Der Bergsport in der Umkleidekabine. Zwischen nackten Tatsachen und gefährlicher Verkleidung- nur ohne angezogener Handbremse.

Von Gabriel Egger






3. Juli 1953: Finstere Nacht. Der Atem, den er in die eiskalte Luft stößt, ist Hermann Buhls einziger Begleiter. Auch wenn in dieser Höhe nicht mehr viel davon übrig ist. Erst um sieben Uhr abends erreicht der Tiroler am darauffolgenden Tag als erster Mensch den Gipfel des Nanga Parbats. Alleine. Zeugen sind eine pakistanische Fahne und der Eispickel, den er als Beweis in den Schnee rammt- 8125 Meter über dem sicheren Boden. Doch die Zeit reicht nicht. Buhl muss unterhalb des Gipfels biwakieren- im Stehen. Nur wegen der ungewöhnlich günstigen Witterung überlebt er, kehrt nach 41 Stunden wieder zurück ins sichere Lager. Mit nichts als dem Wissen, sich selbst einen Traum erfüllt zu haben.

1. Juli 2013:  Die schwüle Luft drückt  auf den trockenen Boden, das Plätschern des nahen Baches quält die trockene Kehle. Der Fels ist angenehm warm,  die Finger klemmen sich behutsam in seine breiten Spalten. Schweiß läuft über die Stirn ins Auge, die flache Hand kann ihn nicht wegwischen, bevor er im Auge zu brennen beginnt. Das kleine oberösterreichische Micheldorf ist von hier oben noch kleiner. Gabriel Egger erreicht nach wenigen Stunden mit drei seiner Freunde den Gipfel der Kremsmauer zwischen dem Alm- und dem Steyrtal in den nördlichen Voralpen. Weil das alpinistisch genauso wertvoll ist, wie es klingt, müssen sie anderweitig Aufmerksamkeit erregen. Wenige Meter unterhalb des pompösen Gipfelkreuzes ist der richtige Platz dafür. Die Hüllen fallen. Zuerst auf dem Berg, dann im Internet. Lächelnd wendet sich der Ersteller vom Bildschirm ab. Mit nichts als dem Wissen, sich selbst effizient in den Mittelpunkt gestellt zu haben.

Buhl und Egger? Ganz schlechter Vergleich. Ein Foto entblößter Männerkörper ein zweites Mal zu veröffentlichen? Auch in Zeiten des aufstrebenden Outdoor-Nudismus furchtbar peinlich. Doch meine Hände sind dreckig. Und ich möchte sie nicht in Unschuld waschen.

Hauptsache Ich

Die Zeit vergeht längst nicht mehr in Jahresringen. Jede Sekunde ist neu und aufregend, stellt das eben noch Bewunderte in den Schatten. Wer versucht nachzukommen, fühlt sich wie Armin Assinger im Duell mit Usain Bolt. Fehl am Platz. Felix Baumgartner springt aus dem All, eine Woche später interessiert das niemanden mehr. Mister “Stratos” muss seine Person anderweitig vermarkten, provoziert, polarisiert und braucht Helm und Anzug nur mehr, um sich vor den verbalen Attacken seiner Gegner zu schützen. Doch er fällt auf, bleibt im Gespräch und mehr ist ihm auch gar nicht wichtig.
Das Gefühl beschleicht den neutralen Beobachter auch, wenn er sich in der virtuellen Welt zum Gipfel aufmacht. Denn zwischen pittoresken Bäumen, blühendem Almrausch und dem Panoramaschwenk in die Ferne, blitzt auf Bildern immer öfter ein nacktes Körperteil hervor. Janet Jackson hätte ihre Freude damit.
Es geht nicht mehr darum, anderen den Weg zu zeigen, zu inspirieren oder Freude zu teilen. Nicht mehr darum, die Augenblicke zu konservieren. Aber auch nicht mehr darum beim “Daheimgebliebenen” berechtige Schadenfreude zu erzeugen. Es geht um mich. Um mein. Ich und Ich. Und du glaubst, ich bin stark und ich kenne den Weg? Nein- aber das Internet.

Dass sich gesellschaftliche Trends überall hin verlagern, ist keine Seltenheit. Das kann man mögen oder nicht. Und nackte Haut, also bitte, wer steht nicht drauf? Was wir aber nicht vergessen dürfen ist, dass der Berg einst als Rückzugsort von all dem galt. Nicht unbedingt von Freizügigkeit, aber von den Scheinwerferlichtern des Alltagslebens. Ort der Ruhe, der Anarchie, des Loslassens. Weg von Kategorisierungen und Klischees:

 

 

 

Ups.

Dass alteingesessene Bergsteiger sich über die neue “Freiheit” echauffieren, darf deswegen nicht verwundern. Für einen großen Teil der Kulturen unsere Erde ist ein Berg immer noch ein Heiligtum, wird verehrt, als Ruhestätte geliebter Menschen betrachtet. Das kann sogar soweit gehen, dass man im Adamskostüm von der Polizei abgeführt wird.

Eine 24-jährige Britin, ein 23-jähriger Niederländer sowie zwei aus Kanada stammende 22 und 23 Jahre alte Geschwister hatten auf dem Gipfel des 4095 Meter hohen Bergs Kinabalu in Malaysia nackt für Fotos posiert. Sie sollen sich gegenseitig zum Ausziehen angestachelt haben und nicht auf die Warnungen ihres einheimischen Bergführers gehört haben. Die beiden Männer hätten sich vollständig ausgezogen, die Frauen seien oben ohne gewesen. Die Nacktfotos hatte die Gruppe anschließend ins Internet gestellt. Das Gericht verurteilte die zwei Männer und zwei Frauen zu einer dreitägigen Gefängnisstrafe und einer Geldbuße von umgerechnet knapp 1200 Euro. Ob das die 500 Likes wert war?

Sich dem Fortschritt zu verschließen ist eine ganz blöde Idee. Saudumm, würden die Bayern sagen. Aber alles mitmachen muss man deswegen auch nicht. Denn ob es wirklich fortschrittlich ist, den Berg als Dessous-Catwalk zu benutzen und das mit Millionen fremden Menschen zu teilen, sei dahingestellt.

Entschuldigung. Jeder bringt seinen Stolz anders zum Ausdruck. Akzeptiert.

 

Aufmerksamkeit ist schön. Wirklich schön. Ich mag sie auch gerne. Aber wenn sich der Bogen überspannt, schlägt auch die schärfste Pfeilspitze nicht mehr im Ziel ein. Machen wir doch zumindest in unserer Freizeit Dinge wieder für uns selbst. Popo – und Busenbilder in den Bergen vergessen die meisten beim nächsten Klick ohnehin wieder. Nur das Internet nicht- und das wird nie an Alzheimer leiden. Auch ich musste das lernen- und der Stoff ist nicht einfach.

 

Der Berg verliert an Liebe

Ja, er wird sogar immer anspruchsvoller. Die Schule des Bergsteigens hat keine Reifeprüfung- und das obwohl- geht es nach den virtuellen Veröffentlichungen- immer mehr Menschen eine Klasse wiederholen müssten.”Wehret den Anfängen”. Ich hasse es. “Früher war alles besser”. Noch schlimmer. Veränderung ist wichtig, auch wenn sie nicht immer gut ist.
Damals, als George Mallory am Everest scheiterte, Heinrich Harrer (das ist nicht Brad Pitt) die Eiger-Nordwand durchstieg, bevor er sieben Jahre in Tibet verbrachte,  und Edward Wyhmper mehr oder wenig ruhmvoll das Matterhorn erstbestieg, da war der Berg der Dreh-und Angelpunkt.

Die Pioniere haben Routen studiert, sich mit Flora und Fauna beschäftigt, den Berg beobachtet, sich nächtens in die vom Mond beschienenen Wände verliebt und ihre Gedanken zu Papier gebracht. Der Fels war die Konstante, der Berg selbst das Abenteuer. Um ihn herum entstanden Sehnsucht und Tatendrang.

Zeiten ändern sich. (Das ist nicht von Bushido) Der Berg steht nicht mehr im Fokus, das Abenteuer wird ohne ihn erschaffen und schließlich auf ihn angewendet. Spannend soll es sein, spektakulär, vielleicht gefährlich. Googeln wir das mal. Moment. “Spannend, spektakulär, gefährlich”. 73.000 Ergebnisse. Biancograt. Hm, schaut gut aus. Das machen wir.

 

 

Der Berg verliert seinen Wert als einzigartiges Mahnmal der Natur. Und das hat nichts mit Klettersteigen, Aussichtsplattformen, oder Rekorden zu tun. Das ist der verständliche Lauf der Zeit und Tourismus kein wegzuwischender Faktor unserer Gesellschaft.
Es geht um die Einstellung, die Ernsthaftigkeit, die Liebe zum Detail. Um das Warum. 

Darf er/sie darauf stolz sein? Mit Sicherheit. Warum auch nicht. Ein freier Mensch, kann tun und lassen was er will. Das soll er auch, im Sinne der persönlichen Entfaltung. Ist das Alpinismus? Schon auch irgendwie.Wenn auch kein klassischer. Müssen diese Zeilen der Öffentlichkeit unter die rümpfende Nase gerieben werden? Nein, wohl eher nicht. Zum einen wegen des vorprogrammierten Shitstorms, den er/sie sich vielleicht gar nicht verdient hat, weil er/sie genau gewusst hatte, auf was er/sie sich einlässt. Zum anderen, weil es Menschen gibt, die irgendwo da draußen, im hektischen Wirrwarr, ihre Selbstverantwortung verloren haben. Die gefährlichste Verkleidung ist die vermeintlich sichere Weste des Internets. Schusssicher ist die aber nicht.


“Du, Peter. I mog amoi auf den Großglockner. Wast eh, des is der hechste von Österreich. Oiso Berg.”


“Jo Hans. Do hobi letztens an Bericht im Internet gseng. Den kaumma sogoa im Winter mit die Laufschuach gehn”


“Mah super. Daun geht der eh oiwei”.

Auch der Königsjodler-Klettersteig (D) ist kein Problem. Er ist sogar so einfach, dass die nächtliche Rekordzeit-Besteigung auf der öffentlichen Seite der Gipfelhütte allen “Hosenscheissern” eine Lehre sein soll. Verdursten kann man dabei auch. Fuck wie geil. 
Übrigens geht das noch viel schneller. Aber sagt das dem Michi nicht.

Und wenn dann etwas passiert, dann folgt sie. Die Schelte der alpinen Engel. Die Apostel, die Facebook nutzen, um die Kunde der endlosen Weisheit in die Wohnzimmer zu bringen.

 

 

Hauptargument: Wegen euch Pfosten muss wieder die Bergrettung ausrücken!  Da darf man auch nicht mehr nach draußen, wenn es regnet. (Fahrlässig). Wenn es schneit (Fahrlässig). Wenn es windig ist (Fahrlässig). Wenn Wolken den Gipfel einnehmen (Fahrlässig.). Wenn die Hütten geschlossen sind. (Fahrlässig). Wenn es kalt ist. (Fahrlässig). Wenn es heiß ist. (Fahrlässig). Eigentlich nur bei strahlendem Sonnenschein. (Nicht fahrlässig).

Wir leben schon in einer seltsamen Welt, oder?

Liebs oder lass es

Das Internet hat den einst flachen Bergrücken zu einem schmalen Grat gemacht. Auf diesem tänzeln wir nun, zwischen zuviel Moral und zuviel Selbstdarstellung. Da wird angegeben, bloßgestellt, belehrt und beschimpft.
Bindende Glieder gibt es kaum. Dabei gebe es ein ganz bedeutendes: Die Liebe. Wer den Bergsport einmal ins Herz geschlossen hat, wird ihn nicht mehr los. Aber zuerst muss man ihn zu schätzen lernen.
Statt Nacktfotos die Kamera zur Seite und den Kopf einmal ins sanfte Alpengras legen. Statt gehässiger Kommentare einmal den Gebirgsregen im Nacken spüren. Statt der wildesten Felstour, einmal die Lieblingshütte besuchen. Statt den Verteidiger des klassischen Bergsteigens zu mimen, einmal rein in die Trailrunningschuhe und den Fels zwischen den Zehen spüren. Die erste Spur in den Schnee ziehen. Die Sonne im Biwak in der Felswand beim Untergehen beobachten. Die Kälte einer Nachtbegehung mit warmem Tee vertreiben.
Statt hier im Internet zu schreiben, einmal raus und den Wind das Haar zersausen lassen. Das mach ich jetzt. Und dann berichte ich davon. Weil ich es liebe. Für immer.