Bericht von Gabriel Egger
“Und der Mensch heißt Mensch…”
Schon wieder ein Traunsteinbericht. Weiß der nicht, dass es andere Berge gibt? Das interessiert doch niemaneden mehr. Das ist ja jetzt schon mindestens das 100. Mal.
Richtig und falsch, meine Freunde! Es ist wieder ein Traunsteinbericht, ganz Recht. Aber kein gewöhnlicher. Und das 100. Mal ist es (leider) auch noch nicht. Heute will ich meinen 40. Besuch auf dem Wächter des Salzkammergutes einem anderen Thema widmen: Dem Bergtürken.
Um diese Thematik zu verstehen, reicht es nicht einfach den Wikipedia-Artikel aufzurufen, und sich mit falschen Informationen über ehemalige Behausungen von Kurden zu füttern.
Der Bergtürke hat sich über Jahre als fixer, wenn auch nur sporadischer, Bestandteil unserer alpinen Unternehmungen bewährt. Wo auch immer er auftaucht, hat Ausgrenzung keinen Platz. Er tritt ein für Vernunft, Toleranz, Verständnis und bricht mit Klischees, die schon längst der Vergangenheit angehören sollten. Er setzt sich ein für den Menschen in uns. Hass, Ignoranz und Agitation sind ihm fremd. Genauso fremd wie er mittlerweile in unseren Tälern geworden ist. Aufkeimender Rassismus und die ständig aneckende Asyldebatte hat es dem Bergtürken nicht einfach gemacht. Seine heimatlichen Gefilde muss er immer öfter verlassen um sich am Berg die nötige Ruhe zu holen um der Provokation und dem rückschrittlichen Denken einer immer größer werdenden Ansammlung von Menschen zu widerstehen.
Am vergangenen Samstag war es nach mehreren Monaten wieder einmal soweit: Gemeinsam mit dem Bergtürken, der zuletzt im durchwachsenen Sommer auf dem hoch frequentierten Schafberg für Recht und Ordnung sorgte, machten wir uns auf um den Traunstein zu besteigen. Es sollte seine erste Audienz bei einem Berg sein, der ein Identifikationssymbol für zahlreiche Oberösterreicher darstellt. Seine weithin sichtbare Silhouette, die an klaren Tagen beinahe 150 Kilometer weit zu sehen ist und seine Gestalt, die der eines Herrschers im ehemals absolutistischen Frankreichs ähnelt, zieht Jahr für Jahr tausende Menschen an das Ostufer des Traunsees. Für den Bergtürken war nun die Zeit gekommen, sich dem Kalkbrocken, inmitten des fruchtbaren Salzkammergutes, in seiner üblichen Weise zu nähern.Umsichtig und mit viel Liebe zum Detail.
Er führte uns aber nicht auf normalem Wege zum Gipfel. Er zweigte ab um uns über verlassene Pfade in die Vergangenheit des Berges zu führen. Die vielen schrecklichen Dinge, die dieser Fels in den vergangenen Jahrhunderten gesehen hat und doch stets schweigen musste. Die zahlreichen Entscheidungen, die an seinem Fuße getroffen wurden und die dennoch unkommentiert blieben. Das Aufleben und Verblühen der Epochen, die großen Schlachten und die kleinen Wunder. Alles in Stein gemeißelt. Der Fels, der die Erinnerung konserviert. Für immer.
Über schmale Wege und vorbei an Totholz und Spuren der mannigfaltigen Tierwelt lässt der Bergtürke seinen Blick auf den Traunsee gleiten. Er hält inne. Seine Augen scheinen sich an einem Ort festgesetzt zu haben. Der vermeintliche Leerlauf ist eine Reise durch seine eigene Vergangenheit, zu der ihn dieser aufgelassene Weg animierte. Er klettert die alte Leiter hinauf, dessen Verankerungen unter der Last zu quietschen beginnen. Oben angekommen setzt er sich auf einen Vorsprung und erneut scheint er die Gegenwart zu verlassen.
“Wisst ihr” sagt er und wendet seinen Blick dabei nicht von der Weite des Traunsees ab “Wisst ihr, ich höre so oft, dass wir Türken irgendwelche Städte belagern, dass ich manchmal daran zürück denken muss, wie es war, als ich wirklich nichts hatte, außer ein Zelt”. Der marode Weg, die sporadischen Versicherungen und der dennoch vorhandene Flair haben den Bergtürken an längst vergangene Tage erinnert. “Ich bin in einer Großfamilie aufgewachsen. Jaja, viele Brüder, ganz lustig, ich weiß. Aber gut, das ist ein Klischee, das ausnahmsweise mal wirklich stimmt”. Wir hatten nicht viel. Mein Vater versuchte uns so gut wie möglich zu ernähren, aber mit der Bildung, die nicht größer war als jene von den Hühnern, die er schlachtete, kam er nicht weit.”
Sein Blick hatte sich mittlerweile vom See abgewandt und kreiste um Ebensee und Gmunden.
“Unsere Behausung war so klein, das wir draußen in selbstgemachten Zelten übernachten mussten. Unser Essen unterschied sich nicht sonderlich von den Körnern, die das spätere Geflügel zu sich nahm. Es ging uns aber trotzdem gut. Den Umständen entsprechend halt, aber wir mussten nicht jede Sekunde daran denken, welche Inschrift unser Grab zieren sollte, wenn ihr versteht”
Über die Leiter der Vergangenheit |
Mit Blick nach Gmunden erzählt der Bergtürke aus vergangenen Tagen |
Mittlerweile waren alle über die Leiter zu dem kleinen Vorsprung aufgestiegen. “Das ist wieder typisch Ausländer, nimmt euch allen den Platz weg” sagt der Bergtürke lächelnd als er merkt, das seine Denkerposition nicht nur die Aufmerksamkeit der bunt gemischten Truppe sondern auch eine großräumige Fläche einnimmt. “Jedenfalls kam mein Vater eines Tages von der Arbeit nach Hause und wollte einfach nur, dass wir das Nötigste packen”. Sein Vater wurde, wie zahlreiche andere Türken, als Gastarbeiter nach Österreich geholt um die wirtschaftliche Blütezeit in den sechziger Jahren zu nutzen. Als das Land die Arbeitskräfte nicht mehr benötigte, waren diese in Österreich bereits fest verankert. Es ist nur menschlich ein gerade neu begonnenes Leben nicht wieder wegzuwerfen. Jeder Mensch sehnt sich nach einem festen Boden unter den Füßen. Ein bisschen Sicherheit. Irgendwas, das bleibt. Da darf man auch getrost einmal “Silbermond” zitieren.
Was heute als Hauptargument für die Drangsalierung von ausländischen Mitbürgern gilt, ist nichts weiter als ein eigens verschuldeter Griff ins Klo. Die Arbeitsplätze, die sie ja angeblich mit all ihrem Schmarotzertum besetzt halten, haben sich ein Großteil der Immigranten schon viel früher redlich verdient. Was bleibt ist ein wütender, in einem tobenden Gewässer voll Selbstmitleid badender Mob, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, rassisch bedingte Charaktereigenschaften aus den braunen Schubladen herauszukramen und dabei nicht daran denkt nur einen Finger auf das eigene Unvermögen zeigen zu lassen.
“Man muss allen Menschen unvereingenommen entgegentreten” sagt der Bergtürke und klettert weitere marode Sicherungen umklammernd dem Ausstieg entgegen. “Darum bin ich so gerne hier in den Bergen. Hier herrscht Anarchie. Eine Gesetzlosigkeit, die auch die Vorurteile großteils ausspart. Hier ist der Mensch noch Mensch und nicht Österreicher, Deutscher, Afrikaner oder David Hasselhoff”.
Ein letzter verschneiter Quergang vor dem Ausstieg auf den altbewährten Naturfreundesteig |
Die letzten Meter am alten Naturfreundesteig sind durch die aufgenässte Schneedecke etwas beschwerlicher und die konzentrierten Phasen bringen auch den Bergtürken wieder zurück in seine verschwiegene Gedankenwelt. Erst eine Leiter, die wegen der Ungänglichkeit des Weges abmontiert wurde, lässt ihn wieder in Form von umfangreichen Wortspielen und Metaphern von seiner Vergangenheit sprechen.
Die letzte Steilstufe vor dem Überstieg |
“Dieser alte Weg hat soviel Fantastisches. Er erzählt seine eigenen Geschichten und lässt diese in zahlreichen Facetten wie die Arme einer Spinne in die verschiedensten Richtungen greifen” beginnt der Bergtürke erneut seine Ausführungen, während er mit skeptischer Miene auf den Vorsprung lugt, den es zu erklettern gilt. “Dieser letzte Schritt in eine neue Umgebung ist mit vielen Lebenssituationen vergleichbar. Ich weiß noch, als mein Vater die Staatsbürgerschaft erhielt. Der lange, beschwerliche Weg schien vorbei. Die großen Schwierigkeiten waren gemeistert und das Ziel erreicht. Doch es begann ein neuer anspruchsvoller Abschnitt in unserem Leben. Gespickt mit kleinen und großen Hindernissen, beschwerlich und dennoch voll von Erlebnissen, die ich nie missen will. So verhält es sich wohl auch mit unserer heutigen Route” ergänzt der ausländische Inländer und klettert behutsam die letzte ausgesetzte Passage nach oben.
Der Ausblick über große Teile des Salzkammergutes beeindrucken hier immer wieder. Das Glück in diesem Land aufgewachsen zu sein, hier zu leben, diese Landschaft genießen zu dürfen, und in ein behütetes Heim zurückzukehren ist ein goldenes Privileg, das nur wenigen Menschen zu Teil wird. Einige macht dies stolz. Stolz Österreicher zu sein. Stolz auf seine Heimat. Doch darf man überhaupt auf einen Umstand stolz sein, an dem man selbst nicht den Hauch einer Beteiligung hat? Schafft man einen Marathon, besteht man nach Überstunden der Paukerei eine Prüfung oder klettert man durch Engagement eine Sprosse der Karriereleiter nach oben, ja dann darf man stolz sein, Stolz auf seine eigenen Leistungen. Geboren zu werden ist nur die Leistung der Mutter. Diese darf stolz sein unter unmenschlichen Schmerzen nicht das Handtuch geworfen zu haben. Wir leben in einer Zeit, in der die Heimat immer wichtiger wird. Das ist auch gut so. Niemand darf vergessen, wie froh er sein kann abseits von Krieg und Elend ein Leben führen zu dürfen. Diese Heimat müssen wir wahren. Doch müssen wir sie für jeden Menschen zugänglich machen. Das Recht auf Heimat dürfen wir niemandem verwehren. Wenn es politische Parteien schaffen würden den Heimatgedanken mit Menschlichkeit zu verbinden und nicht einen populistischen Krieg auf dem Rücken bedürftiger Menschen auszutragen, könnte sich viel friedfertig lösen lassen. “Heimatliebe statt Marokkaner- Diebe”- nur ein Beispiel eines xenophobischen Rundumschlags, der den Heimatbegriff in ein völlig falsches Licht rückt. Alles hohles Gerede? Stimmt. Leider. Sich ein schwarzes Schaf auszusuchen und dieses zum Sündenbock für jegliches Übel in der Gesellschaft zu machen, ist halt immer noch am Einfachsten.
Der Blick über das Salzkammergut |
Begleitet von strahlendem Sonnenschein steigt der Bergtürke am Traunstein höher. Auch die teils vereisten Felsen meistert er mit Bravour und steht so kurze Zeit später am Naturfreundehaus. Das rege Treiben, die vielen verschiedenen Charaktere, die dennoch alle das gleiche Ziel verfolgen und ein Panorama, das sich auch hübsch auf einer Postkarte machen würde, zaubern ihm ein Lächeln ins Gesicht. Bedächtig stapft er durch den weichen Schnee Richtung Gipfel. Diesen ziert ein zehn Meter hohes Kreuz, Es erinnert an die vielen Opfer, die die beiden Kriege von 1914 bis 1945 gefordert haben. Besonders der zweite Weltkrieg war geprägt von Hass und Antisemitismus. Abneigung gegen eigene Gruppen von Menschen. Einfach weil sie “anders” waren. Es ist derselbe Wind, der jetzt vielen Teilen der Immigranten entgegenweht und der sich langsam aber doch zu einem tosenden Sturm entwickelt.
“Viele sind selbst schuld” sagt der Bergtürke als er mir die Hand gibt und zum Gipfelgang beglückwünscht. “Leider machen auch viele Menschen, die in dieses Land kommen einiges falsch. Sie dafür in dieser Form zu bestrafen ist nicht korrekt. Wir müssen zusammenhelfen um ein friedliches Miteinander zu bewerkstelligen. “
Tatsächlich muss man manchen Einwanderern auch ein kleines Teil vom Gehirn absprechen. Die Sprache des Landes zu lernen um sich zumindest im Alltagsleben zurechtzufinden ist eine Sache, die sehr wichtig ist. Den eigenen Kindern in der Schule eine Chance zu geben ist darin inbegriffen. Es geht nicht um das “Wegnehmen” der eigenen Kultur oder der eigenen Sitten und Bräuche. Es geht um das bereits angesprochene friedliche Miteinander, das angestrebt werden soll. Ein Miteinander ist nur möglich, wenn sich die Menschen untereinander auch verstehen. Deutsch ist keine leichte Sprache und schnell erlernt man sie schon gar nicht. Die nötige Toleranz den Menschen diese Zeit zu geben fehlt. Doch was unmissverständlich feststeht: Es ist nicht zu viel verlangt einen eigenen Beitrag für eine funktionierende Gesellschaft zu leisten. So spannend oder ergreifend die Geschichten vieler Persönlichkeiten auch sind, so wenig Anklang finden sie, wenn sie dank sprachlicher Barrieren nicht erzählt werden können.
“Natürlich begehen Immigranten Verbrechen. Sowie Einheimische. Es liegt oft nur daran, was die Medien daraus machen. Ein türkischer Einbrecher macht sich halt doch besser als ein österreichischer Trunkenbold am Steuer eines Kraftfahrzeuges. ” erklärt der Bergtürke und genießt dabei die Fernsicht, die heute bis in die Linzer Landeshauptstadt reicht. Es ist nicht verwunderlich, dass Verbrechen vor allem von sozial schwächer gestellten Menschen verübt werden. Viele sehen dies als letzten Ausweg aus ihrer Misere. Einige davon sind Asylwerber. Einige davon richtige Österreicher. Mit Haut und Haar. Rot-Weiß Rot im Blut. Macht das einen Unterschied? Wohl kaum.
“Von hier oben sieht man Dinge anders, sogar besser. Siehst du wieviel Platz wir haben?” fragt er mich. “Wir haben eine so große Fläche zur Verfügung und treiben uns gegenseitig in die Enge.”
Der Bergtürke sieht mich an: “Klingt wie bei einem kleinen Kind, aber denk mal nach!”
Zufrieden mit dem herrlichen Tag steigen wir wieder zum Naturfreundehaus ab. Wir öffnen die Tür des Biwakraums und sind erfreut über ein paar Dosen Bier, die wir genüsslich in der Sonne ihres Inhalts entledigen. “Das geht wohl auch nur hier heroben” sagt der Bergtürke. “Stell dir vor in einem Supermarkt im Tal wären die Getränke frei verfügbar und man müsste ohne Beaufsichtigung freiwillig dafür bezahlen. Das Chaos wäre vorprogrammiert und Diebstahl würde wohl zum guten Ton gehören. Hier nicht. Uns fehlt das Vertrauen. Leider sehr verständlich”.
Ja, Menschen, die sich in Eigenregie in den Bergen herumtreiben sind und werden einfach anders. Das Allheilmittel schlechthin? Nein, aber ein guter Weg um Dinge aus neuen Blickwinkeln zu betrachten.
Der Gipfel des Traunsteins |
Die bunt gemischte Gruppe |
Der Bergtürke und seine Heimat |
Am Naturfreundehaus |
Nach einer langen Pause, netten Gesprächen und einer “King-Size” Portion an Spaß geht es über den Naturfreundesteig auch wieder hinab ins Tal. Die Gemüter erhellt, die Beine müde und der Kopf frei.
“Oft ist es nur ein Spaziergang.” sagt der Bergtürke und bleibt plötzlich wie angewurzelt stehen. “Oft ist es nur ein Spaziergang” sagt er wieder und ergänzt: “Um seinen Horizont zu erweitern und aus der allgemeinen Unsicherheit hervorzutreten. Ein schönes Erlebnis reicht. Ein Gespräch. Eine Begegnung. Hier in den Bergen ist der Mensch noch Mensch. So soll es bleiben”
Wir erreichen nach ein bisschen mehr als einer Stunde wieder den Parkplatz und treten die Heimreise an. Vorbei an all den großen Gebäuden, die wir noch vor wenigen Stunden als unbedeutend kleine Objekte in der Landschaft wahrgenommen haben. Hier herunten ist auch der Mensch wieder groß und mächtig. Leider sind wir oft keine Jedi-Ritter. Wir sind zu oft auf der dunklen Seite der Macht.
Kebapstand am Tellerrand
Wolfgang Ambros schließt diesen extravaganten Bericht noch nicht. Das macht, diesmal ganz gewöhnlich, das Fotoalbum zur Tour:
Auszüge aus folgenden Liedern:
STS- Ende nie
STS- Drago
Wolfgang Ambros- A Mensch möchti bleiben
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