Die “Swiss Machine” läuft nicht mehr.
Ueli Steck ist gescheitert. Der Schweizer kam von seinem Rekordversuch im Himalaya nicht mehr nach Hause.
Einer der Größten ist gegangen. Aber mit ihm nicht das Unverständnis.
Ein Nachruf von Gabriel Egger
Ueli Steck hat den Tod gewollt. Das schreibt Joris K., 27 Jahre jung, angeblich Manager aus Hamburg, öffentlich auf Facebook. Kein Mitleid für einen rekordsüchtigen Egoisten. “Genau, macht nicht so ein Theater um einen Selbstmörder”, Urs H., Mittfünfziger mit schulterlangem blonden Haar und einem dicken Silberkettchen um den Hals, drischt im Ostschweizer Kanton Sankt Gallen zustimmend in die Tasten. Selber Ort, selbe Meinung: Den Hinterbliebenen ist Freddy G., pensionierter Hundefreund, nicht einmal eine ordentliche Verabschiedung vergönnt. “Ist doch gleich, wo der Typ liegt. In 50 Jahren könnte er als zweiter Ötzi aus einer Spalte gegraben werden”.
Der Krug gehe eben so lange zum Brunnen, bis er bricht. Und in Afrika sterben ja auch jeden Tag Kinder.
Ueli Steck ist tot. Ausgerutscht, 1000 Meter tief über eine Eisflanke des Nuptse gefallen. Beim Abstieg von einer Erkundungstour in technisch unschwierigem Gelände. Mit ihm verlässt einer der ganz großen Künstler die umkämpfte Bühne des Profibergsteigens. Einer, der für ihren Umbau verantwortlich war. Sie moderner machte, größer und gefährlicher. Die Zuschauer bejubelten ihn, andere konnten nicht hinsehen. Und der Großteil “hat immer gewusst, dass das nicht gut ausgeht”.
Wer Ueli Stecks Tod mit dem erhobenen Zeigefinger kommentiert, hat seinen Lebensstil nicht verstanden. Oder konnte ihn nicht verstehen.Wie auch? Wie kann man einen Mann begreifen, der die Eiger-Nordwand schneller durchsteigt, als der durchschnittliche Sportler einen Halbmarathon läuft? Ohne Sicherung, nur mit der Kraft der eigenen Nerven.
In einer Gesellschaft, die allumfassende Sicherheit in allen Lebenslagen zum obersten Gebot deklariert hat, wo Kinder in umzäunten Spielplätzen unter den Argusaugen der Eltern mit Helm im Sandkasten buddeln und das Babyphone für den Fall der Fälle noch von der Überwachungskamera gefilmt wird, hat ein Mensch wie Steck keinen Platz. Zumindest keinen, den man haben möchte. Am äußersten Rand, mit Sichtbehinderung.
“Da hilft alles Erklären nichts”
Steck passte aber auch nicht in das Weltbild der Bergsteigerelite. Reinhold Messner nannte ihn einen “Zahlenalpinisten”. Es gehe ihm nicht um das Geheimnisvolle , sondern um Höhenmeter, Distanzen und die schnellste Zeit. Ein Affront für jene, die sich über das entschleunigende Erlebnis in der Natur definierten. “Ich bin ein Alpinist, der öfters sehr anspruchsvolle Dinge unternimmt, aber ich bin nicht lebensmüde”, wehrte sich Steck in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung gegen die Vorwürfe, die ihn auch noch nach dem Tod verfolgen: Er habe leichtfertig mit seinem Leben gespielt.
“Sie sehen ein Foto oder ein Video von mir, wie ich seilfrei klettere und schließen auf sich”, sagte Steck vor einigen Jahren im deutschen Nachrichtenmagazin Spiegel, als er mit den harschen Wortmeldungen konfrontiert wurde. “Für sie ist die Vorstellung, alleine in einer Steilwand zu stecken, schrecklich. Sie können nicht nachvollziehen, dass ich mich in diesem Terrain wohlfühle und glücklich bin. Da hilft alles Erklären nichts.”
Stecks Tod war kein Leichtsinn, es war ein Unfall. Wenn man auf einem Wanderweg ausrutscht, sind die Knöchel beleidigt, oder der Allerwerteste. Rutscht man aus einer Steilwand, kommt man nicht mehr zurück.
Immer am Limit
Wie die meisten Spitzen-Alpinisten dachte Steck rational über die Risiken nach. Als Extrembergsteiger wollte er sich nicht bezeichnen. “Extrem ist für mich, wenn du die Schwierigkeiten nicht unter Kontrolle hast”. Sein letztes großes Abenteuer war gespickt mit Schwierigkeiten: Er wollte zusammen mit dem nepalesischen Bergsteiger Tenji Sherpa über die Westschulter des Mount Everest auf den höchsten Gipfel der Welt klettern, von dort zum 8000 Meter hohen Südsattel absteigen, dann auf den 8511 Meter hohen Lhotse – und zurück ins Basecamp. Das hat noch nie jemand geschafft. Und wer weiß, vielleicht wäre sich ja auch noch der Nuptse ausgegangen.
Steck trieb eine neue Art des Bergsteigens voran, es ging ihm um Tempo und Effizienz. Wenig Gewicht, weniger Zeit, mehr zurückgelegte Kilometer. Der 40-Jährige lief von Erfolg zu Erfolg, stand am Tag auf mehreren Gipfeln und blieb dennoch auf dem Boden: “Ja, das kann jeder. Ich bin auch nur ein einfacher Mensch und koche mit heißem Wasser. Wenn Sie den Mut haben und die Ausdauer, können Sie das auch schaffen.” Nur sehr viel Geduld brauche man.
“Scheitern heißt für mich, wenn ich sterbe”
Unmögliches denken. Unmögliches tun. Anders sein. Besser sein. Erfolg. Scheitern. #UeliSteck als Inspiration und Vorbild – für immer. RIP— Patrick Fassbind (@fassbius) 1. Mai 2017
#UeliSteck hat gelebt was oft fehlt
Leidenschaft, Herz, Ziele, Bescheidenheit, Feuer & er war dem Himmel immer etwas näher als die Meisten— Der Bestatter Privat (@BeniHochuli) 2. Mai 2017
Doch die Zeiger werden sich weiterdrehen. Dass alles in Bewegung bleibt, das hätte auch Ueli Steck gewollt. “Der Tod war sowieso gerecht. Er hat es nicht anders verdient”, schreibt Anton Z. unverblümt ins soziale Netzwerk. Schläge unter die Gürtellinie, hat Steck schon zu Lebzeiten abgewehrt. Und ich lasse ihn auch post mortem die einzig richtige Antwort auf diese völlig unverständliche Art der Reaktion geben:
Wir suchen gerne die Antwort auf unser Scheitern, für unsere Faulheit, für unsere Ängste bei anderen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Leute davor am meisten Angst haben: dass sie in Situationen kommen, wo es nur auf sie selbst ankommt.
Ueli Stecks alpinistisches Wirken war eine Frage der Zeit. Auch sein Tod. Nur auf dieser einen Route durchs Leben, lieber Ueli, hättest du ruhig langsamer sein können.
Ruhe in Frieden!
Schön geschrieben!
Wie so oft in ähnlichen Fällen: –> lesen – lernen – besser machen.
LG Mario
Für mich ist der Unfall von Ueli Steck gleichwertig zu setzen mit dem von unserem Bubendorfer. Beide suchten das Risiko, beide waren im Grenzbereich des hochalpinen Klettersport unterwegs. Und irgendwann denke ich mir nach einer gelungenen Mission, heute hatte er genügend Glück, aber wie lange währt diese Glückssträhne?
Ich wünsche allen Bergsteigern in dieser Kategorie, auch und besonders an Gerlinde Kaltenbrunner gerichtet, einmal öfter umgekehrt, einmal öfter einen neuen Versuch starten und dafür länger diesen rauschhaften Sport ausüben können!
Stark! Ueli's Denken & Wirken UND dieser Text…
Vielen Dank für diesen sehr bewegenden und treffenden Nachruf Gabriel!
Wow, tolle Worte über einen faszinierenden Menschen/Lebensweg…
RIP – Sehr toller Nachruf. 2 Dinge bleiben mir in Gedanenk: 1.) Er lebte seine Leidenschaft, was leider die Mehrheit von uns nicht tut 2.) Er fühlte sich, und wusste dass er auf sich vertrauen kann – und genau das wollen viele von uns nicht.
Er hat sein Leben gelebt, und dabei niemanden gefährdert. Viele tun genau das eben, andere gefährden.
Viel Kraft den Angehörigen und die welche ihn persönlich kannten, liebten oder schätzten, und das Leben geht weiter.
Ein schöner Text, gelungener Nachruf und Appell zu mehr Milde!
Vielen Dank dafür, Gabriel.
Mein herzliches Beileid an die Angehörigen
Du hast die treffenden Worte gefunden. Super geschrieben.
Er ist mit einer erfüllten Seele von uns gegangen.
Herzliches Beileid an die Familie und Hinterbliebenen.
Lebe deinen Traum!
Träume nicht dein Leben!
R.I.P.
Ich bin hin- und hergerissen zwischen Bewunderung für diesen Ehrgeiz und Verständnislosigkeit für solchen Leichtsinn… Aber mir liegt es fern, zu urteilen, da nur seine Familie Gefühle dieser Art auszudrücken zusteht. Es ist dennoch faszinierend, in welche Lage sich Menschen freiwillig begeben. Ich könnte und wöllte es nicht nachvollziehen wollen, wie man sich in solchen Höhen und Gefilden fühlt. Aber wenn es für manche Menschen, das höchste aller Gefühle ist, dann sollten wir sie lassen, denn es wurden genau durch diese Extreme schon wegweisende Errungenschaften für die gesamte Menschheit gewonnen.
Ein erfüllter Mensch – ein Vorreiter darin! So sehr das Leben ausgekostet – Danke –
Namasté
Für mich war Ueli die Möwe Jonathan unter den Alpinisten und ich liebte diesen Film von 1973.
Diesselben Gedanken super in Worte gefasst. Toller Nachruf!
Wow ich bin Beeindruckt super auf den Punkt gebracht was für ein Nachruf
Nach allen Meldungen und Interviews, von 2013 die mir bekannt sind, haben sich Ueli Steck und Simone Moro im Lager II nicht aktiv mit den aufgebrachten Sherpas geprügelt, sondern sind angegriffen worden. Um Schlimmeres zu verhindern, hat sich Melissa Arnot schützend vor sie gestellt. Anschließend flohen sie mit ihrem Kameramann Jonathan Griffith auf einem abenteuerlichen Weg durch den Khumbu-Eisbruch ins Basislager…
Toller Text! Respekt an den Autor! Ueli, ich vermisse dich!
Der Titel ist seltsam, kann je ein Tod “gerecht” sein? Ein Freund von Ueli sprach: “Ich denke der Tod kam führ Ueli unerwartet, die Bedingungen waren gut, er war wohl glücklich auf seinem Weg unterwegs, bis zu jenem Moment, – denke ich – war es für ihn ein schöner letzter Tag……”
Es gibt eine Aufnahme, als ihn ein Steinschlag traf, …… damals ging es glimpflich aus.
R.i.P. Ueli – danke für die vielen geteilten Momente.
Der Satz ist unglaublich tief.
“Wir suchen gerne die Antwort auf unser Scheitern, für unsere Faulheit, für unsere Ängste bei anderen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Leute davor am meisten Angst haben: dass sie in Situationen kommen, wo es nur auf sie selbst ankommt.”
Ich kannte ihn nciht, aber im Internet ist er durch seine zahllosen Beiträge auf Youtube und anderswo sehr present. Die Videos sind meistens sehr oft angesehen worden. was zeigt, wie hoch Ueli Steck generell geachtet wurde.
Was ich an ihm schätze ist sein eisener Wille gepaart mt Organsationstalent. In den Bergen war er ja bestens ausgerüstet. Er plante sehr perfekt.
Was ich an ihn kritisiere ist, dass er so schnell die Berge rauflief. Mit der Geschwindgkeit nimmt die Achtsamkeit gegenüber den Bergen und Wäldern ab und man erschreckt die Tiere.
Der Respekt vor den Bergen nimmt ab und es zählen dann nur noch Rekorde. Aber der Berg ist nicht dazu da, Rekorde aufzustellen. Das befriedigt nur das eigene Ego.