und so brach auch der nächste Morgen ohne großen Kummer an. Noch heute erinnere ich mich gerne an die Stunden im Gebirge.

Wenn meine Eltern heute davon sprechen, ist ihnen nur eines in Erinnerung; Die aufgeweckten, freudigen Kinder, die es sich ohne Jammerei zwischen den Bergkiefern und der ein oder anderen Milchkuh gemütlich machten.

Der Geist des Alters über dem Bild im Toten Gebirge 1997

Formt die Natur den Charakter?

Kinder sind oft der Sonnenschein unseres Lebens: Immer gut gelaunt, voller Tatendrang und neugierig auf das, was ihnen die große unentdecke Welt noch zu bieten hat. Aber sie sind vor allem eines: Angewiesen auf die Menschen, die sie lieben und durchs Leben leiten. Dabei ist es wichtig ihnen keine Leine anzulegen.   Kinder müssen sich selbst und ihre Umwelt entdecken dürfen. Sie müssen fallen und wieder aufstehen dürfen ohne den erhobenen Zeigefinger im Rücken zu spüren.Vielleicht können sie diese Entdeckungen auch  mit einer Jumbopackung Kelly’s Snips und zwei Litern Limonade machen während sie quengelnd auf eine neue Folge der Teletubbies warten um zu sehen ob Tinky-Winky heute nicht doch früher ins Bett geht als Dipsy. Vielleicht muss ihnen aber auch schon in den Kinderschuhen gezeigt werden, dass es eine Welt fernab von Playstation und Smartphones gibt um zumindest die Möglichkeit zu haben einen Baum lieber auf der blühenden Almwiese als auf der Animal Farm am neuen Ipad zu betrachten. Diese Möglichkeit hatte auch ich- und habe mich für die virtuelle Welt entschieden. Vorerst.
Eines aber ist , mittlerweile sogar wissenschaftlich, bewiesen: Wir brauchen die Natur. Wir stärken unser Immunsystem, holen uns neue Kraft für den oft so hektischen Alltag und verändern völlig unbewusst unsere Sicht auf alle möglichen Dinge, die das Leben betreffen.  Landschaften spiegeln Wünsche und Stimmungen wider. Wir suchen überall nach neuen Horizonten. Sei es der endlos scheinende Blick übers Meer und die Brise, die uns dabei umweht und  uns zumindest kurzzeitig von allen Sorgen und Ängsten zu heilen scheint. Oder ist es der Blick von einem Gipfel über die nächste Bergkette hinaus, der in uns die Neugier weckt, was sich wohl dahinter verbergen mag. Diese offene uneingeschränkte Neugier, wie wir sie eben nur aus Kindestagen kennen.  Geben wir den Kindern doch die Chance ihre eigenen Grenzen selbst zu entdecken, wie wir Bergsteiger es auch heute Jahr für Jahr, Monat für Monat, Tag für Tag machen. Sie haben später genug Zeit sich in die vorherrschende Gesellschaftsstruktur einzuordnen.
Der Berg ist nur eine von vielen Möglichkeiten, die Eltern wahrnehmen können um ihren Kindern ein Stück Freiheit zu schenken. Ein Erlebnis am Berg mit all den Emotionen, die es mit sich bringt, kann einem jungen Menschen schon früh zeigen, was unser Planet nicht alles zu bieten hätte, würden wir ihm doch die Chance dazu geben.

“Ein Kind, das wir ermutigen, lernt Selbstvertrauen. Ein Kind, dem wir mit Toleranz begegnen, lernt Offenheit. Ein Kind, das Aufrichtigkeit erlebt, lernt Achtung. Ein Kind, dem wir Zuneigung schenken, lernt Freundschaft. Ein Kind, dem wir Geborgenheit geben, lernt Vertrauen. Ein Kind, das geliebt und umarmt wird, lernt, zu lieben und zu umarmen und die Liebe dieser Welt zu empfangen.”


17 Jahre später: Familienausflug auf den Brunnkogel im Höllengebirge


TEIL 2 FOLGT mit….:
….Der schweren Zeit der Pubertät und umfassenden Worten unseres Jungspunds Moritz!
Bleibt dran!